Der sonntaz-Streit: „Wunderbar und dringend nötig“
Wer seine Kinder anleint, sollte sich vorher erst mal selbst anleinen, meint „Super Nanny“ Katharina Saalfrank. Andere finden: super Signal!
Den Gurt um die Schulter legen und dann nicht mehr loslassen: Kinderlaufgurte werden mittlerweile von vielen Babyausstattern angeboten. Sie werden dem Nachwuchs umgebunden, um ihn in Reichweite zu halten und nicht auf offene Straßen laufen zu lassen. Sie werden verkauft, sie werden benutzt – und sie erinnen an Hundeleinen. Kann das gut für Kinder sein?
„Nein“, sagt die Diplompädagogin Katharina Saalfrank, bekannt aus dem TV-Format „Die Super Nanny“, im sonntaz-Streit der Woche. Eltern, die eine Kinderleine in Erwägung ziehen, schlägt sie zunächst den Selbstversuch vor: „Lassen Sie sich einige Stunden konsequent in der Stadt an der Leine halten.“ Das sei durchaus vergleichbar. „Auch Kinder haben schon sehr früh eine genaue Empfindung von Würde.“ Kinder bräuchten den direkten Kontakt zu Eltern, keine Leine. „Das ist auch mal anstrengend für die Eltern, ja!“
Auch Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, meint, Verantwortung für Kinder zu übernehmen sei zwar anstrengend und manchmal nervig. Aber „für das Wertvollste, das unsere Gesellschaft besitzt, darf das auch so sein“. Kinderlaufgurte hält er für nichts anderes als verschönerte Hundeleinen. Das Anleinen, schreibt er: „Ein klarer Verstoß gegen die Menschenwürde – und die hat kein Mindestalter!“
In Einzelfällen könnte es sogar rechtlich als Verstoß gelten. Ein Kind anzuleinen, so argumentiert Giuseppe M. Landucci, Rechtsanwalt für Familienrecht aus Köln, sei erniedrigend. „Wer sein Kind in der Stadt anleint, gibt es der Lächerlichkeit preis.“ Es könne „unter Umständen eine Freiheitsberaubung“ darstellen.
Während Westkinder erben, gehen im Osten viele leer aus. Wo 25 Jahre nach dem Mauerfall eine neue Grenze verläuft, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 4./5. Oktober 2014. Außerdem: Bevor Schauspieler Udo Kier 70 wird, verrät er, wie er am liebsten sterben will. Und: Kinder an die Leine? „Verstoß gegen die Menschenwürde“ oder „wunderbar und dringend nötig“? Der Streit der Woche. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Hierin scheinen sich Juristen nicht einig zu sein. Thomas Breitenbach, Rechtsanwalt und Mediator aus Göttingen, glaubt, Eltern, die ein Kindergeschirr benutzen, setzten es ja im Sinne des Kindeswohls ein – und das sei „im gesamten Familienrecht wesentliches Kriterium der Interessenabwägung zwischen den Rechten des Kindes und den Rechten derer, die mit Kindern zu tun haben.“ Dazu gehöre jedoch, die Leine zu gegebener Zeit wieder zu lösen.
Leine? Auf jeden Fall, findet Thomas Lindemann, Ko-Autor des Bestsellers „Kinderkacke“. Kindererziehung sei schließlich der anstrengendste Job der Welt. „Ich hab beim Film große Leuchten geschleppt und bin im Schwarzwald verkatert einen Tausender hochgestiegen. Alles ein Witz dagegen.“ Jeder, der Kinder habe, habe doch insgeheim schon mal eine solche Leine gewollt. „Wenn das Tabu nun fällt, ist das zwar barbarisch“, schreibt er in der sonntaz. „Als Signal im öffentlichen Raum aber wunderbar und dringend nötig.“
Die Streitfrage in dieser Woche beantworten außerdem Ann-Dorothee Schlüter, Kostümhistorikerin mit dem Schwerpunkt Kinderkleidung; Ute Glaser, Autorin vieler Erziehungsratgeber sowie taz-Leser Manuel Belig und taz-Leserin Katja Hoppe in der taz am wochenende vom 4./5. Oktober 2014.
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