Deutsche Wohnen und Co. enteignen: Ist das Begehren stark genug?

Die Enteignungs-Initiative sammelt wieder Unterschriften. Im Herbst sollen die Berliner die Enteignung beschließen. Kann das klappen?

Das Bild zeigt ein gelbes Plakat, dass für den Sammelstart des Volksbegehrens Deutsche Wohnen und Co. enteignen Ende Febraur wirbt.

Ab Ende Februar will die Initiative für den Enteignungs-Volksentscheid wieder Unterschriften sammeln Foto: Stefan Boness/Ipon

Nein, sagt Bert Schulz.

Bis vor ein paar Jahren war das E-Wort ein politisches und gesellschaftliches Tabu. Wer es verwendete, gehörte klandestinen kommunistischen Kreisen an oder wurde ihnen jedenfalls fortan zugeschrieben. Jemandem dessen Eigentum wegnehmen aus höheren Gründen – das steht zwar als Option im Grundgesetz und wurde im Stillen auch immer wieder praktiziert, etwa um Grundstücke für den Autobahnbau zu bekommen. Aber so ganz offiziell einem Reichen etwas abzunehmen, weil es die breite Masse dringend braucht – nein, das ging nun wirklich zu weit.

Die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen hat dieses Thema enttabuisiert. Angesichts des dramatischen Wohnraummangels nicht nur in Berlin ist Enteignung zu einer politischen Option geworden. Nun braucht es nur noch jemanden, der die Verantwortung dafür übernimmt. Von den Parteien im Abgeordnetenhaus traut sich das nur die Linke. Die SPD hat klar abgewunken, auch den Grünen ist das eigentlich zu forsch; eine Einigung mit der Initiative wäre ihnen lieber gewesen. Für FDP und CDU ist die Idee sowieso Sozialismus pur.

Deshalb müssen die BerlinerInnen die Enteignung von großen Immobilienunternehmen selbst beschließen. Die Initiative muss für den nötigen Volksentscheid von Ende Februar bis Ende Juni 175.000 Unterschriften sammeln. Eine „Hardcore“-Aufgabe mitten in einer Pandemie, wie Linkenchefin Katina Schubert sagte – aber machbar. Doch gilt das auch für den Entscheid selbst, der parallel zu Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl am 26. September stattfinden dürfte? Wird dann tatsächlich eine Mehrheit der BerlinerInnen für den Vorschlag der Initiative stimmen?

Schon einmal hat die Bevölkerung dem Senat die Grenzen seiner Macht aufgezeigt: Gegen den erklärten Willen fast aller politischen Parteien votierte 2014 eine Mehrheit gegen die von der damaligen SPD/CDU-Regierung gewünschte Bebauung des Tempelhofer Feldes.

Doch dieser Entscheid fand nur parallel zu einer Europawahl statt; die Beteiligung war mit 46 Prozent niedrig. Im September wird sie höher sein, vielleicht sogar bei 80 Prozent; dann geht es schließlich um die Nachfolge von Angela Merkel als Kanzlerin; um eine zweite Amtszeit der Koalition aus Linken, Grünen, SPD in Berlin; um die Macht in den Bezirken. Aber sollte es auch zu dem Enteigenen-Entscheid kommen, wird dieser viele andere Themen überlagern.

Denn die Frage polarisiert weiter, auch wenn sie kein Tabu mehr ist: Die CDU wird die E-Frage im Wahlkampf stellen, um vor allem gegen die Grünen Stimmung zu machen. Der Druck auf alle Parteien, den Vorstoß als realitätsfern, gar „kommunistisch“ abzulehnen, dürfte immens sein.

Für die Grünen stellt sich zudem konkret die Machtfrage: Kann sich jemand im Bund eine Regierung von Ex-Alternativen und CDU vorstellen, während in Berlin unter Grün-Rot-Rot Tausende Wohnungen verstaatlicht werden?

Dass angesichts dieses Drucks eine Mehrheit für die Initiative stimmt, ist leider sehr, sehr unwahrscheinlich. Und mit einer Niederlage an der Urne stirbt die Idee, zumindest für die nächsten Jahre. Das ist dann aber zu spät, um den Wohnungsmarkt in Berlin zu retten.

Ja, sagt Erik Peter.

Sind die Ber­li­ne­rIn­nen wirklich bereit, mehrheitlich für eine so radikale Idee wie die Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne zu votieren?

Formulieren wir die Frage einmal andersherum: Sind die Ber­li­ne­rIn­nen dafür, dass sich die Mietwohnungen der Stadt zu einem großen Teil in den Händen weniger Großkonzerne befinden, für die Renditemaximierung oberstes Ziel ist? Dies, und daran muss man in dieser Debatte auch erinnern, ist weder ein Naturgesetz noch haben oder hätten sich die Be­woh­ne­rIn­nen der Stadt je dafür ausgesprochen.

Geht es nach den Bedürfnissen der Mie­te­rIn­nen – eine bezahlbare, sichere Wohnung, die weder luxussaniert noch in Eigentum umgewandelt wird, in der Reparaturen anstandslos ausgeführt werden, das Wohnumfeld gepflegt und in der Nebenkostenabrechnung nicht beschissen wird – müsste die Antwort eindeutig ausfallen. Die 80 Prozent der BerlinerInnen, die zur Miete wohnen, können aus gutem Gewissen und Eigeninteresse ihr Kreuz bei der Enteignungs-Initiative machen – selbst wenn sie in anderen Lebensbereichen konservativ eingestellt sind oder auf den Wahlzetteln im September CDU oder SPD ankreuzen.

Doch das Bewusstsein der Mehrheit für ihre eigenen Belange ist nicht ungetrübt. Der Marktradikalismus hat jahrzehntelang sein Gift verstreut, und die Geg­ne­rIn­nen der Enteignungsinitiative – jene, die aus der kapitalistischen Marktaufteilung ihre Profite ziehen, sowie ihre politischen Hand­lan­ge­rIn­nen – werden alles dafür tun, die Menschen dazu zu bringen, gegen ihr Interesse abzustimmen.

Den Hebel zum Erfolg haben die Ak­ti­vis­tIn­nen von DW enteignen dennoch selbst in der Hand: Denn sie haben die besseren Argumente.

Sie müssen nur durchdringen mit ihrer Erzählung, die Köpfe öffnen für eine – eigentlich bescheidene – Utopie, die, obwohl im Grundgesetz verankert, schon länger undenkbar scheint. Sie müssen die Gegenerzählung einer finanziellen Überlastung für die Stadt brechen, geduldig und hunderttausendfach erklären, dass die Entschädigungskosten durch die Mieteinnahmen refinanziert werden. Die Initiative ist bestens vorbereitet, generiert Spenden und gewinnt immer weitere MitstreiterInnen. Wenn Tausende Aktive die Argumente in ihre Nachbarschaften tragen, können sie mehr erreichen als boshafte Kommentare im Boulevard, liberale Bedenkenträgerei im Feuilleton und die Diffamierungskampagnen der Immobilienlobby.

Berlins Mie­te­rIn­nen haben diese eine Chance. Sie sollten sie nutzen.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".

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