Deutsch-chinesische Beziehungen: Peking will ein „Weiter so“
Chinesische Kommentatoren schätzen Kanzler Scholz als relativ pragmatischen Politiker. In den sozialen Medien wird er aber vor allem mit Häme bedacht.
Zhao betonte hingegen, China und Deutschland seien strategische Partner, die jetzt auf 50-jährige erfolgreiche Beziehungen zurückblickten. Dabei verbat er sich jegliche Stellungnahme der USA zum umstrittenen Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco in ein Hamburger Hafenterminal und machte zugleich deutlich, dass Pekings Umgang mit den Uiguren in Xinjiang Chinas innere Angelegenheit sei.
Die Volksrepublik achte und schütze stets die Menschenrechte, so der Sprecher. Scholz hatte hingegen geschrieben, Chinas Menschenrechtsverletzungen kritisch ansprechen zu wollen.
Die historische Dimension seiner Reise steht auch in Peking außer Frage. Xi Jinping hat bewusst Scholz als ersten Vertreter eines G7-Staates seit der Coronapandemie nach Peking eingeladen. Er kommt als erster westlicher Regierungschef nur wenige Wochen nach dem 20. KP-Parteikongress, bei dem sich Xi zu einer dritten Amtszeit krönen ließ. Sicher werden die Staatsmedien den Besuch des Deutschen propagandistisch ausschlachten.
China möchte Europa nicht völlig an die USA verlieren
Doch der Zeitpunkt von Scholz’ Besuch ist aus Sicht Pekings auch aus anderen Gründen entscheidend: China hat derzeit aufgrund von Corona-Lockdowns und Immobilienkrise massive Wirtschaftsprobleme. Zugleich sind die Beziehungen mit den USA in einer bodenlosen Negativspirale, wobei der gesamte Westen zunehmend den transatlantischen Schulterschluss sucht.
Umso wichtiger ist es für Xi, Europa nicht ganz an die USA zu verlieren. In Europa ist Deutschland in den Augen der Chinesen mit Abstand der wichtigste Partner. Das zeigt sich schon am bilateralen Handelsvolumen, das im Jahr 2021 245 Milliarden Euro betrug – rund 30 Prozent des gesamten Warenaustauschs zwischen China und der EU.
In den Staatsmedien erhält Scholz deshalb viele Vorschusslorbeeren. Sein Besuch signalisiere jetzt für die bilateralen Beziehungen einen „Aufschwung“, schreibt etwa das Parteiblatt China Daily. In der nationalistischen Global Times hingegen wird zugleich gewarnt, der Kanzler müsse sich „auf pragmatische Zusammenarbeit konzentrieren, nicht auf Geopolitik“. Dann sei es „denkbar, dass der Pragmatismus deutscher Unternehmen auf dem chinesischen Markt belohnt“ werde.
Man wünscht sich in China also ein „Weiter so“ der Ära Merkel. Die frühere Kanzlerin hatte zwar auch immer wieder kritische Punkte angesprochen. Doch im Zentrum standen stets wirtschaftliche Interessen. Dass nun Scholz in Merkels Fußstapfen tritt, dürfte sich als Wunschdenken der chinesischen Führung herausstellen.
Scholz solle China als größten Handelspartner halten
Doch dass der Hanseate trotz großer Kritik zu Hause nach China reise, nehmen Kommentatoren als begrüßenswerte „Überwindung der US-Einmischung“ wahr. So schreibt Bao Ming, ein Ex-Militärgeneral, in seinem Blog, dass zwischen China und Deutschland – im Gegensatz zu den USA – zumindest noch die Hoffnung bestehe, „die wirtschaftliche und handelspolitische Zusammenarbeit weiter auszubauen“. Überhaupt sei für Scholz die beste Option, „China als größten Handelspartner zu halten“.
Doch die Eigenwahrnehmung vieler chinesischer Publizisten täuscht. Von Wirtschaftsbeziehungen hat zuletzt überproportional China profitiert. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt der Volksrepublik haben Chinas Einfuhren aus Deutschland schon 2004 ihren Höhepunkt erreicht und nehmen seither kontinuierlich ab.
Auch in absoluten Zahlen ist seit einer Dekade eine Stagnation zu beobachten, zuletzt gar ein deutlicher Abwärtstrend. Chinas Exporte nach Deutschland sind hingegen immer weiter gestiegen. Allein im ersten Halbjahr betrug Chinas Handelsüberschuss gegenüber der Bundesrepublik knapp 41 Milliarden Euro.
Häme: Scholz hole Heizdecken für sein frierendes Volk
Auf der Online-Plattform Weibo machen sich Chinesen derzeit vor allem lustig über die Wirtschaftsprobleme der Deutschen. Chinesen mokieren sich schadenfroh über die massive Inflation und die rekordverdächtigen Energiepreise.
In diesem Licht wird auch der Kanzlerbesuch betrachtet: Scholz käme angedackelt, um „ein paar Heizdecken“ für sein frierendes Volk zu holen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Wohnen, Steuer und ein „Energie-Soli“