Deutschland verweigert Türken Visa: Journalisten müssen draußen bleiben
Immer häufiger verweigert Deutschland türkischen Journalisten und Künstlern die Einreise. Dahinter steht die Angst der Behörden, es bestehe womöglich die Absicht zu bleiben.
ISTANBUL taz | Tan Morgül hat ein in der Türkei eher seltenes Hobby, er ist Fan des Hamburger Fußballclubs FC St. Pauli. Von Beruf ist Morgül Journalist und schreibt auch ab und an über Fußball. "Ich interessiere mich für die soziale und kulturelle Seite des Fußballs", erzählt er. Als linker Aktivist, der sich im Weltsozialforum engagiert, ist er vom "linken Verein" St. Pauli fasziniert.
Als die Hamburger kürzlich ihr 100-jähriges Bestehen und den Wiederaufstieg in die erste Bundesliga feierten, ging auch eine Einladung an Tan Morgül. Der hatte zuvor wie andere Fans aus aller Welt ein selbst gedrehtes Video nach Hamburg geschickt, das im Vorfeld der Feier gezeigt wurde. Mit seinem Einladungsschreiben vom Koordinator der 100-Jahr-Feier des FC St. Pauli Andreas Kahrs in der Hand, machte Morgül sich auf den Weg, um sein Visum zu beantragen, ohne das Türken nicht nach Deutschland reisen können.
Zunächst schien alles klarzugehen. "Die erste Begegnung mit der Visa-Stelle war easy", erinnert er sich, "die hatten nur ein Problem mit ihrem Computersystem." Die Quittung für die 60 Euro, die er mit dem Antrag zu zahlen hatte, konnte nicht gedruckt werden. Auf dieser Quittung ist aber die Bearbeitungsnummer. Ihm wurde trotzdem freundlich beschieden, dass er nicht zu warten brauche, er würde die Quittung zusammen mit seinem Pass erhalten.
Doch der Pass kam nicht. Stattdessen erhielt er einen Anruf von einem weiteren Mitarbeiter der Visastelle, in dessen Verlauf die fehlende Bearbeitungsnummer zu einem großen Problem wurde. Ziemlich barsch wurde er aufgefordert, weitere Belege, insbesondere über seine finanzielle Situation, einzureichen.
Tan Morgül ist freier Journalist, allerdings kein Unbekannter. Er kann diverse Artikel vorweisen, er ist ein gefragter Aktivist der hiesigen NGO-Szene, gern gesehen auch bei Veranstaltungen der Heinrich-Böll- oder Konrad-Adenauer-Stiftung in Istanbul. Er ist der prototypische Vertreter des zivilgesellschaftlichen Dialogs, den die EU mit der Türkei so dringend intensivieren will. Doch für die Bearbeitung seines Antrages spielte das keine Rolle.
Man forderte ihn auf, Bankbelege, Kreditkarten und Auszüge aus dem Liegenschaftsamt vorzulegen, aus denen eine gesicherte Existenz und eine feste Verwurzelung in der Türkei hervorgeht, die auf eine "Rückkehrbereitschaft" schließen lassen. Er habe schließlich kein regelmäßiges Einkommen nachweisen können.
Nun reist Tan Morgül als Journalist und politischer Aktivist häufig ins Ausland, in den letzten Jahren auch in Schengen-Staaten. An seiner Rückkehrbereitschaft gab es bislang keine Zweifel. Das französische, italienische oder schwedische Konsulat hatten ihm mehrmals Visa erteilt, was für die deutschen Bearbeiter klar aus seinem Pass hervorging. Es folgten mehrere, immer unerfreulicher werdende Besuche in der Visastelle, doch bis zuletzt schien es so, dass seinem Antrag stattgegeben würde.
Am Tag seines geplanten Abfluges war sein Pass immer noch nicht da. Das Konsulat schickt die Pässe gewöhnlich per Kurierdienst zurück. Um den Vorgang zu beschleunigen, fuhr Tan selbst zum zuständigen UPS-Büro. Statt eines Visums erhielt er dort lediglich ein deutschsprachiges Ablehnungsformular, auf dem die Punkte, "kein gesicherter Lebensunterhalt" und "die Informationen über den Zweck der Reise seinen unglaubwürdig", angekreuzt waren.
Schengen-Abkommen: Das luxemburgische Schengen ist zum Synonym für ein Europa ohne Grenzkontrollen geworden. Dort unterzeichneten 1985 Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten ein Abkommen, das die Schlagbäume zwischen den Ländern abschafft. Gleichzeitig verpflichteten sie sich, ihre Außengrenzen besser zu schützen.
25 Schengen-Staaten: Nach mehreren Erweiterungen gehören heute 25 Länder zum Schengen-Raum, darunter alle EU-Mitglieder außer Großbritannien, Irland, Rumänien, Bulgarien und Zypern sowie Norwegen, Island und die Schweiz. Eine Sonderrolle haben Großbritannien und Irland, die sich an der polizeilichen Zusammenarbeit beteiligen, aber nicht auf Kontrollen verzichten.
Weitere Kandidaten: Liechtenstein, Bulgarien und Rumänien bereiten derzeit den Wegfall der Grenzkontrollen vor. Im Schengen-Raum leben über 400 Millionen Einwohner. Die Landesgrenzen sind insgesamt mehr als 7.700 Kilometer lang, die Seegrenzen knapp 42.700 Kilometer.
Der aus Kostengründen vor zwei Monaten gebuchte Flug verfiel. Zusammen mit den Kosten für den Antrag hatte Tan Morgül rund 250 Euro investiert - vergeblich. Seine Meinung über Deutschland hat sich rapide verschlechtert.
Wäre Tan Morgül ein Einzelfall, könnte man mit einem Schulterzucken darüber hinweggehen. Aber die Fälle häufen sich. Und dabei trifft es vor allem solche Leute, die für einen Kulturaustausch zwischen beiden Ländern wichtig wären. Zum Beispiel Eray Özcan, eine bekannte Malerin, die gerade eine eigene Ausstellung in Istanbul hat. Wie Tan Morgül wurde Frau Özcan ein Visum verweigert, weil sie keine feste Anstellung nachweisen konnte.
Als selbst Perihan Maden, eine der bekanntesten Schriftstellerinnen des Landes, mit einem Visumsantrag bei den Deutschen scheiterte, führte das zu so viel Aufruhr in den türkischen Zeitungen, dass sich das Konsulat bei ihr entschuldigte. Doch der Schaden ist längst angerichtet. Kein anderer EU-Staat gilt unter Türken bei der Visavergabe als so restriktiv wie Deutschland.
Das nimmt mitunter absurde Züge an. Im letzten Jahr scheiterte an der bürokratischen Sturheit der Visastelle fast ein Kulturaustausch im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen den Bezirken Berlin-Mitte und dem Istanbuler Bezirk Cihangir. Insgesamt 25 KünstlerInnen aus Istanbul, offiziell ausgewählt auch als Vorprogramm für die Kulturhauptstadt Istanbul 2010, sollten auf Einladung von Bezirksbürgermeisters Christian Hanke an die Spree kommen, um dort auszustellen oder Theaterstücke aufzuführen.
Die Vorsitzende des Bezirksvereins Cihangir, Necila Hanim, ist noch heute empört, wenn sie über die "Schikanen" redet, die ihnen in den Weg gelegt wurden. "Nie wieder Kulturaustausch mit Deutschland", ist ihr Fazit.
Da die deutsche Visastelle einen so schlechten Ruf hat, holen sich viele Türken und Türkinnen, die eigentlich nach Deutschland wollen, ein Visum bei den Franzosen, Griechen oder Italienern, weil es dort viel schneller und unproblematischer geht. Doch obwohl ein Schengen-Visum für alle Schengen-Staaten gültig ist, kann auch das danebengehen.
