Der neue Asterix: Selbst die Wildschweine werden soft
Die Achtsamkeit erobert Gallien: Im neuen Asterix-Comic „Die weiße Iris“ unterwandert ein janusköpfiger Guru das widerständige Dorf.
„Die Blüte einer einzigen Iris erleuchtet den Wald.“ Wer so salbungsvoll spricht, muss ein weiser Mann sein, selbst wenn es ein Römer ist! Das gallische Dorf beobachtet den Besucher mit den graumelierten Haaren zunächst argwöhnisch, doch dessen sanfter Predigerton setzt selbst die gewohnten Haudrauf-Reflexe eines Obelix außer Kraft.
Positives Denken, gesunde Ernährung und Jogging werden über Nacht im Dorf der neueste Schrei. Und Gutemine, die Frau des Häuptlings Majestix, erliegt ganz den blumigen Worten des Charmeurs, der ihr eine weiße Iris überreicht …
Didier Conrad, Fabcaro: „Asterix – Band 40: Die Weiße Iris“. Egmont-Verlag Stuttgart, 2023. 48 Seiten, 8 Euro
„Die weiße Iris“ ist der inzwischen 40. Band der Asterix-Reihe, die der französische Autor René Goscinny mit seinem Landsmann, Comiczeichner Albert Uderzo 1959 ersonnen haben.
Obwohl die Urheber bereits verstorben sind, erscheinen weiterhin alle zwei Jahre neue Abenteuer um die sympathisch-kauzige Dorfgemeinschaft, nun von Didier Conrad gezeichnet und von Jean-Yves Ferri geschrieben. Letzterer gönnte sich nach fünf erfolgreichen Alben eine Auszeit, der Text des neuen Bandes stammt von Fabrice Caro (Fabcaro) – der in Frankreich ein populärer Autor humoristischer Romane und Comics ist.
Gründer einer neuen Denkschule
Dessen bisher nicht ins Deutsche übersetzten Werke sind Sozialsatiren, die von ihrem absurden Sprachwitz leben. Gute Voraussetzung für einen Asterix-Szenaristen. Mit „Die weiße Iris“ knüpft er an die Tradition jener Asterix-Geschichten an, die vorwiegend im gallischen Dorf spielen und mit einer von außen kommenden Bedrohung konfrontiert werden.
Dabei greift Fabcaro auf manch bereits etablierte Situation zurück. Zu Beginn wird der wortgewaltige Fremde namens Visusversus – der Name enthält die lateinische Floskel „vice versa“ und verweist auf die Janusköpfigkeit seiner Person – als „oberster Medicus“ der römischen Armeen aus Cäsars erlauchtem Umkreis vorgestellt. Als Gründer einer neuen Denkschule, die den Namen der in der Antike mit vielseitigen Bedeutungen aufgeladenen Irisblüte trägt, soll der philosophierende Arzt das gallische Dorf unterwandern, es endgültig entwaffnen und unterwerfen.
Ein ähnliches Erzählmuster liegt auch den von Goscinny geschriebenen Alben „Der Seher“, „Streit um Asterix“ und „Obelix GmbH & Co. KG“ zugrunde: Ein Störenfried kommt ins Dorf, um die Bewohner zu verführen, Zwietracht zu säen und sie letztlich außer Gefecht zu setzen. Bei Fabcaro wird der charismatische, nur vordergründig sanftmütige Visusversus zum Guru, der die sonst notorisch auf Krawall gebürsteten Gallier mit seinen frommen Sprüchen einlullt: Achtsamkeit statt Prügeleien, Sanftheit statt Gebrüll, veganes Essen statt gebratenes Wildschwein.
Wenn die ebenfalls der Iris-Lehre erlegenen, verweichlichten Römer sich gerne von Asterix und Obelix verprügeln lassen, ja selbst die Wildschweine anschmiegsam werden, ist das unterhaltsam. Im Hause Majestix führt der Wandel gar zu einer Ehekrise zwischen dem Häuptling und seiner Frau Gutemine.
Seitenhieb auf die Gegenwart
Asterix durchschaut die Hinterlist des Eindringlings und verweist Visusversus des Dorfes. Gutemine aber folgt dem Schöngeist nach Lutetia, was Ehemann Majestix in eine handfeste Depression treibt. Um Gutemine zurückzuholen, begleiten Asterix und Obelix Majestix in die Stadt.
Wie es gute Tradition bei „Asterix“ ist, erscheint die Weiße-Iris-Lehre als Seitenhieb auf heutige Verhältnisse. Gemeint ist unsere Wohlstandsgesellschaft, in der die Zeitgeistthemen häufig wechseln: Achtsamkeit und empathische Sprache sind neuere Trends, während positives Denken und gesunde Ernährung schon länger en vogue sind.
Lutetia wird als dekadente, da von den Römern beeinflusste Metropole beschrieben, in der die hippe Iris-Philosophie bereits etabliert ist. Tretrollerfahrer stören den Verkehr, moderne Kunst von „Banksix“ wird gehyped, während „gravierte Seestücke“ aus dem gallischen Dorf als provinziell gelten.
Fabcaro gelingen so schöne Spitzfindigkeiten, die in ihrem satirischen Biss jedoch bei weitem nicht die Pointiertheit eines Goscinny erreichen. Zeichner Conrad lehnt seine Charaktere gerne an reale Personen an. Diesmal ähnelt Visusversus dem umtriebigen französischen TV-Philosophen Bernard-Henri Lévy. Bei aller Routine fehlt Conrad in puncto Gallier-Mimik etwas die Raffinesse. Uderzo verstand es, Asterix und Co differenziertere Reaktionen zu entlocken.
Der neue Band ist gewohnt unterhaltsam, provoziert manchen Schmunzler und rührt an, wenn Majestix ohne seine geliebte Gutemine ins Jammertal stürzt. An die Klasse älterer Abenteuer wie „Der Seher“, die im Dialog weniger geschwätzig und in der grafischen Umsetzung deutlich stimmungsvoller ausfielen, reicht es nicht ran.
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