Deutscher Krimipreis 2013: Keine seichte Unterhaltung
Der Krimi „Grenzfall“ von Merle Kröger wird mit dem Deutschen Krimipreis 2013 geehrt. Er basiert auf dem Fall von zwei erschossenen Roma.
1992 werden zwei Leichen auf einem Feld unweit von Greifswald gefunden. Es sind Grigore Velcu und Eudache Calderar, zwei Roma, die illegal die Grenze überquert hatten. Zwei Jäger haben sie erschossen, gaben, als sie gefasst wurden, an, sie mit Wildschweinen verwechselt zu haben und wurden freigesprochen. Die Hinterbliebenen in Rumänien wurden zunächst nicht einmal informiert.
Dieser Fall liegt dem Film „Revision“ von Philip Scheffner und Merle Kröger zugrunde, in beide rekonstruieren, was geschah – und warum der Vorfall vergessen worden ist. Der Film lief im letzten Jahr in den Kinos an. Gestützt auf den realen Fall hat Kröger zeitgleich auch einen Krimi veröffentlicht, in dem sie Orte und Täter fiktionalisiert – den Skandal aber nicht.
Dieser Krimi, „Grenzfall“, nahm lange auf den Krimi-Bestenlisten Spitzenplätze ein und wird nun mit dem Deutschen Krimipreis 2013 geehrt. Merle Kröger hat in „Grenzfall“ wieder Matti Junghans ermitteln lassen, die schon in zwei weiteren ihrer Krimis, „Cut“ und „Kyai!“ tätig wurde – und deren indischer Elternteil immer wieder Anlass zu Reflektionen über „Eigenes“ und „Fremdes“ bietet.
Kröger selbst ist 1967 in Schleswig-Holstein geboren, sie dreht Filme, schreibt Drehbücher und arbeitet als Videokünstlerin, Produzentin und Cutterin. Immer wieder stellt sie sich in ihren Werken der Frage nach dem „Eigenen“, der die Konstruktion des „Fremden“ innewohnt. So berichtete sie in einem Interview, dass sich Teile des „Recherche“-Filmteams beim Dreh in Rumänien weitaus heimischer fühlten als in dem Ort in Mecklenburg-Vorpommern, in dem die toten Roma so laut beschwiegen wurden.
Merle Krögers Arbeit ist eminent politisch, sei es, dass sie Dokumentarfilme dreht, sei es, dass sie Krimis schreibt. Sie schicke, sagte sie dem Culturmag, ihre Ermittlerin auf die „Suche nach der Wahrheit hinter der Wahrheit hinter der Wahrheit hinter der …“. Zur Zeit arbeitet sie an einem Drehbuch mit dem Titel „Fight Republic“ – auch hier wird sie keine seichte Unterhaltung bieten.
Dass die Jury des Deutschen Krimi Preises den Roman „Grenzfall“ prämiert hat, obschon er ohne den Werbebohei der großen Thriller-Verlage an den Start ging, ist ein schönes Zeichen. Die Zeiten des einfach nur blutrünstigen Krimis sind vielleicht endlich vorbei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern