Deutschland im WM-Halbfinale: Dominieren heißt nicht gewinnen
Nach dem Spiel bleibt: Die Französinnen spielten spanisch, allein es fehlten die Tore. Die deutsche Kampfmaschine kam nicht in die Gänge.
„Ein Spiel zu dominieren heißt nicht, dass man es auch gewinnt“, zog der Trainer der Französinnen, Philippe Bergeroo, die bittere Bilanz. Die Französinnen machen einen auf Spanier, könnte man sagen. Sie spielen schönen Ballbesitzfußball, sie kombinieren, sie spielen kurze Pässe, sie sind schnell und zweikampfstark. Was fehlt, sind die Tore. „Unser Problem ist die Effektivität“, so Bergeroo. Tatsächlich sind die Französinnen zwar erst im Elfmeterschießen gescheitert. Aber nicht für Bergeroo: „Das Spiel haben war damit verloren, dass wir die drei oder vier Möglichkeiten, die wir hatten, nicht genutzt haben.“
Dem Trainer war deutlich anzumerken, dass es der Horror gewesen sein muss, nach dem Spiel in die Umkleidekabine zu seinen Spielerinnen zu gehen. Mehrmals betonte er, wie schwer es gewesen war, mit ihnen zu sprechen. Noch auf dem Platz brachen einige Spielerinnen in regelrechte Weinkrämpfe aus, anderen stand der Schrecken im Gesicht. Kapitänin Wendie Renard, die den deuschen Stürmerinnen keinen Zentimeter Platz gelassen hatte, fand dann aber doch die Worte, die alle hören wollten: „Wir können uns alle in die Augen gucken. Wir haben alles gegeben und es verdient, weiterzukommen.“
Das Team von Silvia Neid hatte es nicht geschafft, die nach ihrem überragenden Spiel gegen Südkorea leicht favorisierten Französinnen vorher spielerisch unter Kontrolle zu bringen. Im Gegenteil: Die Französinnen machten das Spiel. Das bessere.
„Wir sind nur noch im Dreieck gelaufen“
Wer sich in Sachen Frauenfußball und Fifa nicht hinters Licht führen lassen will, sollte vom 6. Juni bis zum 5. Juli 2015 unbedingt die taz lesen. Wir berichten täglich auf ein bis zwei Seiten nicht nur übers Geschehen auf dem Platz, sondern auch über Hintergründiges, Politisches, Schrilles und Schräges.
Gerade wegen des aktuellen Fifa-Skandals wollen wir genau auf diese WM schauen. Vor Ort macht das taz-Redakteurin Doris Akrap, in Berlin kümmern sich Johannes Kopp (Sportredakteur), Martin Krauss (Pauschalist), Ronny Müller (Volontär), Richard Noebel (Layout), Sebastian Raviol (Praktikant), Andreas Rüttenauer (Chefredakteur) und Markus Völker (Sportredakteur) um die Fußball-WM.
Auch die deuschen Spielerinnen und Trainerin Silvia Neid waren sich dessen bewusst. „Wir sind nur noch im Dreieck gelaufen“, sagte Babette Peter, die für die gesperrte Verteidigerin Saskia Bartusiak gespielt hatte. „Wir waren in der ersten Halbzeit zu ängstlich und vielleicht auch ein bisschen beeindruckt“, kommentierte Célia Sasic, die zwei Elfmeter eiskalt verwandelte, sonst aber überhaupt nicht ins Spiel kam.
„Frankreich ist aus unserer Sicht eine wahnsinnsgute Mannschaft. Für Frankreich war es sicher ein sehr gutes Spiel. Für uns war es kein gutes Spiel“, sagte Neid und hörte sich dabei fast an als müsste sie eine Niederlage ihres eigenen Teams kommentieren. „Ich hatte schon Bedenken, vor allem als das 1:0 fiel. Gute Hoffnung hatte ich, fühlte mich aber nicht so sicher, dass ich dachte: Jaja, wir schaffen das schon.“ Ihrem Gesicht sah man noch während des Spiels und sogar nach dem Anschlusstreffer zum 1:1 durch den Elfmeter von Sasic an, dass ihre Mädels gerade vorgeführt werden. Die berüchtigte deutsche Kampfmaschine kam nicht in die Gänge.
„Man kann schon sagen, dass wir mit Glück gewonnen haben“, sprach Verteidigerin Annike Krahn aus, was die Wahrheit ist. „Aber das ist mir jetzt scheißegal. Wenn die den da nicht reinmachen, kann ich ihnen auch nicht helfen.“ Annike Krahn ist neben Nadine Angerer die letzte, die sich irgendetwas vorwerfen lassen muss. Geholfen hat Annike Krahn, die bei Paris Saint Germain spielt, vor allem ihrem eigenen Team. Ohne ihre wuchtigen, beherzten und hellwachen Abwehrreaktionen hätte man Silvia Neid bei ihrer letzten Pressekonferenz bei einer Weltmeisterschaft erlebt.
„Wir haben uns in der zweiten Halbzeit reingekämpft und es bis ins Elfmeterschießen geschafft“, sagte sie stattdessen. Dass es eine Leistung ist, als Weltranglistenerste ins Elfmeterschießen zu kommen, wer hätte das vor dieser WM gesagt?
Stammtischgespräche
Vor dieser WM wurde in Stammtischgesprächen darauf gewettet, dass in Kanada der Torrekord purzeln würde. Man hatte mit etlichen hohen Ergebnissen gerechnet, weil die WM der Frauen erstmals mit 24 Teams ausgetragen wird und unterstellt, dass ein krasses Niveaugefälle herrschen würde. Wer darauf gewettet hat, kann seine Wettscheine jetzt schon wegschmeißen. Mit einem Torrekord wird diese WM wohl nicht in die Fußballgeschichte eingehen.
Teilt man die Bilanz aller Beteiligten vor Ort, dann liegt das daran, dass sich das Niveau im Frauenfußball weltweit angeglichen hat. Das Viertelfinale zwischen Deuschland und Frankreich ist ein weiterer Beleg für diese These und hat jetzt schon Geschichte gemacht: Noch nie musste der Weltranglistenerste während einer WM in ein Elfmeterschießen.
Man kann nur hoffen, dass sich dieses Spiel für die Französinnen nicht als ein weiteres Trauma in ihre mentale Geschichte einschreibt. Am Ende aber hat ihr Trainer Belgeroo noch die in diesem Moment wirklich erlösenden Worte gefunden: „Man muss es aber auch mal runterbringen: Es ist nur ein Spiel.“ Die Spielerinnen würden jezt erstmal Urlaub machen und mit einer Lektion nach Hause fahren, dass sie das Tore schießen üben müssten.
Für die Deutschen gilt dasselbe. Außer, dass sie frühestens am Dienstag nach Hause fahren müssen. Dann findet in Montréal das Halbfinale gegen die USA statt. Die haben zwei Dinge: Hope Solo im und Killerinstinkt vor dem Tor.
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