Deutsch-chinesische Beziehungen: Der China-Schock 2.0 trifft die deutsche Industrie mit Wucht
Lange Zeit machten deutsche Unternehmen auf dem chinesischen Markt gute Geschäfte. Doch das war immer nur ein Deal auf Zeit. Die ist nun vorbei.
Im deutschsprachigen Raum werden sich wohl nur mehr wenige Experten an den sogenannten „China-Schock“ erinnern. Kein Wunder, war man doch selbst nicht von den wirtschaftlichen Disruptionen betroffen, sondern vielmehr dessen Nutznießer. In den USA hingegen, wo der rasante Anstieg chinesischer Exporte ganze Industrien erodieren ließ, sind die traumatischen Erfahrungen während der 2000er Jahre noch tief im kollektiven Gedächtnis verankert.
Was damals passiert ist: Im Zuge von Pekings Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) 2001, der damals von Washington grundsätzlich befürwortet wurde, erhielten chinesische Unternehmen über Nacht Zugang zu den globalen Märkten. Aufgrund ihrer Skalen-Effekte, gemischt mit einer extrem preisgünstigen Fertigung, haben sie die Konkurrenz aus dem Westen schnell überholt.
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) reist am Sonntag zum deutsch-chinesischen Finanzdialog in Peking. Das Treffen diene dem Austausch auf Regierungsebene über die makro-ökonomische Lage und die Zusammenarbeit in multilateralen Gremien, sagte eine Ministeriumssprecherin am Freitag. Dem Minister sei es wichtig, insbesondere über regelbasierten Handel, Rohstoffe und die Ukraine zu beraten. Klingbeil werde von einer Delegation von Vertretern der deutschen Finanzindustrie begleitet.
Ziel sei es, den chinesischen Gesprächspartnern die deutschen Interessen zu vermitteln, sagte die Sprecherin weiter. Am Mittwoch wird Klingbeil demnach nach Shanghai weiterreisen und sich dort mit Vertretern deutscher Unternehmen austauschen, die in China aktiv sind. Am Donnerstag soll es nach Singapur weitergehen: Dort wird der SPD-Politiker den Angaben zufolge unter anderem an hochrangigen bilateralen Gesprächen teilnehmen. (ap)
Doch gleichzeitig hat der chinesische Staatskapitalismus stets mit unfairen Karten gespielt: Die versprochenen Liberalisierungen und Marktöffnungen, die Pekings Parteiführung mit dem WTO-Beitritt versprochen hat, hat sie in vielen Bereichen bis heute nicht umgesetzt. Auch die exzessiven staatlichen Subventionen verstoßen gegen das WTO-Regelwerk. Hinzu kommt eine systematische Währungsmanipulation: Die chinesische Zentralbank hat den Yuan künstlich abgewertet, um die Exporte günstiger zu halten.
Der erste „China-Schock“ traf die USA
Die Disruptionen trafen damals vor allem die USA, weil China vor allem in jenen Branchen die Märkte flutete, in denen zuvor amerikanische Firmen stark vertreten waren: Stahlproduktion, Haushaltselektronik, Textil. Ganze Regionen zwischen der Ost- und Westküste der Vereinigten Staaten waren plötzlich von Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit betroffen. Die sozialen und politischen Umwälzungen wirken bis heute nach. Donald Trumps Wahlerfolge sind durchaus auch eine Folge dieses massiven Strukturwandels.
Rund 20 Jahre später scheint sich die Historie zu wiederholen. Im Zuge der Immobilienkrise und auch dem Ende des Baubooms setzt Peking für sein Wirtschaftswachstum wieder verstärkt auf Exporte. Diesmal jedoch trifft die Konkurrenz aus China nicht mehr die US-Betriebe, sondern die Schlüsselindustrien der Deutschen. Denn praktisch alle Branchen, in denen deutsche Platzhirsche führend waren, hat Xi Jinping in seinen Fünfjahresplänen zur Chefsache auserkoren: das prominenteste Beispiel ist die Autobranche, gefolgt von Chemie, Solarindustrie und Robotik.
Die Statistiken lassen keinen Zweifel: Der alte Exportweltmeister wurde längst von seinem Nachfolger entthront. Deutschland hat mit seiner starken Präsenz auf dem chinesischen Markt während der letzten drei Jahrzehnte zwar immense Gewinne einfahren können. Doch die Unternehmen haben nicht realisiert, dass es sich keineswegs um eine langfristige Handelspartnerschaft handelte, sondern lediglich um einen Deal auf Zeit: Durch erzwungene Joint Ventures und Wissenstransfer hat der chinesische Staat die deutschen Firmen nur so lange geduldet, bis man sie nicht mehr benötigt.
Das Machtverhältnis ist gekippt
An der Handelsbilanz lässt sich das gekippte Machtverhältnis ablesen. Während China immer weniger Produkte aus Europa – und insbesondere auch aus Deutschland – importiert, sind die Exporte von dort im Gegenzug stark angestiegen.
Nun steht Deutschland vor einem scheinbar unlösbaren Dilemma: Wie es nämlich umgehen soll mit einer Volkswirtschaft, von der man sich stark abhängig gemacht hat, jedoch vom gemeinsamen Handel immer weniger profitiert?
Natürlich könnte die Bundesrepublik – beziehungsweise der gesamte EU-Raum – das chinesische Modell kopieren, um wettbewerbsfähig zu werden. Bei näherer Betrachtung erscheint dies nicht wünschenswert: Denn der Erfolg der Chinesen beruht nicht nur auf einem gelenkten Staatskapitalismus, sondern auch auf einer künstlichen Abwertung der eigenen Währung und der Arbeitslöhne. Anders ausgedrückt: Der Erfolg der chinesischen Volkswirtschaft wird in Teilen auf dem Rücken der Privathaushalte ausgetragen, die nicht ausreichend von den immensen Exporterfolgen profitieren.
Was Deutschland von China lernen kann
Sehr wohl sollte Deutschland allerdings in einigen anderen Punkten von der Industriepolitik Chinas lernen: Peking hat gezielt strategische Zukunftsbranchen ausgewählt und dort systematisch ein fruchtbares Ökosystem etabliert, in dem wettbewerbsfähige Betriebe gedeihen konnten. Ebenso ist die Volksrepublik so konsistent vorgegangen, wie es Demokratien kaum schaffen. Denn jene Planbarkeit, die deutsche Unternehmen im Zuge wechselnder Koalitionen zu Recht bemängeln, ist in den chinesischen Fünfjahresplänen tief verankert.
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