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Deutsche Tanz-Compagnie in SeoulWer sieht mehr?

Die Tanz-Company Bodytalk aus Münster eröffnete in Seoul das Tanzfestival. Heraus kam ein transkulturelles Experiment um Fremd- und Selbstbilder.

Messer werden auf koreanischen Bühnen eigentlich nicht gezeigt. Bei „Koreality“ schon Foto: Nanako Oizumi

Messer, immer wieder sind da diese Messer. Mal schneiden sich die Performerinnen damit durchs Gesicht, dann schlägt eine Tänzerin damit auf wie ein Pfau und wird von Messern umstellt, und schließlich tanzt ein Tänzer ein bedrohlich wirkendes Solo mit einem Messer am Fuß.

Starke, mitunter drastische Bilder sind das, wie man sie von der Münsteraner Tanztheater-Company Bodytalk kennen kann. Bodytalk, das sind Yoshiko Waki, die bei Johann Kresnik, dem Tanzrevoluzzer, getanzt und gelernt hat, und der Musiker und Produzent Rolf Baumgart.

Zum aktuellen International Dance Festival in Seoul hat der künstlerische Leiter Lee Jong Ho sie eingeladen, das Eröffnungsstück zu bestreiten. Im Januar reisten Waki und Baumgart also von Deutschland aus nach Korea, um dort acht Per­for­me­r*in­nen und eine Musikerin zu casten. Das Ergebnis ist ein transkulturelles Experiment: „Koreality – (K)eine Geisterbeschwörung“ heißt es. Die Premiere fand im März in Deutschland statt, aber die Feuerprobe war natürlich jetzt, vor dem Publikum der südkoreanischen Hauptstadt.

Die Messer spielen dabei eine wesentliche Rolle. Dazu sollte man wissen, dass auf koreanischen Bühnen keine Messer benutzt werden, im Fernsehen wurden sie sogar verpixelt, doch hier sollen sie nun eine exponierte Rolle spielen. Einige der Per­for­me­r*in­nen wollten die Choreografin bei den Proben davon abbringen, sie sprachen von vermeintlichen Traumata, doch die Messer blieben drin.

Termine in Deutschland

„Koreality – (K)eine Geisterbeschwörung“: 16./17.9. Köln, 22.9. München, 24.9. Krefeld, 27.9. Münster, 30.9/1.10 Berlin

Ebenso drin: ein tanzender Glitzer-Buddha, bunt-leuchtender Unterwasserkitsch, eine Sängerin, die als Schlachtschwein von der Bühne geführt wird, und natürlich Reminiszenzen an K-Pop und K-Folklore, alles gleichermaßen auf den Effekt hin inszeniert. Das ergibt in der Summe einen äußerst energetischen Abend, ein Feuerwerk der Körper, die Raum und Publikum für sich einnehmen können.

Berüchtigte Leistungsgesellschaft

Für die erwartbar rasante K-Pop-Nummer hat sich die musikalische Leiterin Kang An-na „Bang Bang Bang“ herausgesucht, einen Song von 2008. Die Tän­ze­r*in­nen singen live in poppiger, aber zugleich halsbrecherischer Choreografie, die symbolische Bezüge zu den Auswüchsen der berüchtigten südkoreanischen Leistungsgesellschaft liefert.

Das wird gleich zu Beginn klar, wenn Musikerin Kang feststellt: „Ich komme aus einer sehr wettbewerbsorientierten Familie, und meine Schwester hat immer mehr erreicht.“ Bloß um dann die erreichten Leistungen der Tän­ze­r*in­nen herauszustellen, die das sehr gerne mit sich machen lassen, inklusive der Verdienstmedaille aus dem Wehrdienst.

An anderen Stellen verweisen die Per­for­me­r*in­nen auf die folkloristischen Traditionen des Landes, wenn alle auf einem zweispannigen Wagen, wie er heute noch von Papiersammlern verwendet wird, zum gemeinsamen Gesang eines Volksliedes einziehen oder später Pyo Hye In auf einer Janggu spielt, einer doppelseitigen Trommel.

