Deutsche Außenpolitik: Das Undenkbare wird denkbar
Trump, Ukrainekrieg, Putin, Gaza: Die Weltordnung scheint aus den Fugen. Deutschland muss eine neue Rolle finden. Im Wahlkampf ist das bisher kaum Thema. Warum?
Auf internationaler Bühne war die Bundesrepublik, auch wegen der vergleichsweise übersichtlichen Kolonialgeschichte, ein allgemein akzeptierter, beliebter Player. Die regelbasierte internationale liberale Ordnung war das natürliche Terrain für bundesdeutsche Softpower – und Leitplanke für blendende Geschäfte. Der Globalisierungsschub nach Ende des Kalten Krieges und der WTO-Beitritt Chinas bescherten der deutschen Wirtschaft eine Exportweltmeisterschaft nach der nächsten, eine Menge gut bezahlte Jobs und Konzernen wie VW gewaltige Gewinne.
Der Krieg ist zurück im Alltag Europas. Die Welt wird neu sortiert und Deutschland sucht darin seine Position. Die taz beobachtet die Kämpfe. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.
All das existiert noch, aber es franst an allen Ecken und Enden aus. Der Westen, ein demokratischer Machtblock, der um die USA zentrierte, ist mit Trump endgültig fragil geworden. Im Osten tritt Russland als aggressiv-imperiale Bedrohung auf. Das deutsche Erfolgsmodell der letzten drei Jahrzehnte ist angeschlagen, vielleicht ruiniert. Es fußte auf drei Faktoren: Man bekam billiges Gas aus Russland, exportierte teure Produkte nach China, für Verteidigung sorgten fast umsonst die USA. Mit Putins Überfall auf die Ukraine und der erneuten Amtszeit von Donald Trump ist das vorbei – auch ökonomisch. Trump droht Europa genauso mit Strafzöllen.
Die EU taugt angesichts dieser Sturmflut von Krisenszenarien nur bedingt als Rettungsanker. Die Neonationalisten wollen die EU zu einer Wirtschaftsgemeinschaft zurückbauen, angelehnt an Russland. Ob die EU als politischer Akteur dauerhaft Le Pen, Wilders, Meloni und die Putin-Fans Kickl und Orbán übersteht, ist offen.
Wohlstand hängt von Außenpolitik ab
Mit Außenpolitik gewinnt man keine Bundestagswahlen – mit zwei Ausnahmen. Der Sieg der SPD 1972 war auch ein Votum für Willy Brandts Ostpolitik. Der Sieg der SPD 2002 war auch ein Votum für Schröders Nein zum Irakkrieg der USA. Sonst sind Brot-und-Butter-Themen zentral vor Bundestagswahlen: Wohlstand, Wirtschaft, Soziales.
2025 ist die Lage anders. Denn der Wohlstand der Bundesrepublik ist stärker als je zuvor mit seiner Außenpolitik verknüpft. Das Ende des deutschen Erfolgsmodells wird teuer. Doch erstaunlicherweise gibt es in diesem Wahlkampf keine markante Kontroverse, welche Rolle Deutschland in der konfus erscheinenden neuen Weltordnung spielen soll. Warum eigentlich?
Es mag paradox anmuten: Aber die Bedrohung all dessen, was in der Bundesrepublik lange als selbstverständlich galt – Nato und Westen, EU und regelbasierte internationale Ordnung – ist vielleicht zu massiv, um darüber einen fundamentalen Richtungsstreit zu führen. Die Abgründe sind schwindelerregend. Das Publikum fühlt sich von Inflation, Ukraine-Krieg, Wirtschaftsbaisse sowieso überfordert. Da ist es wenig erfolgversprechend, vor der Wahl auch noch apokalyptische außenpolitische Szenarien an die Wand zu malen. Im Wahlkampf erscheinen die großen Themen eher klein geraspelt, als rhetorische Unterschiede und strategische Differenzen. Mit einer Ausnahme – dem Geld.
In Sachen Europa sind sich SPD, Grüne und Union im Kern einig: Berlin muss im eigenen Interesse eine ausgleichende Rolle spielen, um eine Implosion der EU zu verhindern. Die Union hat Sympathien für eine gegen Putin gerichtete politisch-militärische Achse Paris-Berlin-Warschau. Aber das ist nur ein Gedankenspiel, das eine mögliche Präsidentin Marine Le Pen sowieso beerdigen würde. Konsens ist: Europa muss, erst recht nach Trumps Sieg, eine eigenständige Rolle spielen. Scholz ist nicht zufällig am Tag nach Trumps Amtseinführung in Paris.
Trump ist die Unbekannte in allen außenpolitischen Szenarien. Wird er die Ukraine opfern, die Nato in Luft jagen, einen Handelskrieg gegen Europa provozieren? Wahrscheinlich kommt es nicht so drastisch. Die USA brauchen Verbündete. Aber mit Trump, dessen Devise lautet „Warum klingeln, wenn man auch die Tür eintreten kann“, ist das bisher Undenkbare denkbar geworden.
SPD, Grüne und Union beteuern im Chor, dass die USA der wichtigste Verbündete bleiben werden. In Denkfabriken werden zwar Szenarien ventiliert, wie ein mit französischen und britischen Atomwaffen bewaffnetes, strategisch autonomes Europa ohne USA aussehen kann – aber das macht sich keine Partei zu eigen. Gerade in einem nach rechts kippenden Europa ist der Weg dorthin ungewiss.
