Deutsche Ein-China-Politik: Taiwan hui, China pfui
Ein Rostocker Rentner mischt mit einer Petition an den Bundestag die deutsche Ein-China-Politik auf, indem er die offizielle Anerkennung Taiwans fordert
Kreuzberg war 2018 privat nach Taiwan (offiziell: Republik China) gereist und von der lebendigen Demokratie dort sehr angetan. Als früherer DDR-Bürger mit eigener Diktaturerfahrung ärgerte er sich, dass Deutschland durch seine Ein-China-Politik die diktatorische Volksrepublik China anerkennt, aber nicht das kleine Taiwan. Dieses sieht Peking als abtrünnige Provinz und droht mit gewaltsamer Wiedervereinigung.
Kreuzberg fordert mit einer Petition beim Bundestag die diplomatische Anerkennung Taiwans und mischt damit die Ein-China-Politik der Bundesregierung und aller anderen EU-Staaten auf. Nach dieser Politik kann es volle diplomatische Beziehungen nur mit China oder Taiwan geben. In Europa hält nur noch der Vatikan zu Taiwan.
Zu seiner eigenen Überraschung bekam Kreuzberg in kurzer Zeit die benötigten 50.000 Unterschriften zusammen. Dabei halfen auch Unterschriften von Taiwanern, was nach deutschem Recht legal ist, und sicher half auch Chinas derzeit sehr schlechtes Image wegen Pekings harter Haltung in Hongkong und der Masseninternierungen der Uiguren in Xinjiang.
Die Petition sollte zunächst nicht öffentlich werden
Der unabhängig agierende Ausschussdienst des Bundestages folgte zunächst der Argumentation des Auswärtigen Amtes und empfahl aus Sorge um das Verhältnis zu Peking eine Nichtveröffentlichung der Petition. Doch Kreuzberg ließ nicht locker. Er schaltete die Fraktion der Grünen ein, und schließlich votierten alle Fraktionen für öffentliche Befassung. Kreuzberg ist seitdem für die Taiwaner ein Held und wird von der Taipeh-Vertretung, der inoffiziellen Botschaft in Berlin, unterstützt.
Am Montag durfte er dann seine Forderung, die trotz der geringen Erfolgsaussichten für Nervosität im Auswärtigen Amt gesorgt haben dürfte, im Petitionsausschuss vortragen. „Es geht darum, eine Demokratie vor dem Zugriff einer Diktatur zu bewahren,“ erklärte er. Die westlichen Demokratien müssten ein Interesse haben, Taiwan zu schützen.
Zu seiner Unterstützung hatte er die aus Taiwan stammende Frankfurter Rechtsanwältin Pey-Fen Fuh mitgebracht, die zugleich dem Weltverband der Taiwaner vorsteht. Sie sagte: „Die Ein-China-Politik stammt aus dem Kalten Krieg.“ Für Kreuzberg und Fuh trägt die Anerkennung Taiwans zum Frieden in der Region bei. „Deutschland braucht eine China-Politik und eine Taiwan-Politik,“ forderte Fuh.
Die Bundesregierung wurde bei der Anhörung von der Leiterin der Asien-Pazifik-Abteilung des Auswärtigen Amtes vertreten. Sie verteidigte Berlins Ein-China-Politik, die nur wenige „souveränitätsrelevante“ Kontakte verbiete. Ansonsten lobte sie aber wiederholt das sehr gute Verhältnis zu Taiwan, das auch unterhalb der Ebene offizieller diplomatischer Beziehungen noch weiter ausgebaut werden könne.
Auswärtiges Amt lobt ausdrücklich Taiwans Demokratie
Sigmund lobte auch ausdrücklich Taiwans erfolgreiche Demokratisierung: „Taiwan ist für uns in vielen Bereichen ein Wertepartner“. Doch sei für die Bundesregierung Taiwan klar ein Teil Chinas. Sie sagte allerdings nicht, „ein Teil der Volksrepublik China“ wie Peking es gern hören würde und zumindest jetzt schon so verstehen will.
Doch Fuh und Kreuzberg regten sich bereits über Sigmunds Äußerung auf. „Die Voksrepublik hat nicht einen Tag Taiwan regiert,“ sagte Fuh empört. Vielmehr gehörte Chinas Festland vor 1949, als die im Bürgerkrieg unterlegene Nationalistische Partei (Guomindan) mit ihren Truppen vor Maos Kommunisten auf die Insel Taiwan floh, zur 1911 gegründeten Republik China. Lange hatte auch Taiwan einen Alleinvertretungsanspruch für China, der heute den meisten Taiwanern fremd ist.
Sigmund warnte vor einer Anerkennung Taiwans. Denn dies würde die Beziehungen zu Peking „schwer belasten“. Zunächst nannte sie China einen „strategischen Partner“ Deutschlands, später wurde sie präziser in der Beschreibung des Dilemmas: Peking sei „Partner, Wettbewerber und strategischer Rivale“. Aber ohne eine Zusammenarbeit mit China seien wichtige Fragen wie etwa der Klimawandel nicht zu lösen.
2019 ist nicht mehr 1971
Die Bundesrepublik Deutschland hatte erst 1972 die Volksrepublik China offiziell anerkannt. Zuvor war 1971 die Republik China, die ein Gründungsmitglied der UNO war, ausgeschlossen und die Volksrepublik China in die Weltorganisation aufgenommen worden. Seitdem – so manche Stimme im Ausschuss – habe sich die Welt aber weiter entwickelt.
Zugleich dürfte im Petitionsausschuss allen klar gewesen sein, dass es wegen der wichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu China für Berlin sehr riskant wäre, würde Deutschland allein vorpreschen und Taiwan anerkennen.
Kreuzberg kündigte zudem an, als nächstes beim Europaparlament eine Petition einzureichen. Schließlich gibt es auch auf europäischer Ebene Entwicklungen, die aufhorchen lassen. So beendete jüngst die tschechische Hauptstadt Prag ihre Städtepartnerschaft mit Peking und nahm eine mit Taipeh auf.
„Ich verstehe ja, dass der Bundesregierung bei China die Hände gebunden sind,“ erklärte der Grünen Abgeordnete Cem Özdemir. „Aber das muss ja nicht für den Bundestag gelten“. Er verwies auf die Armenien-Resolution des Parlaments von 2016, bei der die Abgeordneten gegen den Willen der Regierung votierten und damit die türkische Regierung empörten. Auch im Falle China dürfte das ein deutliches Signal sein.
Der Ausschuss will erst zu einem späteren Zeitpunkt über die Petition abstimmen.
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