Es ist in den letzten Monaten mehrfach vorgekommen, dass türkische Besucher im Flughafen München festgehalten und sogar zurückgeschickt wurden, weil sie ein französisches und kein deutsches Visum hatten. Begründung: Man müsse sein Visa für das Hauptreiseland beantragen. Wären die Reisenden über Paris nach München gekommen, hätte es keine Probleme gegeben.
Was derzeit vor allem unter Künstlern, Schriftstellern und Journalisten beklagt wird, ist unter türkischen Geschäftsleuten ein Dauerthema. Es gibt kaum eine offizielle Begegnung - zuletzt im März während des Besuchs von Kanzlerin Merkel - bei der nicht über die restriktive Visavergabe für Geschäftsleute diskutiert wird. Die Kanzlerin versprach sich dafür einzusetzen, dass regelmäßiger Visa erteilt würden, die für ein oder mehrere Jahre gültig sind. Doch da hatte sie wohl zu viel versprochen.
Dabei trifft die Visavergabe einen empfindlichen Nerv. Die Schwierigkeiten der Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU sind für die meisten Leute ein abstraktes Problem - der gefühlte Stand der Beziehungen entscheidet sich am Schalter der Visastelle. Nicht zuletzt deshalb ist die Visafrage auch in den zwischenstaatlichen Beziehungen längst wichtiger als die Frage, wann das nächste EU-Verhandlungskapitel eröffnet wird. Es gibt sogar mittlerweile eine Web-Seite www.vizesiz.net, auf der Betroffene ihren Fall öffentlich darstellen können.
Fragt man im Konsulat nach, warum es so viele Klagen gibt, wird von Konsulin Frau Wagener und dem Leiter der Rechtsabteilung, Herrn Hecker, zuerst auf die große Zahl der Anträge hingewiesen. Allein vom Konsulat in Istanbul würden im Jahr zwischen 70.000 bis 100.000 Visa ausgestellt. Die Ablehnungsquote sei nicht höher als zehn Prozent.
"Dabei können natürlich auch einmal Fehlentscheidungen getroffen werden", räumt Frau Wagener ein, "aber grundsätzlich habe fast jeder die Möglichkeit, nach Deutschland zu reisen." Herr Hecker schätzt, dass rund die Hälfte der Ablehnungen nur wegen "mangelnder Mitwirkung" zustande kommen, die Leute also nicht die erforderlichen Dokumente vorlegen.
Neben den bürokratischen Fragen sind es aber vor allem politische Vorbehalte, mit denen Türken zu kämpfen haben, wollen sie Deutschland besuchen. Der Visazwang für die Türkei wurde 1974 eingeführt, um einen weiteren Zuzug zu stoppen. Die Angst vor Missbrauch ist gegenüber Türken nach wie vor besonders hoch.
Es ist politisch gewollt, dass die Türkei, obwohl sie sich seit 2005 im EU-Beitrittsverfahren befindet, in Visafragen immer noch genauso behandelt wird wie Nigeria. Die türkische Regierung dringt seit längerem auf die Abschaffung des Visazwangs oder zu mindestens auf ein Abkommen zur erleichterten Visavergabe, wie es mit Russland abgeschlossen wurde.
Allerdings ohne große Aussicht auf Erfolg. Eine solche Entscheidung müsste von den Schengen-Staaten gemeinsam getroffen werden. Die EU macht dabei die Erfüllung von drei Forderungen zur Voraussetzung: die Türkei muss biometrische Pässe einführen, sie muss sich bereit erklären, Flüchtlinge zurückzunehmen, die über die Türkei illegal in die EU eingereist sind, und sie soll dafür sorgen, dass ihre Grenzen zum Iran, Irak und zu Georgien wirklich dicht sind.
Biometrische Pässe wird es bald geben, die anderen Anforderungen sind jedoch nicht so einfach umzusetzen. Da nimmt die EU - und dabei allen voran die Bundesregierung - lieber in Kauf, dass gerade unter der westlich orientierten Intelligenz die Ablehnung der EU und der Groll auf Deutschland weiter wächst.
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