Deutscher Eiskunstlauf vor der WM: Der Trotz läuft mit
Nathalie Weinzierl soll bei der WM ein gutes Ergebnis holen. Bei der EM hatte der Verband sie noch aus der Mannschaft geworfen.
Zu den Favoritinnen gehört Nathalie Weinzierl nicht bei den Weltmeisterschaften im Eiskunstlauf, die diese Woche in Boston ausgetragen werden. Aber eine Topten-Platzierung könnte für die 22-Jährige drin sein, wenn alles gut läuft. „Nathalie hat ihren Rückstand aufgeholt. Sie hat zuletzt sehr gute Programme im Training gezeigt“, sagte Elke Treitz, Vizepräsidentin der Deutschen Eislauf-Union, über die deutsche Vizemeisterin, die im Februar an einer hartnäckigen Angina erkrankt war, nicht trainieren konnte und Wettkämpfe absagen musste.
Ganz sicher aber wird die WM für die Mannheimerin ruhiger verlaufen als die europäischen Titelkämpfe im Januar in Bratislava. Und das nicht nur, weil Weinzierl sich seit Tagen gemeinsam mit dem starken russischen Team in New York auf den Saisonhöhepunkt vorbereitet. Vor allem: Sie hat keine Störmanöver mehr von ihrem Verband zu erwarten wie noch in Bratislava.
Dort hatte die Deutsche Eislauf-Union ihr unmittelbar vor ihrem Auftritt im Kurzprogramm die Teamkleidung abgenommen und sie aus der Mannschaft ausgeschlossen. Begründung: Die Sportlerin war einer Mannschaftssitzung, die am Vorabend ihres Wettkampfes für 21 Uhr angesetzt war, unentschuldigt ferngeblieben. Sie wollte am nächsten Morgen zum Wettkampf fit sein und dazu brauchte sie ausreichend Schlaf. „Wir bauen gerade ein neues Team auf“, hatte Sportdirektor Udo Dönsdorf die rigide Disziplinarmaßnahme begründet. „Das ist noch ein zartes Pflänzchen, und das wollen wir uns nicht kaputt machen lassen.“
Die Antwort von Weinzierl auf den Eklat: Sie lief ihre Programme mit Wut im Bauch und beendete die europäischen Titelkämpfe als siebente. Das ist das beste Ergebnis für eine deutsche Einzelläuferin seit Tanja Szewczenko 1998. Ihre Mannschaftskameradin Lutricia Bock hingegen, immerhin deutsche Meisterin und hochtalentiert, scheiterte nach der spätabendlichen Mannschaftssitzung und anschließenden Presseterminen im zu sehr früher Stunde angesetzten Kurzprogramm an ihren Nerven und konnte sich als 25. nicht mehr für die Kür qualifizieren.
Wirtschaftsjura statt Bundeswehr
Nach ihrem sportlichen Erfolg nahm der Verband Weinzierl wieder in die deutsche Mannschaft auf und entschuldigte sich bei der Sportlerin für die „Überreaktion“ eines angeblich noch unerfahrenen Funktionärs. Wie auch anders: Weinzierl hatte mit ihrem siebten EM-Platz nicht nur das einzige deutsche WM-Ticket gelöst, sondern den deutschen Eiskunstläufern für das kommende Jahr wieder zwei EM-Tickets gesichert. Sollte sie da auch als Einzelläuferin außerhalb der deutschen Mannschaft antreten?
Nathalie Weinzierl ist eine Persönlichkeit auf dem Eis. Und das nicht nur, weil die Sportlerin, die jahrelang vor allem durch ihre starken Sprünge Punkte gesammelt hat, an ihrem Laufstil gearbeitet hat und in den letzten drei Jahren ausdrucksstarke Programme auf dem Eis interpretiert. Sie vermag es auch, sich nach langwierigen Verletzungen und Erkrankungen immer wieder zurückzukämpfen und ihre Leistungen zu steigern. So blieb sie die gesamte letzte Saison gesundheitlich bedingt unter ihrem Leistungsvermögen, musste jüngeren nationalen Konkurrentinnen die Startplätze zu internationalen Meisterschaften überlassen. Jetzt ist sie zurück.
Weinzierl hat auf eine Förderung durch die Aufnahme in eine Sportgruppe der Bundeswehr und damit auf eine finanzielle Absicherung für ihren Sport verzichtet. Stattdessen studiert sie neben dem Sport Wirtschaftsjura an der Uni Mannheim. Als Jurastudentin beteiligt sie sich an Diskussionen um das neue Dopinggesetz und die Praxis von Dopingkontrollen: Nach dem neuen Gesetz würde die Beweislast umgekehrt, also Sportler müssten unter bestimmten Umständen ihre Unschuld beweisen, erklärte sie in einer Regionalzeitung und auf ihrer Facebookseite. Die Unschuldsvermutung gelte nicht. Damit seien „wir Sportler vor dem Gesetz potenzielle Kriminelle“.
Auch nächtliche Dopingkontrollen lehnt die Kunstläuferin ab. Sie selbst hatte bei den Olympischen Spielen in Sotschi eine Kontrolle, die bis 2 Uhr nachts dauerte. Am nächsten Morgen hatte sie um 7 Uhr auf dem Eis stehen müssen und konnte mangels Schlafs ihre Leistung nicht abrufen, erklärt sie. Doping lehnt sie aber ab. Das sei nicht nur anderen Sportlern gegenüber unfair. „Kein Erfolg ist es wert, seine eigene Gesundheit dermaßen zu gefährden.“
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