Der Hausbesuch: Die Schnauze voll von Rosa
Suli Puschban ist Erzieherin an einer Berliner Schule. Als Kindermusikerin ist sie ein alternatives Rollenvorbild für die kommende Generation.
Suli Puschban kämpft seit jeher gegen Rollenklischees an. 2019 hat sie für ihre gesellschaftskritischen Kinderliedtexte den Gema-Musikautor*innenpreis gewonnen.
Draußen: Eine Wohnstraße mit sanierten Altbauten in Berlin-Kreuzberg. Vom Treiben rund um den benachbarten U-Bahnhof Kottbusser Tor ist hier an einem Sonntagmorgen nichts zu spüren.
Drinnen: Hinter der sanierten Stuckfassade der Hausnummer 58 versteckt sich ein Treppenhaus mit Villa-Kunterbunt-Flair: In den Zwischengeschossen befinden sich ein Bücherregal, eine Yucca-Palme mit einem Plastikaffen und ein kaputter Spiegel mit Monroe-Poster. Ein Zettel mit Aufdruck „Das Haus ist so schön. Man müsste es besetzen“ erinnert an die Vergangenheit: Bis in die 80er war das Haus besetzt. Heute leben hier Frauen auf 15 Wohnungen verteilt in einer Gemeinschaft mit monatlichem Plenum. Darunter: die Kindermusikerin Suli Puschban und ihre Partnerin, eine aus Südafrika stammende Künstlerin.
Refugium: Im obersten Stock wartet Suli Puschban zusammen mit einem kleinen braunen Pudel mit Regenbogenhalsband und bittet mit breitem Lächeln und charmantem Wiener Dialekt mit den Worten: „Willkommen in meinem Refugium!“ in ihr zweistöckiges 50-Quadratmeter-Atelier. Darin: Ein Schreibtisch mit Musik-Equipment, Büchern, Gitarren und CDs; ein Sofa, ein Sessel, eine kleine Teeküche und ein winziges WC. Das Atelier sowie eine separate 50-Quadratmeter-Wohnung im Erdgeschoss teilt sie sich mit Pudel Maxim und ihrer gerade verreisten Partnerin. Die beiden Frauen haben sich 2014 auf einem Musikfestival in Wales kennengelernt und wussten bereits nach drei Wochen, dass sie zusammenleben wollen. Mittlerweile teilen sie nicht nur ihr Leben, sondern unterstützen sich auch künstlerisch. Ihre Partnerin, erzählt Suli Puschban, habe unter anderem die Textvorlage zu ihrem Song „The Southern Cross“ geschrieben und den Bären auf dem Cover ihres Albums „Dare to dream“ gestaltet: „Dass ich sie getroffen habe, ist das Schönste in meinem Leben.“
Gürteltiere, Bären und Löwen: Auf Suli Puschbans Schreibtisch liegt eine graue Gürteltierfigur. Gürteltiere gehören neben Bären („Suli kommt von Ursula. Und Ursula bedeutet kleine Bärin. So nennt mich auch meine Freundin“) und Löwen („mein Sternzeichen“) zu ihren Lieblingstieren, da sie in John Irvings Roman „A Prayer for Owen Meany“ eine Rolle spielen: „Lange mein Lieblingsbuch.“
Inspiration: Als sie klein war, spielte ihr Vater oft nachts Klavier: „Das habe ich sehr genossen, wenn mein Bruder und ich im Bett lagen und er unten gespielt hat.“ Kinderlieder hörte sie kaum: „Eher Tschaikowsky.“ Mit 13 bekam sie ihre erste Gitarre. Mit 19 entdeckte sie Singen für sich und begann, Lieder zu schreiben. Da sie keine deutschen Vorbilder hatte, zunächst auf Englisch. „Hinterm Mond“ von Element of Crime war ein Erweckungsmoment: „Da dachte ich: Geht doch. Man kann auf Deutsch Lieder machen, die schlau sind und Spaß machen.“
Beruf und Berufung: Sie ist in Nürnberg geboren. in Wien aufgewachsen und hat Pädagogik studiert. In Wien hat Puschban in einer Krisenhotline für vergewaltigte Frauen und Mädchen gearbeitet. Seit ihrem Umzug nach Berlin Mitte der 90er Jahre arbeitet sie als Horterzieherin an einer Kreuzberger Schule. Über die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen ist sie zur Kindermusik gekommen. Ein Kollege habe sie gefragt, ob sie nicht Musik mit den Kindern machen möchte. Davor, erzählt sie, habe sie immer mit ihrer Stimme gehadert: „Ich fand sie nicht schön genug. Die Kindermusik hat mich daraus befreit.“
Bildungsauftrag: In ihren mal poetischen, mal lustigen, mal kämpferischen Kinderliedern stampft sie öfter mal rockig mit dem Fuß auf. „Ich wünschte, es würde auch eine Punkband geben, die Musik für Kinder macht.“ Aber Kindermusik habe einen schlechten Ruf: „Kinder haben keine Lobby und daher keinen Stellenwert. Die Öffentlich-Rechtlichen haben die Kindermusik nach und nach weggekürzt.“ Dabei gebe es im deutschsprachigen Raum eine große Bandbreite guter Kinderliedermacher*innen, die den Anspruch hätten, Kinder durch ihre Musik zu stärken. Mit etwa 50 von ihnen ist sie über das Netzwerk kindermusik.de verbunden. Das wurde vor über 20 Jahren gegründet, um „das Kulturgut Kinderlied zu hegen und zu pflegen“.
Schnauze voll von Rosa: In ihren Kinderliedern greift Puschban Themen auf, die ihr in der Schule begegnen oder die sie persönlich berühren. Dabei entstehen rockige Songs mit Titeln wie „Supergirl“, „Rosa Parks bist du“ oder „Meine Mamas sind genial“. Auf ihre gesellschaftskritischen Texte angesprochen, erklärt sie: „Für mich ist das Private immer politisch. Das, was ich mache, steht in der feministischen Tradition.“ Ihr meistgesungenes Lied sei „Der Wurm“: ein Lied über alles, was schiefgeht. Ihr bekanntestes ist „Ich hab die Schnauze voll von Rosa“ – eine fiktive Begegnung mit Prinzessin Lillifee. „Ich wollte schon immer ein Anti-Rosa-Lied schreiben, aber ohne moralischen Zeigefinger. Daher habe ich mich gefragt: Was würde Lillifee sagen?“
Durchbruch: Als Suli Puschban sich eine Begegnung mit Prinzessin Lillifee ausmalte, erzählt sie, befand sie sich gerade in einer Sinnkrise: „Ich habe mich gefangen gefühlt.“ Innerhalb der Woche war sie als Erzieherin in der Schule, an den Wochenenden in einem von ihr über 25 Jahre mitaufgebauten Zentrum für Frauen im Umland von Berlin. Für die Musik blieben ihr nur die Nächte. Mit dem Ende des Liedes, bei dem sich Prinzessin Lillifee von allen Erwartungen an sie befreit, erzählt die Musikerin, habe sie sich gleichsam selbst Mut gemacht. Der als Empowerment für Kinder gedachte Refrain: „Ich mach jetzt, was ich will!“wurde für sie persönlich zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: „Ich bin mutiger und lauter geworden und habe es geschafft, von meiner Musik zu leben.“ Mittlerweile arbeitet sie nur noch neun Stunden an der Schule und konzentriert sich ansonsten ganz auf ihre Musik. Wobei sie betont, dass die Schule nach wie vor ihre Basis und Hauptinspirationsquelle sei.
Mädchen stärken: Das sieht sie sowohl in ihrer pädagogischen Arbeit an der Schule als auch beim Musikmachen als ihren größten Auftrag. „In der Schule erlebe ich täglich, dass die Mädchen nicht zu Wort kommen, während die Jungs labern – auch wenn sie nichts Wichtiges zu sagen haben.“ Auch in den Medien sei es für Frauen noch immer schwerer, sichtbar zu werden: „Neulich wurden in einer Sendung zehn Bands vorgestellt, die gute Musik machen. Alles nur Männer!“ Bei dem Satz schnellt Suli Puschban plötzlich aus ihrem gemütlichen Ledersessel hoch und ruft empört: „Alter! Wie kann das sein?“
Ankämpfen gegen Genderklischees: Eine Freundin, so erinnert sie sich nachdenklich, habe mal zu ihr gesagt: „Du hast nicht Erfolg, weil du bist, wie du bist, sondern obwohl du bist, wie du bist.“ Auf Konzerten fragen die Kinder sie oft: „Bist du ein Junge oder ein Mädchen?“ Achselzuckend erklärt sie: „Ich war schon immer sehr burschikos. Es wurde immer angenommen, dass ich ein Junge bin.“ Gestört habe sie das nie. „Ich kann mich nicht erinnern, dass sich je jemand getraut hätte, mich deswegen aufzuziehen.“ Nur in der zweiten Klasse habe ein Junge sie mal mit seinem Rad eingekreist: „Ich habe ihn vom Rad geschubst. Danach war Ruhe.“ Sie grinst verschmitzt. Die Situation habe sich ihr eingeprägt: „Dass Mädchen sich nicht wehren sollen, würde ich nie unterschreiben.“
Rollenvorbild sein: „Als Kind war Winnetou mein großer Held. Ich hatte sogar einen Starschnitt von Pierre Brice in meinem Kinderzimmer hängen.“ Eine weibliche Identifikationsfigur hatte sie nie: „Wenn du ein Mädchen bist, wie ich es war, gibt es kaum Rollenvorbilder. Ich war immer auf der Suche nach einem.“ Jetzt möchte sie ein alternatives Rollenvorbild für andere sein: „Es gibt genug Mädchen, für die es enorm wichtig ist, jemanden zu sehen, der anders ist.“ Zurzeit arbeitet sie an einem Musical. Wovon es handeln wird, verrät sie nicht. Aber: „Es wird ganz sicher eine weibliche Hauptrolle geben, die keinem der gängigen Rollenklischees entspricht.“
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