Der Iran auf der Venedig-Kunstbiennale: Das Phantom von Venedig
Der Rückzug Israels von der internationalen Kunstbiennale in Venedig sorgt für Kontroversen, um die seltsame Abwesenheit des Iran herrscht Schweigen.
88 Länder präsentieren sich jetzt mit eigenen Pavillons auf der am letzten Wochenende eröffneten Kunstbiennale in Venedig. Die meisten in den Giardini, rund um die zentrale Ausstellung. Derjenige der Islamischen Republik Iran liegt jedoch etwas außerhalb in einem Palazzo unweit des Markusplatzes. Das heißt: eigentlich.
Denn anstatt der angekündigten Ausstellung „Of One Essence is the Human Race“ mit Malereien der hier unbekannten iranischen Künstler Abdolhamid Ghadirian, Gholamali Taheri oder Mostafa Goudarzi, findet man dort nur eines: Protestplakate. Auf Farsi, Englisch und Italienisch ist zu lesen: „Die Islamische Republik Iran entschuldigt sich bei der Biennale für die verspätete Eröffnung des Pavillons. Wir haben unseren Flieger verpasst, da Israel uns bombardiert und wir sehr beschäftigt sind damit, das iranische Volk zu verfolgen.“
Unterschrieben sind die Plakate mit „Woman Life Freedom“. An die Hauswand geklebt wurden sie am Samstagmorgen. Drei Tage zuvor protestierte bereits die iranische Künstlerin Fariba Karimi bei der Eröffnung der internationalen Kunstschau gegen die Beteiligung der Islamischen Republik.
Faribi Karimi ist Teil von Woman Life Freedom Italien, einem aktivistischen Zusammenschluss von Exiliranerinnen, der sich nach dem Mord an der kurdischen Iranerin Jina Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei gegründet hat. In insgesamt vier offenen Briefen zwischen Oktober 2023 und April 2024 richteten sie sich an die Biennale-Leitung, um den Boykott des iranischen Pavillons zu fordern. Unterstützung erhielten sie unter anderem vom amerikanischen Konzeptkünstler Joseph Kosuth und der iranischen Filmemacherin Shirin Neshat. Die Biennale reagierte auf den offenen Brief erst, als im Februar große italienische Medien wie la Repubblica darüber berichteten.
Ist die Organisation der Biennale politisch neutral?
In einer am 28. Februar veröffentlichten Stellungnahme ließ die Biennale verkünden, dass keinerlei Boykottaufrufen nachgegangen wird. Gemeint war dabei auch derjenige der Arts Not Genocide Alliance (ANGA), die den Boykott des israelischen Pavillons gefordert hatte. Als Begründung diente der Biennale-Leitung, dass jede Nation, die von der italienischen Regierung anerkannt ist, auch an der Kunstschau in Venedig teilnehmen könne. Ausschlüsse seien einzig der Kommunalregierung Venedigs vorbehalten.
Nicht immer ist die Organisation der Biennale so politisch neutral wie sie es jetzt bekundet. Südafrika etwa durfte unter der Apartheid nicht teilnehmen, hingegen wurden Dissidenten wie der chinesische Künstler Ai Wei Wei oder die kubanische Performerin Tania Bruguera in der Vergangenheit unterstützt, und auch aktuell ist eine Ausstellung palästinensischer Künstler Teil des offiziellen Nebenprogramms.
Der Iran scheint in Venedig ein blinder Fleck zu sein. Während seit Tagen über den aus Protest geschlossenen Pavillon Israels berichtet wird, will von der dubiosen Präsenz und dann wieder Nicht-Präsenz des theokratischen Regimes auf der Kunstbiennale niemand Kenntnis nehmen. Die Aktivisten von ANGA rufen lautstark zur „Intifada“ gegen ihren Erzfeind Israel auf, zum Iran aber schwiegen sie.
Schweigen will auch die Biennale-Leitung über den stillen Selbstboykott des Iran. Anfragen per Mail werden nicht beantwortet, Anrufe im Pressebüro kommen nicht durch, irgendwann kommt dann von der Pressesprecherin der Kunstabteilung, Maria Cristiana Costanzo, die irritierende Antwort: „Wir haben keinen Kontakt zum Iran.“ Der Iran sorgt für Aufregung: Im Gespräch weicht Costanzo Nachfragen aus und verweist nervös auf den 21. April um 11 Uhr – dann soll der iranische Pavillon offiziell eröffnet werden.
Alle suchen den Iran, keiner findet ihn
Begibt man sich zur besagten Zeit an den von der Biennale beworbenen Ort, den Palazzo Malipiero, erwarten einen dort nur herumirrende Biennale-Gäste: Alle suchen nach dem Iran, keiner findet ihn. Auch die Bewohner des Hauses wissen von nichts: „Hier gibt es überhaupt keinen Raum dafür“, sagt eine ältere venezianische Dame. Was es neben dem Palazzo aber gibt, ist ein Raum, in dem auch das Museum Berggruen zur Biennale-Eröffnung die Performance „Sebastian“ des kanadischen Kunststars Miles Greenberg zeigte. So trifft man vor dem Palazzo Investor und Sammler Nicolas Berggruen. Auch der will hier vom Iran nichts gehört haben.
Der iranische Pavillon, ein Phantom. Im dichten Gewirr aus Brücken und Gassen droht in Venedig unterzugehen, dass er dennoch offizieller Teil der 60. Biennale ist. Sollte er weiterhin als solches gelten, profitiert vor allem das diktatorische Regime in Teheran. Ohne lauten Boykott und gedeckt von einer seltsam schweigsamen Biennale-Leitung, geht das Kalkül der Mullahs auf: Sie gehören zur internationalen Kunstschau, auch wenn sie nicht da sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“