Der Krähenkrieg von Soest: Die Krähenflüsterin

In Soest brüten über tausend Krähenpaare. So mancher Bürger hasst und bekriegt sie. Elvira Wahab kämpft für die Vögel.

Ein Krähe auf einem kahlen Ast: Es gibt Menschen, die mögen diese Vögel nicht. Bild: dpa

SOEST taz | Die Bürger von Soest lassen sich einiges einfallen, um die Saatkrähen aus ihrer Stadt zu vertreiben. Mit Feuerwerkskörpern, mit Laserpointern stören sie die Vögel. Ein Vorschlag hat es sogar in die Leserbriefspalte vom Soester Anzeiger geschafft. Er lautet: Erschießen und die toten Krähen in die Bäume hängen! Hunde werden, so wird erzählt, auf die Vögel gehetzt. Gelegenheit dazu haben sie, wenn aus dem Nest gefallene Junge am Boden gefüttert werden. "Das machen Krähen nämlich", sagt Elvira Wahab. "Krähen sind klug, lernfähig und sozial."

Elvira Wahab ist die Gegenspielerin der Soester Krähenhasser. Ihre langen, welligen Haare schimmern so dunkel wie das Gefieder der Vögel. "Krähen-Elvira" wird die Frau auch geschimpft.

Sie wohnt in der Nähe des Bahnhofs, wo viele Tiere nisten. Vom Fenster aus kann sie sehen, wie Krähen vertrieben werden. Sie filmt es und stellt es ins Netz. Verwackelt im Hintergrund taucht einmal auch ein Krähenvergrämer auf. Wer sich in Soest nicht auskennt, erkennt wenig. Aber in der westfälischen Stadt mit 50.000 Leuten, wo die Enge innerhalb der alten Stadtmauer Gewohnheit ist, destillieren Einheimische selbst aus einem unscharfen Schatten eine Biografie. So meint Wahab auf den Bildern sogar honorige Bürger zu erkennen.

Sie kann nicht verstehen, dass Krähen so geschunden werden. Seit 1994 lebt sie in Soest. Lange war sie Hausmeisterin am Bahnhof. Da hat sie den ersten verletzten Vogel aufgelesen und nach Hause getragen. Zehn Jahre mag das her sein. Dass die Kreatur gehasst wird, dass Hexe und Hölle an ihr kleben, dass die ganze Verachtung des Menschen der Natur gegenüber an ihr zum Ausdruck kommt - das will sie nicht hinnehmen.

Auf die Krähen zu achten, ist Wahab zur Gewohnheit geworden. Ein Dutzend verlassene oder verletzte Vögel zieht sie jedes Jahr auf. Selbst Tierärzte schicken ihr welche. Sie nennt sie Paul. Oder Paula. Gerade lebt eine Paula bei ihr. Nach ein paar Wochen Pflege in der Erdgeschosswohnung, in der zudem eine Dohle, zwei Katzen, ein paar Fische und die Kaninchen ihres Sohnes leben, wildert sie sie aus.

Nach Tier riecht es nicht in der Wohnung. "Ich putze jeden Tag", sagt Wahab. Gerade ist eine Nachbarin zu Besuch. Sofort wird über das Leben geredet und wie es mitspielt. Derweil sitzt Paula auf Wahabs Schenkel und die Katze liegt auf ihrem Schoß. "Die tun sich nichts", sagt sie.

Die Dohle, eine kleinere Krähenart ist das, heißt übrigens Tom. Tom attackiert Menschen. Weil Besuch da ist, hockt er nun im Käfig. Erst wenn er gelernt hat, dass solche Attacken nicht gehen, will Wahab ihn rauslassen. Nachdem sie in der Zeitung las: "Krähe greift Kind an", ist sie auf die Suche gegangen. "Das war klar, das musste so sein, dass ich ihn finde." Elvira Wahab ist Krähenflüsterin.

In der Innenstadt von Soest nisten 900 Saatkrähenpaare. Rund um die Stadt noch einmal so viele. "Ein Alleinstellungsmerkmal", sagt einer von der Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz, dem lokalen Naturschutzbund. Keine Stadt in Nordrhein-Westfalen habe so eine großen Krähenpopulation, da ist er sich sicher.

Die Naturschützer zeigen einige Wäldchen, in denen Vögel nisten. Da steht man am Wegrand, guckt in die Bäume und sucht die Nester. Anders als Rabenkrähen und Nebelkrähen lieben Saatkrähen die Gesellschaft und bilden Reviere. Während der Brutzeit kann es morgens, wenn die Vögel munter werden, laut zugehen.

Die Krähen sind in die Stadt gezogen, weil Bauern sie auf dem Land vertrieben haben. Gegen die Vertreibungen in der Stadt halten Wahab und einige Freiwillige des Naturschutzbundes während der Brutzeit nun Nachtwache. Sie stromern im Park umher und bitten Leute, ihre Hunde an die Leine zu nehmen. Nicht ganz ungefährlich ist die Aktion. "Man hat schon Steine nach mir geworfen", sagt Wahab.

Natürlich spielt auch die Stadtverwaltung eine Rolle in diesem Drama. Nachts seien nur 35 Dezibel erlaubt, sagt der Leiter des Ordnungsamtes Detlef Märte ernst. Die Krähen bringen es auf über 60. Autos und Züge, die vorbeifahren, sind lauter. "Und eine Vuvuzela erst", sagt Wahab.

Trotzdem, die Stadtverwaltung müsse handeln, sagt Märte. "Nur wir haben die Sondergenehmigung, die Tiere zu vergrämen." Mit Kränen rückte das Ordnungsamt im Frühjahr an und holte Nester herunter.

Allerdings weiß auch Märte: Solange die Tiere keine Ausweichmöglichkeit außerhalb der Stadt haben, werden sie sich innerhalb der Stadt eine suchen. Ob Märtes Hoffnung sich erfüllt, dass die aufgebrachten Bürger so besänftigt werden und nicht zur Selbstjustiz greifen, steht dahin. Wahabs Erfahrungen sprechen dagegen.

"Allein letzte Woche habe ich zwanzig tote Krähen eingesammelt", sagt sie. Die Naturschützer bitten nun um Spenden, damit die Todesursache der Vögel untersucht werden kann.

Nachts im Park

Nachts geht Wahab in den Park. Die Krähen sind ruhig. Sie setzt sich auf eine Bank. Viele Nächte habe sie so verbracht in den letzten Wochen. Angst habe sie keine. Sie friert auch nicht. Im Dunkeln beginnt die Stunde der leise gestellten Fragen.

Und Sie, wer sind Sie geworden in 44 Jahren?

Wahab antwortet ohne Scheu, erzählt von den sieben Geschwister und dem Feuer, das in ihr brennt. Sie ist nicht die Angepasste. Nach der Scheidung der Eltern das Heim. Dann der Stiefvater mit Händen so groß. Sie will nur fort. Ihre Lehre als Friseurin bricht sie ab, arbeitet in der Fabrik, wird schwanger. Der Junge wird von ihrer Mutter aufgezogen.

Wahab sucht weiter, findet den Mann, dessen Namen sie heute trägt, bringt einen zweiten Sohn zur Welt. Als er Leukämie bekommt, sagt ihr Mann: "Von Herz und Gefühl ist das nicht mehr mein Kind." Wahab trennt sich, kämpft allein um das Leben des Kindes und gewinnt. Ein paar Jahre später schlägt die Krankheit wieder zu. Bei ihr. "Vielleicht mag ich die Krähen", sagt sie, "weil ihr Schicksal mich berührt."

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