Derbywochenende in Hamburg: Sozialdemokratie mit Ausstrahlung
Am Sonntag spielt die SPD gegen die Grünen. Tags zuvor steigt das kleine Derby zwischen dem HSV und St. Pauli – kein Duell auf Augenhöhe.
Die Republik blickt an diesem Wochenende auf Hamburg – wegen des Hamburger Derbys. Am Sonntag stehen sich SPD und Grüne gegenüber. Vorher, am Sonnabend, kommt es noch zum „kleinen Derby“ in der Hansestadt, allerdings nur in der zweiten Fußball-Bundesliga, zwischen dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli. Und zwischen beiden Events gibt es so manche Parallele.
Da sind zunächst mal die Akteure: Der Hamburger SV ist sozusagen die SPD des bezahlten Fußballs. Wie die einstige Arbeiterpartei beruft sich der 1887 gegründete Verein vor allem auf seine große Tradition und zehrt von vergangenen Erfolgen. Und beide profitieren in der Krise offenbar von einem Mitleidseffekt bei ihren Anhängern: Die Hamburger SPD gewann 2017, in jenem Jahr, in dem die Partei bei der Bundestagswahl auf 20 Prozent abstürzte, fast 10 Prozent Mitglieder hinzu, der HSV im Jahr des Abstiegs aus der Bundesliga 2018 ebenfalls.
Wenn die SPD im Wahlkampf proklamiert, sie habe „die ganze Stadt im Blick“, kann der HSV das für sich längst auch in Anspruch nehmen: Seine Fans kommen aus allen Schichten, aus dem ganzen Stadtgebiet – und weit darüber hinaus.
Die Anhänger*innen des FC St. Pauli hingegen, die gern den Mythos vom „Arbeiterclub“ bemühen, stammen vor allem aus den akademisch geprägten Milieus in den angesagten innerstädtischen Vierteln rund um das Millerntor-Stadion. Von dort, wo die Grünen schon bei der Bürgerschaftswahl vor fünf Jahren um die 20 Prozent geholt hatten. Beim Derby am Millerntor im vergangenen September machten sich die Ultras des Hamburger SV den Spaß, ein Banner mit dem Spruch „Wir, die blau-weiß-schwarze Masse, stellen Hamburgs Arbeiterklasse“ hochzuhalten. Und direkt an die St. Pauli-Fans gerichtet: „Studium und Volontariat machen euch noch lange nicht zum Proletariat.“
Stabiler Hamburger SV
Am Ende hatte der Akademiker-Club den HSV mit 2:0 besiegt, zum ersten Mal am Millerntor seit 60 Jahren. Für den HSV war es die erste Niederlage in einer Saison, in der er – wieder mal – zum Aufstieg verdammt ist. Den Verein drücken Schulden von rund 100 Millionen Euro. Wie soll er eine weitere Saison in der zweiten Liga überstehen?
Die Mannschaft des HSV hat die Derby-Niederlage vom September nicht umgeworfen. Sie liegt konstant in den Aufstiegsrängen. Geführt wird das Team dabei mit fast schröderhaft ruhiger Hand von Trainer Dieter Hecking, einem väterlichen Typ mit ursozialdemokratischer Ausstrahlung, der auch schon mal auf einem Podium mit Niedersachsens SPD-Ministerpräsidenten Stefan Weil darüber klagt, dass Fußballprofis eigentlich überbezahlt seien.
Dieter Hecking hat im Winter noch einmal ordentlich Verstärkung aus der Bundesliga dazubekommen: Der österreichische Nationalspieler Louis Schaub kam aus Köln, der Finne Joel Pohjanpalo aus Leverkusen. Sie haben das Offensivspiel merklich belebt, das Gladbacher Talent Jordan Beyer hat sich auf Anhieb rechts in der Abwehrkette festgespielt. Zusammen könnten sie den Ausschlag dafür geben, dass der Hamburger SV nicht wieder von seiner traditionellen Rückrundensklerose befallen wird.
Der FC St. Pauli hat dagegen seit dem Derbysieg gerade mal 3 von 17 Spielen gewonnen und taumelt offenbar wehrlos dem Abstieg entgegen. Im Winter wurde mit Spielmacher Mats Møller Dæhli der beste Mann an den KRC Genk nach Belgien verkauft – offenbar in der gewagten Annahme, gewinnen lasse sich in dieser Saison sowieso nichts mehr, aber der Abstieg lasse sich auch ohne den Norweger vermeiden.
Auf dem Weg in die Zweitliga-Wüste
So ist es ein Derby, das deutlich weniger Augenhöhe verspricht als noch vor ein paar Monaten das am Millerntor. Und wenn sich die gegenwärtigen Tendenzen fortsetzen, wird es auf absehbare Zeit auch das letzte sein. Im Extremfall könnte in der kommenden Saison sogar eine ganze Liga zwischen den Lokalrivalen liegen – und Hamburg von der Zweitliga-Hauptstadt zur Zweitliga-Wüste werden.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Apropos Augenhöhe: Die hatte es zwischen SPD und Grünen in Hamburg zwischenzeitlich auch gegeben, Ende Januar lagen die beiden Parteien in Umfragen gleichauf. Aber inzwischen ist die SPD wieder viel mehr HSV, und die Grünen sind, nun ja, wieder mal nur Umfragemeister. Bis zu 15 Prozentpunkte sehen die Demoskopen mittlerweile zwischen beiden Parteien.
Es ist natürlich reiner Zufall, dass Katharina Fegebank, die Spitzenkandidatin der Grünen, Anhängerin des FC St. Pauli ist. Und SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher? Der gab sich bei einem legendär verunglückten Fernsehauftritt im NDR-Sportclub als HSV-Sympathisant zu erkennen. Wie er im Interview rumeierte, deutete allerdings eher darauf hin, dass der Mann von Fußball keinen blassen Schimmer hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung