Berliner Volksbegehren zur Enteignung: Wieder soll da ein Gespenst umgehen
Das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. enteignen will massenhaft Unterschriften sammeln. Was bei manchen alte Ängste wecken mag.
L angsam beginnt die Rhetorik heißzulaufen: Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus Sebastian Czaja twitterte am Mittwoch, „Bauen statt Klauen“ sei den Linken fremd. Er klingt damit schon fast wie die AfD-Bundesfraktionschefin Alice Weidel, die mal polterte, die Grünen seien auf dem Weg „in den Betonkommunismus“, weil ihr Vorsitzender Robert Habeck Enteignungen zur Bekämpfung von Wohnungsnot nicht grundsätzlich ausschließen wollte.
Aber was soll die sich formierende Front zur Verteidigung des Eigentums einiger Großkonzerne, die von Teilen der SPD bis zur AfD reicht, auch sonst tun. Die Angst vor dem Kommunismus zieht nun mal, sie auszubeuten ist die naheliegende politische Strategie – insbesondere, da eine nüchterne Betrachtung der Fakten der eigenen Sache wenig hilft.
Denn Fakt ist: Mit einer Revolution oder dem Kommunismus hat das Volksbegehren nichts zu tun. Weder wird hier ein Staat gestürzt noch die kapitalistische Produktionsweise abgeschafft – auch ein paar übereifrige Aktivist:innen auf Twitter sollten sich dessen bewusst werden. Das Volksbegehren ist zunächst etwas zutiefst Demokratisches: Es fordert, dass die Berliner:innen selbst entscheiden dürfen, wie ihre Wohnraumversorgung organisiert werden soll.
Erst in den 1990ern und 2000er Jahren wurden die landeseigenen Wohnungen häufig zu Spottpreisen verhökert. Dies geschah unter ebenjener neoliberalen Doktrin, die jetzt verkündet, es werde dann am besten für alle gesorgt, wenn Großkonzerne ihre Profite maximieren.
Dagegen will das Volksbegehren dem privaten Wohnungsmarkt einen hinreichend großen öffentlichen Wohnungsbestand entgegenstellen – damit letztlich auch die Privatwirtschaft akzeptable Angebote für die Menschen schafft. Das ist kein Kommunismus, das ist Karl Schiller: „So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig.“ Zur Erinnerung: Unter diesem Slogan wandte sich die SPD im Jahr 1959 vom Sozialismus ab.
Wirklich radikal, ja regelrecht fanatisch ist es also eher, sich an einer dramatisch gescheiterten Wirtschaftsdoktrin festzuklammern. So kann die Initiative nur gewinnen: Sie kann gelassen mit Fakten argumentieren, während sich die anderen mit Kampfbegriffen überschlagen.
Am Freitag ging das Begehren mit einer Auftaktdemonstration in die nächste Stufe. Nun heißt es: Sammeln, sammeln, sammeln. Full Disclosure: Auch der Autor wird aktiv dabei sein. Holen wir uns diese Stadt zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?