Der Tod in Corona-Zeiten: Jenseits des Privilegs
Vor welchen Fragen wir uns im neuen Jahr nicht drücken dürfen: Welches Sterben halten wir für menschenwürdig und wie können wir es gewährleisten.
ber Corona schreiben, davor habe ich mich bisher gedrückt. Muss ich ausgerechnet jetzt, wo wir auf dieses neue, dieses verdammt noch mal bessere Jahr schauen, damit anfangen? Ja.
Denn das hier ist eine Kolumne über den Tod. Der ist im Moment allgegenwärtig, selbst wenn die meisten von uns das nicht wahrhaben wollen.
Tatsache ist: Wir, die es schaffen, ihn zu verdrängen, gar zu leugnen, haben Glück. Wir haben das Privileg, keine Vorerkrankung zu haben, nicht alt zu sein, keinen nahen Menschen durch das Virus verloren zu haben, wir bleiben zu Hause, weil wir es uns leisten können, haben ein Zuhause.
„Das Krematorium ist so voll, dass die Särge übereinandergestapelt im Feierraum stehen. In der Kühlung stehen Dreiviertel der Särge mit dem Covid-Aufkleber“, twitterte die Berliner Bestatterin und Trauerbegleiterin Sarah Benz. Zeitungen berichten von mehr als 1.000 Toten täglich und insgesamt um die 35.000 Menschen, die an Covid-19 gestorben sind.
Unerträglich hilflos
Ich habe mich davor gedrückt, über Corona zu schreiben, weil ich mich in dieser Situation unerträglich hilflos fühle. Es sind nicht nur die Zahlen, die noch vor einem Jahr unvorstellbar gewesen wären, auch das Sterben ist ein anderes geworden.
Ich habe mich vor vier Jahren zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin ausbilden lassen, weil ich glaube, dass es einen Unterschied macht, wie wir sterben. Deshalb gehen wir Ehrenamtlichen zu Wildfremden nach Hause und fragen sie, was sie in ihren letzten Lebenswochen und -monaten brauchen. Oftmals ist das nicht mehr, als da zu sein, den Menschen das Gefühl zu geben, am Ende nicht alleine zu sein.
2020 war das Jahr des einsamen Sterbens, und es ist noch lange nicht vorbei. Als es im März mit der Pandemie losging, standen bei uns im Hospizdienst die Telefone still. Angehörige hatten Angst, Sterbebegleiter*innen in ihre Wohnungen zu lassen, Pflegeeinrichtungen machten dicht. Von Krankenhäusern kamen keine Anfragen, weil das Personal gebraucht wurde, um die erste Welle der Pandemie zu managen.
Auch die Verunsicherung unter den Sterbebegleiter*innen war groß – auch deshalb, weil viele 60 Jahre und älter sind und damit selbst zur Risikogruppe gehören. Mittlerweile wurden Schutzkonzepte und spezielle Begleitteams aufgestellt, die trotz der schwierigen Situation ihre Arbeit weitermachen können. Trotzdem fallen an allen Ecken und Enden sterbende Menschen durchs Raster, weil es an Kapazitäten fehlt. Und wer an Covid-19 stirbt, stirbt aufgrund der strengen Hygienemaßnahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit alleine auf einer Intensivstation.
Welches Sterben halten wir für menschenwürdig und was braucht es, um ein solches gewährleisten zu können? Vor diesen Fragen sollten wir uns nicht drücken – nicht am Anfang des neuen Jahres und vor allem nicht in Zeiten von Corona.
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