Friedensmusiktheater in Münster: Blutiges Gemetzel bei Käsespießchen

Die Tanztheater-Compagnie Bodytalk führt in Münster ein „Westfälisches Friedensballett“ auf. Der Titel klingt harmlos – der Abend ist umso wilder.

Das Licht ist pink, die SchauspielerInnen tragen nur knielange, blaue Pluderhosen und räkeln sich auf und an Baugerüsten

Schön bunt soll’s dereinst im Digital­museum zugehen Foto: Montage: teamLab

Frieden? Wer das Wort hört, denkt an weißes Taubengeflatter, filigrane Origami-Kraniche, Regenbogen-Fahnen und ein verträumt-trotziges „We Shall Overcome“ zu Gitarre und Lagerfeuer. Das „Westfälische Friedensballett“ in Münster ist anders – schockhaft anders: Energie explodiert. Ein bildgewaltiger Abend bricht sich Bahn, fordert gedank­lich heraus, emotional. Und jeder, der diese Produktion der Tanztheater-Compagnie „Bodytalk“ nicht erlebt hat, ist zu bedauern.

Baugerüste rollen da wie Kampfpanzer in die Schlacht. Verzweifelte ringen miteinander wie Raubtiere, werden durch Gewehrsalven niedergestreckt. Blitze zucken, Qualm wallt über den Horizont, blutüberströmte Leiber waten durch apokalyptische Seen aus Leichen und Flammen. Sensen verhaken sich krachend ineinander. Wuchtiges Wummern dröhnt aus den Boxen, bringt das Gestühl zum Beben. Dazu kühlfahles, blendendes Licht, Sirenengeheul und ekstatischer, brutaler Sex. Eisen kracht auf Eisen, bedrohlicher Rap bohrt sich ins Ohr. Und dann plötzlich massive Kontraste: innige Umarmungen, hoffnungsvolle Fröhlichkeit, psychedelische Farbflecken, jähe Partyhelligkeit nach der Düsternis der Hölle, in die der Mensch den Menschen stürzt.

Bizarr ist das alles, skurril, mehrbödig und mit Symbolischem durchsetzt. Ein starker, wilder Abend. „Normalerweise sind wir noch sehr viel wilder“, sagt Rolf Baumgart danach. Zusammen mit Yoshiko Waki hat er Bodytalk im Jahr 2008 gegründet, beide verantworten auch diese Inszenierung und Choreografie. Was an ihrem „Friedensballett“ nicht normal ist, ist der Anlass: der Westfälische Frieden von 1648, vor nunmehr 375 Jahren also. In Münster treibt dieses Jubiläum ähnlich seltsame Blüten wie in Osnabrück: vom Friedenssport bis zu den Friedensschnittchen der Friedenstafel.

All dieses Wohlfeile lässt Bodytalk schnell vergessen. Zusätzliches Gewicht erhält der Abend durch seinen Schauplatz: Das „Krameramtshaus“, das heutige „Haus der Niederlande“, war während der Friedensverhandlungen das Quartier der niederländischen Gesandten – hier endete, parallel zum Dreißigjährigen Krieg, 1648 auch der achtzigjährige zwischen den Niederlanden und Spanien.

Vieles ist, bei aller Schwere, augenzwinkernd

Der bewusst steife Titel „Westfälisches Friedensballett“ erkläre sich aus einer „Dekon­struktion“, sagt Baumgart: 1645 sei hier das „Ballet de la Paix“ aufgeführt worden, importiert aus Paris. Darum beginnt das Geschehen nun auch mit Balletttraining, bei dem die Ballettstangen bald zu Waffen werden. Rund 40 Plätze fasst der kleine Saal im „Haus der Niederlande“, und wenn das Gemetzel erst beginnt, findet es inmitten des Publikums statt, auf blutrotem Boden.

Besonders herausfordernd für die Zuschauenden: wie intensiv sie partizipieren. Nicht nur, dass sie, während zu ihren Füßen Eingekerkerte vor Hunger den Verstand verlieren, schlemmen dürfen wie die Gesandten von einst – Tabletts mit Käsespießchen kreisen, Weintrauben und Bananenscheiben werden gereicht. Als Re­prä­sen­tan­t:in­nen aktueller Kriege stehen sie danach selbst auf der Bühne. Die Darstellenden erzählen ihnen sehr persönliche Geschichten, bitten sie, zu Zeugen ihrer Lebensentscheidungen zu werden, auf ihre Körper zu malen, zu schreiben.

Vieles ist, bei aller Schwere, augenzwinkernd: Historische Namen werden verfremdet, es geht in Anspielung auf eine Produktion der Augsburger Puppenkiste um „Bill Bo und seine Bande“, die durch die Lande ziehen. Und die Hoffnung auf „Ein bisschen Frieden“ lässt das Ein-Mann-Liveorchester herrlich verstörend klingen. „Wir bringen euch den Frieden“, heißt es verstörend noch im Programmheft, „Hier ist schon mal sein Kopf / Und es tropft, tropft, tropft …“

Schauspielerisch, gesanglich und tanztechnisch ist das hochklassig. Und der Blick ist immer kritisch, immer krass. Nach einer Fressorgie, einem Kampf, in dem Früchte zu Waffen werden, zu Folter- und Sexwerkzeugen, Finger sich in Gurken bohren, Möhren in Münder, wird der mit Essensresten übersäte Boden freigefegt. Friedlich ist danach nichts. Und das ist gut so.

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Freier Journalist, Skandinavist. Schreibt hauptsächlich über Niedersachsen, schwerpunktmäßig über Stadt und Region Osnabrück. Themen: Kunst, Bühne, Umwelt/Naturschutz, Bildung, soziale Gerechtigkeit.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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