Der TXL-Volksentscheid und die FDP: Ganz so dumm sind die Leute nicht
Man kann die Liberalen nicht für alles bashen. Für den Inhalt des Volksentscheids, okay. Aber machen sie damit wirklich die Demokratie kaputt?
Nur noch dieses Wochenende, dann haben wir es geschafft: Das Thema „Tegel offenhalten“ wird ganz schnell erledigt sein. Oder? Die Debatte könnte sich auch weiterdrehen, ganz im Sinne der FDP, die die Kampagne in erster Linie dazu genutzt hat, sich selbst wieder ins Gespräch zu bringen, und nun hofft, einen Keil in die Senatskoalition zu treiben. Dass ihr auch Letzteres gelingt, ist nicht wahrscheinlich, aber man hat schon Pferde kotzen sehen.
Wenn alle Kreuzchen bei „Ja“ oder „Nein“ gemacht sind, sollten wir uns ruhig noch einmal die Frage stellen, die viele KritikerInnen des Volksbegehrens bereits abschlägig beantwortet haben: War das Ganze eine legitime Aktion? Nein, sagen PolitikerInnen von Rot-Rot-Grün und viele andere Tegel-GegnerInnen, hier wurde das Wahlvolk nach Strich und Faden verarscht. Ist das so?
Vor allem zwei Kritikpunkte werden immer wieder geäußert. Nr. 1 lautet: „Wenn das Ziel des Volksbegehrens wirklich erreichbar wäre, hätte die FDP gleich ein Gesetz formulieren können, das per Volksentscheid verabschiedet würde. Hat sie aber nicht. Am Ende werden alle, die mit ‚Ja‘ abgestimmt haben, enttäuscht sein, dass nichts passiert. So etwas befördert Politikverdrossenheit.“
Das ist, mit Verlaub, Unsinn. Ein Tegel-Weiterbetrieb – ob nun politisch richtig oder falsch – wäre rechtlich betrachtet nicht nur wenig aussichtsreich, sondern auch extrem komplex und gar nicht von Berlin alleine zu bewältigen (siehe Seite 43). Das hätte kein Gesetzentwurf leisten können. Der Appell, der zur Abstimmung steht, soll einfach politischen Druck erzeugen, und das dürfte den meisten, die zur Wahl gehen, klar sein. Ganz so doof sind die Leute nicht. Und gäbe es dieselbe Kritik an einem Volksbegehren mit genehmerem Inhalt?
Kritik Nr. 2: „Eine Partei sollte kein Volksbegehren initiieren dürfen. Sie missbraucht damit ein Instrument, das eigentlich Bürgerinitiativen, also Bewegungen von unten, an der Gesetzgebung teilhaben lassen soll. Parteien wie die FDP betreiben damit Populismus reinsten Wassers, weil sie für die Vermittlung ihres Anliegen viel mehr Mittel haben als irgendeine gesellschaftliche Interessengruppe.“ Diese Kritik wurde auch in der taz geäußert.
Ein bisschen mehr ist da schon dran – aber auch nur ein bisschen. Was genau spricht dagegen, dass eine Partei ein Thema lanciert oder aus der Bevölkerung aufgreift und zuspitzt? Parteien sind letztendlich auch nur Nichtregierungsorganisationen zum Zwecke der Meinungsbildung, jedenfalls wenn sie nicht im Parlament vertreten sind, wie die FDP zu Beginn ihrer Kampagne. Zu glauben, dass allein das mutmaßlich höhere Budget es einer Partei ermöglicht, die Meinung der Allgemeinheit zu drehen, unterschätzt die Denkfähigkeit der Bevölkerung wieder massiv.
Eher schon liegt es im Bereich des Möglichen, dass gerade die parteipolitische Vereinnahmung des Themas durch FDP, AfD und CDU das hochfliegende Projekt am Ende doch noch zum Absturz bringt. Wenn das „Nein“ knapp gewinnen sollte (s. kotzende Pferde), dürfte es auch daran liegen, dass genügend WählerInnen keine Lust hatten, sich für ein mehr als gewagtes Projekt vom rechten Lager politisch instrumentalisieren zu lassen. Das Sponsoring durch Ryanair tat da ein Übriges.
Zumindest wird jetzt diskutiert
Und seien wir doch mal ehrlich: Die von der Tegel-Kampagne ausgelöste gesellschaftliche Debatte war breit, engagiert und oft genug auch differenziert. Das bedeutet keineswegs, dass jeder mit dem Ergebnis vom Sonntagabend, wie auch immer es lautet, einverstanden sein muss. Aber es bedeutet, dass es trotz allem so etwas wie eine demokratische Kultur im Land gibt. Und das ist doch erfreulich – so erfreulich wie die Tatsache, dass das Thema jetzt endlich vom Tisch ist. Oder doch nicht?
Dieser Text ist Teil des Wochenendschwerpunkts der taz.berlin. Darin außerdem: Alle Fragen und Antworten zum Volksentscheid Tegel. Und was dort geplant ist, wenn die Flieger schweigen. Am Sonnabend, am Kiosk oder in Ihrem Briefkasten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren