Der Wahlkampf 2021: Hoffnung auf Veränderung

Durchaus ein spannender Wahlkampf: Endlich wurden wieder Unterschiede sichtbar. Das Bekenntnis zum Klimaschutz war wichtiger als das zur Nato.

Olaf SCholz, Annalena Baerbock, Armin Laschet in einem fernsehstudio

Wechselstimmung im Wahlkampf: Ei­ne*r wird gewinnen Foto: Michael Kappeler/dpa

Wer pessimistisch in die Zukunft blickt, kann schon vor dieser Bundestagswahl verzweifeln. Die Welt, so viel ist klar, wird auch nach dem 26. September nicht gerettet werden. Ja, nicht einmal das kleine Deutschland wird sich in einen progressiven Wunderstaat verwandeln, der allen zeigt, wie’s geht. Für die wichtigsten Probleme, also die Klimakatastrophe, soziale Ungerechtigkeit, globale Spannungen, Flucht und Rassismus, hat keine Partei die Lösung.

Und doch gibt der Verlauf dieses Wahlkampfs durchaus Grund zur Hoffnung. Alles in allem überwiegen die Fortschritte. Nach 16 Jahren ist die Gesellschaft wieder politisiert und debattenfreudig. Anders als in den lähmend langweiligen Wahlkämpfen der Ära Merkel, in denen die Siegerin schon vorher feststand, herrscht echte Wechselstimmung. Sogar der gute alte Straßenwahlkampf zieht wieder Menschen an. Weil der Ausgang endlich wieder offen ist und endlich wieder echte Unterschiede spürbar wurden. Vor allem, aber nicht nur beim Thema Klima.

Es stimmt nicht, dass der Klimaschutz vor lauter Lärm um den Lebenslauf von Annalena Baerbock und den Lachanfall von Armin Laschet unterging, wie oft behauptet wird. Zu diesem Fazit kann nur kommen, wer die Erkenntnisgewinne der Deutschen ausschließlich an den Stimmenzuwächsen für die Grünen misst. Diese fallen nun wohl geringer aus als anfangs prognostiziert.

Aber das heißt nicht, dass die anderen nichts kapiert hätten. Der wichtigste Erfolg der Grünen war nie ihr eigener Prozentsatz, sondern ihr Druck auf die politische Konkurrenz, auch ökologischer zu handeln. Und dieser Druck steigt eindeutig weiter. Manchmal zu stark, wie bei einer bizarren Aktion prominenter Grünen-Fans, die Enkelkinder dazu drängten, vorgestanzte Angstbriefe an ihre Großeltern zu schicken, um diese zur Wahl der Grünen zu bewegen. Solche Moralattacken dürften eher geschadet als genutzt haben.

Nachhaltig geholfen hat hingegen das Karlsruher Gerichtsurteil zum Klima. Seitdem bemühen sich viele, mehr Tatendrang zu zeigen. Eine höhere CO2-Bepreisung ist bereits beschlossen. Das Bekenntnis zum Klimaschutz wurde deutlich häufiger abgelegt als das zur Nato. Selbst Marktschreier Christian Lindner ist jetzt für einen CO2-Deckel, also staatliche Eingriffe in den Kapitalismus, und SPD-Kandidat Olaf Scholz verspricht, ein „Kanzler für Klimaschutz“ zu werden. Ob das verlogen oder ernst gemeint ist, wird sich zeigen, falls er ins Amt kommt. Das alles ist sicher noch viel zu wenig, aber einen breiteren Konsens für die Grundrichtung zu mehr Klimaschutz gibt es nur in wenigen anderen Ländern.

Noch ein Fortschritt: Auch die So­zial­politik stand wieder mehr im Fokus. Ausgerechnet Langsamredner Scholz schaffte es, die SPD aus ihrer Lethargie zu wecken und ihren alten Markenkern neu herauszuputzen. Die Versprechungen sind nicht revolutionär, aber konkret und einprägsam: 12 Euro Mindestlohn und höhere Steuern für Reiche – also auch für Scholz selbst, wie er stets geschickt hinzufügt. Wie das mit der FDP gehen soll, bleibt indes sein Geheimnis.

Doch bleiben wir beim Erfreulichen: Die Grünen haben klargestellt, dass sie den sozialen Ausgleich nicht vergessen haben. Die Linke zeigt sich regierungswilliger als früher. Die Chancen für Mitte-links-Koalitionen sind gestiegen, weil die Union einen extrem schwachen Kandidaten hat. Und weil die AfD vom Coronamissmut bisher kaum profitiert. Dass Rechtsradikale in Krisenzeiten nicht gewinnen, sondern sogar verlieren, wäre das schönste Ergebnis der Wahl. Und ein Hinweis darauf, dass Dauerhetze in sozialen Medien doch nicht so stark verfängt wie oft befürchtet.

Sogar eine rot-grün-rote Mehrheit scheint möglich. Ob sie auch genutzt wird, wäre dann die nächste Frage. Auf dem langen Weg zur Weltrettung war dieser Wahlkampf jedenfalls kein schlimmer Tiefpunkt, sondern immerhin ein kleiner Schritt voran.

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seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens

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