„Es geht vor allem um Freundschaft“

Später wird sie, zwischen großen Stoffbahnen tauchend, einen malerischen Volkstanz präsentieren. Aber sie springt auch zusammen mit Shin Hye So als halbnackte Background-Tänzerin hinzu, wenn Kang Da Som einen koreanischen Pop-Song im Stil eines James-Bond-Opening performt.

Die ersten Vorstellungen in Deutschland wurden freundlich aufgenommen, auch wenn sich die vielfältigen kulturellen Bezüge nur den wenigsten erschlossen haben dürften. Aber Kulturaustausch ist ja erst mal gut, und zur Vorstellung in Leipzig gab es im Anschluss sogar eine Karaoke-Party – nicht nur, aber auch mit koreanischen Pop.

„Es geht vor allem um Freundschaft“, erzählt Yoshiko Wako über die Intention des Stücks. Sie selbst ist gebürtige Japanerin, Japan und Korea verbindet nicht gerade eine freundschaftliche gemeinsame Geschichte. Auch Wakis Großvater gehörte einst zum zivilen Teil der japanischen Besatzungsmacht, die von 1910 bis 1945 die Koreanische Halbinsel erst als Protektorat, dann als Kolonie besetzt hatte und dabei auch nicht wenige Kulturstätten wie den königlichen Palast in Seoul zerstörte.

Die so genannten Trostfrauen

Die Geschichte zwischen den beiden Nationen ist nur mäßig aufgearbeitet, und immer wieder kochen Debatten über die so genannten Trostfrauen, die von den Japanern während des Zweiten Weltkrieges verschleppten Zwangsprostituierten, hoch oder entzünden sich daran, dass ein japanischer Premier mal wieder einen Schrein besucht, in dem auch Kriegsverbrecher geehrt werden. Damit will Waki natürlich nichts zu tun haben. Sie versteht sich trotz ihres japanischen Passes als deutsche Künstlerin. In Korea sehen das aber nicht alle so.

Bei den Endproben in Seoul, wo sie in der Mary Hall der katholischen Sogang University auftreten, werden nun auf einmal die Messer wieder zum Problem. Gerade habe es wohl ein Messerattentat gegeben, heißt es, da solle man aus Rücksicht auf so etwas verzichten. Eher ein Raunen denn eine Ansage, aber Verunsicherung macht sich breit.

Doch Festivalleiter Lee blockt alles mit einem Lächeln ab, auch wenn man ihm anmerkt, dass auch er so einige Anwürfe wegen dieser Produktion erleben musste. Der Auftritt kann wie geplant stattfinden, lediglich die beiden Tänzerinnen sollen ihre ohnehin nicht sichtbaren Blößen mit Blumen abdecken, falls doch eine Hand wegrutscht und es zu einem Blitzer kommen sollte.

Ist das Publikum bei der ersten Vorstellung noch eher ruhig, so wird der zweite Abend in Seoul für die Tän­ze­r*in­nen ein voller Erfolg. Das Publikum geht voll mit, alle sind für ko­reanische Verhältnisse euphorisch.

Eine tolle Energie

Das gilt allerdings nicht so sehr für das Fachpublikum. „Das war schon ein sehr touristischer Blick, auch wenn der Abend eine tolle Energie hatte“, befindet Kyu Choi, der künstlerische Leiter der Seoul Performing Arts Festival.

Einer Journalistin fehlt eine deutlichere Auseinandersetzung zum ständig treibenden Tempo der Arbeitsgesellschaft, zugleich lobt sie aber eine blinkende Unterwasserszene, die in Deutschland nur als manieristische Idee erlebt wurde, weil hier eine Art Sage ästhetisch interessant verhandelt werde.

Immer wieder werden von den Be­su­che­r*in­nen die Messer als stärkste Eindrücke genannt, auch hier sehen die koreanischen Augen mehr als die deutschen: Sie entschlüsseln die Messer im Gesicht als Kommentar zu den populären Schönheitsoperationen und stellen das Kranzschlagen in Verbindung mit einem traditio­nellen Fächertanz. Die Bewegung folgt dem Aufgehen einer Blüte, ein klassisches Motiv der koreanischen Folklore.

So ist dieses transkulturelle Experiment vielleicht stärker geglückt, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Doch es bräuchte wohl ein gemischtes deutsch-koreanisches Publikum, um diese Erfahrung auch zur Wirkung kommen zu lassen.

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