Deutsche Comedy-Serie: Wenn alles kippt
In der ARD-Serie „Warum ich?“ kippen Alltagssituationen ins Absurde. Die sechs Geschichten sind so klug wie witzig inszeniert – und massentauglich.

Eigentlich will Country-Schlagersänger Jeff Kanter (Charly Hübner) wie fast jeden Abend nur eines seiner legendären Wohnzimmerkonzerte geben, um so seinen sechsstelligen Schuldenberg weiter abzutragen.
Aber in der piefigen Wohnung von Monika (Andrea Sawatzki), die ein treuer Fan des in die Jahre gekommenen Stars ist und die ihn zum Geburtstag ihres Mannes eingeladen hat, scheint etwas nicht zu stimmen. Bald erfüllen sich die allerschlimmsten Befürchtungen.
Jeff Kanter kann sich irgendwann nur noch fragen: „Warum ich?“ So ist das auch in allen anderen Geschichten, die David Schalko in seiner starbesetzten sechsteiligen Serie erzählt. Es geht in diesen an absurdes Theater erinnernden Storys um Ausnahmesituationen, die Menschen dazu bringen, sich die titelgebende Frage zu stellen: „Warum ich?“
Die Personalmanagerin Saskia (Nora Waldstätten) hat zum Beispiel gerade über 20 Leute in einem Betrieb gefeuert und ist auf dem Heimweg, als sich jemand vor den Zug wirft, in dem sie sitzt.
„Warum ich?“, ARD-Mediathek
War das einer der Männer, die sie arbeitslos gemacht hat? Und was will der eigenartige Psychologe (Bjarne Mädel), der plötzlich in ihrem Abteil sitzt und seltsame Fragen stellt?
Schriftsteller und Regisseur David Schalko gilt mittlerweile auch als Experte schräger Unterhaltung im Serienformat, wie er mit seinem Berlinale-Beitrag „Ich und die anderen“ (2021) unter Beweis gestellt hat.
In „Warum ich?“ schickt er seine Figuren auf eine Gratwanderung nach der anderen. Im Restaurant Casa Carmen, dessen Besitzer immer so tut, als spräche er mit spanischem Akzent, sobald Gäste auftauchen, gerät etwa ein Ehepaar so in Streit, dass schließlich ein Auftragskiller loszieht, um den aggressiven Ehemann abzuknallen. Das geht auch für den Killer schief und endet im totalen Chaos. Wie könnte es anders sein?
Das Ehepaar Hans (Robert Palfrader) und Gertraud (Sylvie Rohrer) lädt seine überkandidelten erwachsenen Kinder ein, um ihnen von Papas Alzheimerdiagnose und dem geplanten Selbstmord zu erzählen. Die Kinder sind entsetzt und sauer, dass ihnen so eine Nachricht zugemutet wird.
Sympathische Figuren finden sich in diesen Geschichten keine, eher durchgeknallte Egomanen, die sich leidend und rachsüchtig an ihren Mitmenschen abarbeiten und trotz oder gerade wegen gutbürgerlicher Verhältnisse soziale Verwahrlosung zur Schau stellen.
Das wirkt mitunter übertrieben und gendertechnisch etwas altbacken – so neigen alle Frauenfiguren arg zu Hysterie, während die Männer eine selbstbewusste Arroganz an den Tag legen.
Trotz des dominierenden österreichischen Akzents vieler Schauspieler sind alle Geschichten in Deutschland angesiedelt. Wobei gerade mit dem österreichischen Schmäh und dem dazugehörigen Charme im Gepäck die Geschichten doch immer wieder richtig zünden.
Damit sprengt Schalko gängige TV-Sehgewohnheiten und bietet mit diesen kammerspielartigen 20-minütigen Geschichten Einblicke in die seelischen und moralischen Abgründe unserer Zeit.
Doch so sehr dieser Sechsteiler mit repetitiv deklamierenden Schauspielern („Ich gehe nach Afrika!“, sagt der Sohn des Alzheimerpatienten immer wieder) an das zeitgenössische, mitunter absurd daherkommende Theater erinnert, ist diese öffentlich-rechtliche Produktion dann doch etwas zu mainstreamig und kann etwa einem René Pollesch nicht wirklich das Wasser reichen.
Aber wer sich gerne auf den wohl dosierten Wahnsinn David Schalkos einlassen will, sollte dieses halbe Dutzend manischer Gratwanderungen nicht verpassen.
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