Deutschlandbild in Österreich: Hut ab vor den Deutschen
Erdäpfel und Paradeiser haben es schwer gegen die deutschen Ausdrücke. Sonst blickt man doch ziemlich kritisch ins Nachbarland.
I rgendwo habe ich einmal gelesen, ein Österreicher sei „ein Deutscher mit Hut“. Sieht man sich auf den Straßen der österreichischen Hauptstadt Wien so um, so stimmt nicht einmal mehr das. Niemand trägt hier noch einen Hut, nicht mal die Fiaker am Stephansdom.
Im übertragenen Sinn könnte man vielleicht davon sprechen, dass sich der „Ösi“ gewählter ausdrückt und vornehmer gibt als der Deutsche, aber ich fürchte, auch diese Zeiten sind lange vorbei. Die Deutschen stellen im Land die größte Minderheit, und auch die Kids konsumieren hauptsächlich deutsche Medien, weswegen jedenfalls das Wienerische immer mehr von seinem Klang verliert und deutsche Wörter in den Alltagsgebrauch marschieren. Klar, es gibt sie noch, die Erdäpfel und die Paradeiser, aber es gibt inzwischen fast gleichberechtigt auch die Kartoffeln und die Tomaten.
Man schaut hier auf zu dem großen Nachbarn. Man kennt sich mit dem deutschen Fußball aus, nur bei den Themen Skifahren und Politik läuft das ein wenig andersrum. In Sachen Politik zum Beispiel ist in Österreich schon längst aus der Brandmauer ein Gemeindebau geworden. Ein „Volkskanzler“ Herbert Kickl konnte dieser Tage gerade noch so verhindert werden, weil die ÖVP – so etwas wie die Christdemokraten, nur ohne das Scheinheilige – doch noch keine Lust auf Selbstdemontage haben.
In Wien, traditionell „rot“, findet auch bald eine Wahl statt, die Spaltungen gibt es hier eher zwischen Stadt und Land als zwischen Ost und West, aber die Staatsregierung steht Stand jetzt immer noch nicht: Österreich ist momentan zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um groß auf Deutschland zu schauen. Trotzdem sind die Zeitungen natürlich voll mit der Berichterstattung der Deutschlandkorrespondent:innen. Geschaut wird auf die Bundestagswahl eher nachlässig: So schlimm wie mit der FPÖ kann es nicht werden, so die Stimmen von Mitte bis links. Die CDU scheint trotz Wortbruch noch stabil.
Villach, die Stadt unten in Kärnten, die auch eine Messerattacke miterleben musste, war aber natürlich ein Einschnitt, und der in Ö traditionell starke Boulevard fragt sich schon, woher dieser Syrer jetzt kam, der einen Toten und mehrere Verletzte verantwortet hat. Wurde er aus Deutschland zurückabgeschoben? Was macht der große Nachbar, schiebt er auch die Verantwortung mit ab?
Ansonsten wundert man sich höchstens über den Kamikazeflieger Lindner, darüber, dass die Grünen vergleichsweise stark und die Sozialdemokraten mittlerweile so schwachbrüstig sind. Die haben ja nicht einmal einen Doskozil (eher rechter SPÖ-Landesvater aus dem Burgenland)! Oder einen sozialdemokratischen Hauptstadtbürgermeister. Und was denn bittschön dieses BSW sein soll.
Und Alice Weidel ist „die, mit der keiner regieren will“, zumindest laut Standard. Na, hoffentlich bleibt das auch so. Nach Österreich auswandern ist diesmal nämlich nicht wirklich eine Lösung.
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