Einen gewissen Dissens gibt es bei der Frage, wie man auf Trump reagiert. Diplomatisch vorsichtig kritisierte Scholz Trumps irre Drohung, Grönland und Panama zu annektieren. Merz warf daraufhin Scholz prompt vor, den US-Präsidenten mit „erhobenem Zeigefinger“ zu reizen.
Malcolm Turnbull, früherer konservativer australischer Ministerpräsident, hat in „Foreign Affairs“ kürzlich anschaulich gezeigt, was trotz aller Ungewissheit von Trump zu erwarten ist. Der sei schon nach 2016 „im Amt eher noch wilder und unberechenbarer als im Wahlkampf“ aufgetreten. Kurzum: Verlass ist nur auf Trumps Unzuverlässigkeit. Turnbull hat aber aus eigener Erfahrung einen Tipp, was hilft. „Wer Tyrannen nachgibt, fördert noch mehr Tyrannei. Der einzige Weg, den Respekt von Leuten wie Trump zu gewinnen, besteht darin, ihnen Paroli zu bieten.“ Bundesdeutsche Unterwürfigkeit gegenüber dem großen Bruder, die man gelegentlich bei der Union findet, dürfte daher das falsche Rezept sein.
Auf den ersten Blick sind die Unterschiede zwischen SPD einerseits, und Union und Grünen andererseits, offensichtlich beim Ukraine-Krieg. Schwarz-Grün will den Taurus, den Marschflugkörper, der bis Moskau Ziele treffen kann, liefern. Scholz pflegt sein Image als besonnener Stratege, der massive Unterstützung der Ukraine mit Stoppsignalen kombiniert. Aber das sind graduelle, keine essenziellen Differenzen. Auch eine Merz-Habeck-Regierung würde die Rhetorik in Sachen Ukraine-Krieg vermutlich dämpfen. Wenn Schwarz-Grün so redet wie Roderich Kiesewetter, wäre das ein Wählerbeschaffungsprogramm für AfD und BSW. Damit würden jene, die Angst vor einer Ausweitung des Krieges haben, in das Lager der Pro-Putin-Ideologen verjagt.
Berlin wird mehr für Militär ausgeben
Fakt ist: Die Unterschiede zwischen SPD und Schwarz-Grün sind kleiner, als es die oft dampfende Rhetorik glauben lässt. Egal, wer die Wahl gewinnt: Deutschland wird im eigenen Interesse die Ukraine weiter mit Waffen und viel Geld unterstützen.
Strittig ist indes, wer das bezahlt. Die Reichen mit Vermögenssteuer, die Mittelschicht mit noch mehr Abgaben oder die Armen via Abbau des Sozialstaates? Denn auch wenn die schlimmsten außenpolitischen Szenarien ausbleiben, wird Berlin mehr Geld für Militär ausgeben. Das gilt sogar im besten Fall, einem baldigen akzeptablen Waffenstillstand in der Ukraine und einem kalten Frieden mit Putin. Der Wiederaufbau der Ukraine, der eine halbe Billion Euro kosten und für Berlin teuer wird, kommt hinzu. Gleichzeitig ist das alte profitable deutsche Wirtschaftsmodell vorbei. Die billige fossile Energie aus Russland wird so wenig zurückkehren wie zollfreie, offene, globale Märkte.
SPD und Grüne wollen angesichts dessen vernünftigerweise die Schuldenbremse lockern. Die Union hingegen entwirft wirtschaftspolitische Wolkenkuckucksheime und scheint einen Abbau des Sozialstaats einer Reform der Schuldenbremse vorzuziehen. Das Mindeste, was im Wahlkampf klar werden sollte, ist, wer für die Krise zahlen soll.
Und die regelbasierte Ordnung, zu der sich alle Mitte-Parteien mit Herzblut bekennen? Sie steht angesichts des globalen Autoritarismus, mit Hinblick auf Trump, Xi und Putin, unter extremem Druck. Deutschland, politisch eine Mittelmacht, ökonomisch eine Weltmacht im Abschwung, hat ein vitales Interesse an zivilen, verlässlichen internationalen Regeln. Gleichzeitig kann es diesen Trend aber nur begrenzt einhegen.
Günstig aber wäre, wenn Deutschland die Ordnung des Rechts auch dann ernst nehmen würde, wenn sie eigenen Interessen zuwiderläuft. Ein Beispiel dafür ist der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, bei dem Berlin sich weigert, ihn zu vollstrecken. Dass noch nicht mal der demokratische Musterschüler die eigenen Regeln befolgt, zeigt, wie zerbrechlich die regelbasierte Ordnung mittlerweile geworden ist. Auch ohne Trump.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musks Hitlergruß
Entscheidend ist der Kontext
Aus dem Leben eines Landwirts
Gerhard versteht die Welt nicht mehr
Israels Kampf im Gazastreifen
Völkermord, im Ernst
Kommunikationswissenschaftler
„Fake News muss man schon glauben wollen“
Trumps erste Amtshandlungen
Grauen in Hülle und Füller
Deutsche Haltung zu Trump
Verbiegen lernen