Deutsches Haus: Herrenmensch und Heiliger Krieg
Unser nettes Haus in der Mitte der Straße ist irgendwie verrückt. Jetzt müssen wir wieder zueinander finden, möglicherweise in anderer Besetzung.
I n unserem deutschen Haus ist ganz schön der Wurm drin, das lässt sich nicht länger leugnen. Fangen wir an, wo es anfängt, im Osten, wo die Sonne aufgeht. Das Boomerpärchen, das in den 1990er zu uns rüberkam und seitdem Beträchtliches geleistet hat, möchte sich nun nicht mehr an die Vorgaben halten, die unsere Gemeinschaft – zumindest immer mit dem Willen, sich an den Werten Humanität und Solidarität zu orientieren – seit nunmehr gut sieben Jahrzehnten verfolgt.
Bislang fand ich es immer etwas unangebracht, sie daran zu erinnern, dass wir ohne großes Trara einen Teil ihrer Miete übernommen haben, als sie damals einigermaßen abgerissen bei uns ankamen. Manche im Haus weisen auch darauf hin, dass ihre Wohnung inzwischen besser eingerichtet ist als die vieler Alteingesessener.
Aber wie gesagt: Ich finde es besser und auch ausreichend, sich an der Gegenwart zu orientieren. Und da lehnen ich und die Mehrheit der Hausgemeinschaft die aus vermutlich trüben Kanälen geschöpfte Überzeugung des genannten Pärchens, sie seien mehr wert als Menschen, die gerade oder schon vor längerer Zeit in unser Haus gezogen sind, halt schlicht ab. Leider hat eines ihrer Kinder auch so kleine Herrenmenschenattitüden entwickelt, während die anderen beiden sehr nett sind. Und wenn es bei diesem dummen Drittel bleibt und wir alle anderen dieses schlicht und ungemütlich ausgrenzen, dann ist das schon mehr als die halbe Miete.
Problematisch ist nicht zuletzt, dass unser Pärchen unser Haus gern grundsätzlich umgestaltet hätte, was paradoxerweise konkret bedeutet, dass sich nichts zum Positiven ändern soll: Sie wollen weiterhin mit Gas heizen und im Innenhof ihre Autos parken; und sie hätten halt gern, dass das schwule Pärchen „eher“ auszieht, und während der Pandemie – na, lassen wir das.
Sylt und Gedächtnislücken
Mein Problem ist, dass wir andere Probleme haben. Im Dachgeschoss ist es inzwischen im Sommer zu heiß. Die älteren Nachbarn, die dort wohnen, müssen da raus oder es wären erhebliche Baumaßnahmen erforderlich. Ein Herr Lindner, der sich meist in seiner Residenz auf Sylt aufhält, aber eine pied-à-terre bei uns hat, wehrt sich jedoch gegen die gemeinsame Kreditaufnahme.
Unser Hausverwalter ist ein Fähnchen im Wind, dabei von seiner eigenen Großartigkeit vollkommen überzeugt; nur wenn es um diese Affäre geht, bei der er einen merkwürdigen Deal mit der Sanitärfirma gemacht hat, kann er sich an nichts erinnern.
Dann gibt es Nachbarn, bei denen der Eindruck entsteht, sie wohnten hier, lebten aber woanders. Ein Bekannter aus dem arabischen Raum erzählte mir kürzlich, „Deutscher“ sei bei vielen aus seiner hier wohnenden Community ein Schimpfwort.
Nach außen gäben sie sich distanziert-höflich, in Wahrheit empfänden sie eine Mordsangst, sich auf das Leben hier einzulassen, aber auch schlicht Verachtung gegen alles Westliche. Er hingegen habe tatsächlich Sehnsucht nach seiner Heimat gehabt und sei mit seiner Familie nach Tunesien zurückgezogen. Nach einem halben Jahr wollten alle so schnell wie möglich zurück nach Berlin. Nun versuche er, in Gesprächen seine Leute dazu zu bringen, das „Doppeldenk“ endlich abzulegen, nicht passiv über Diskriminierung zu palavern, sondern aktiv Chancen zu ergreifen.
Ich habe ihn zu unserer Hausversammlung eingeladen. Vielleicht ist es ja das Boomer-Pärchen aus dem Osten, dem er am meisten zu sagen hat. Am dringendsten aber müssen wir darüber reden, wie wir die Übernahme unseres Hauses durch einen russischen Investmentfonds verhindern.
Das Haus gehört übrigens unseren Kindern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken