Deutschland zu Assange: Schweigen in Berlin
Außenministerin Baerbock freut sich, dass der Fall Assange eine Lösung gefunden hat. Doch der Großteil der Bundesregierung schweigt zur Freilassung.
Immerhin ein knappes Statement kam von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), allerdings nur am Rande eines Besuchs in Jerusalem und auch erst auf die Frage eines Journalisten: „Ich kann nur sagen, dass ich sehr froh bin, dass dieser Fall, der überall auf der Welt sehr emotional diskutiert wurde und viele Menschen bewegt hat, dass er nun endlich eine Lösung gefunden hat“, kommentierte die Außenministerin.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte auf seinem-X-Account immerhin Platz, um der Historikerin Anne Applebaum zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zu gratulieren. Einen Kommentar zu Julian Assange sucht man dort jedoch vergeblich. Finanzminister Christian Lindner (FDP) gratulierte auf X Mark Rutte zur Ernennung zum neuem Nato-Generalsekretär: „Deine Erfahrung, Dein diplomatisches Geschick und Deine Führungsstärke werden gebraucht“, schrieb er zu Rutte, zu Assange schrieb er nichts. Nur der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), fand auf X ein paar knappe Worte: „Gut, dass Assange endlich freikommt.“
So blieb es auf Regierungsseite an Kulturstaatsministerin Claudia Roth, ein längeres Statement zu formulieren. „Heute ist ein guter Tag für die Pressefreiheit“, teilte sie mit. „Bei allen legitimen Sicherheitsinteressen von Staaten und bei aller berechtigter Kritik an Wikileaks und seinem Gründer – die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, wenn Staaten gegen Gesetze und Menschenrechte verstoßen“, so Roth weiter.
„Vorbild für Investigativjournalist*innen“
Aber nicht nur der Ampel, auch CDU/CSU und AfD war der berühmte Whistleblower kaum einen Ton wert. „Die Bundesregierung, die eine wertebasierte Außenpolitik predigt, hat bis zum Schluss im Fall Assange passiv zugesehen und geschwiegen, statt sich aktiv für ebendiese Werte einzusetzen“, kritisierte Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Gruppe Die Linke im Bundestag, die Untätigkeit der deutschen Regierung.„Whistleblower wie Julian Assange sind keine Kriminellen, sondern sorgen dafür, dass Kriegsverbrechen aufgedeckt und damit auch geächtet werden können.“
Sahra Wagenknecht (BSW) kommentierte auf X: „Kritischer Journalismus ist keine Spionage! Der Justizskandal bleibt, die US-Kriegsverbrechen, die Wikileaks aufgedeckt hat, bleiben ungesühnt.“
Zufrieden über die Freilassung von Julian Assange zeigten sich auch die Journalist*innenverbände in Deutschland. Von einem „historischen Sieg für die Pressefreiheit“ sprach Reporter ohne Grenzen. „Seine Freilassung ist ein Hoffnungszeichen für Reporterinnen und Whistleblower auf aller Welt, die weiterhin diffamiert werden oder inhaftiert sind“, sagte Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen Deutschland. Sie erinnerte aber auch an den in Russland inhaftierten US-Journalisten Evan Gershkovich, dessen Prozess gerade begonnen hat: „ Am Ende dieses Prozesses kann unserer Ansicht nach nur die Freilassung stehen“, so Osterhaus.
„Endlich kommt Julian Assange auf freien Fuß“, kommentierte Mika Beuster vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV), gab allerdings auch zu bedenken: „Der Fall bleibt aber ein abschreckendes Beispiel für investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten.“ Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) begrüßte die Nachricht von der Freilassung Assanges, der für seine Leistung die dju-Ehrenmitgliedschaft erhalten hatte. „Ich freue mich für Julian Assange und seine Familie über das Ende der zermarternden Haft“, so die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll. Und ergänzte: „Für Investigativjournalist*innen ist Assange ein Vorbild.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid