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Der HausbesuchBlick auf das Gerüst

Ein anarchistischer Filmemacher weigert sich auszuziehen, als sein Wohnhaus luxussaniert werden soll. Jetzt lebt er auf der Baustelle.

Dirko Goebel: Der Leipziger hat sich in einer ehemaligen Bäckerei häuslich eingerichtet Foto: Felie Zernack

Dirko Goebel war einer der Letzten, der noch da war, als das Mietshaus in Leipzig verkauft wurde. Eine fünfstellige Auszugsprämie bot der neue Vermieter. Alles sollte chic werden. Viele nahmen das Geld an, aber Goebel wollte bleiben. Am Ende platzte der Deal und eine Genossenschaft übernahm das Gründerzeithaus, sie wollen ein Wohnprojekt daraus machen. Goebel lebt jetzt auf einer Baustelle.

Draußen: Ein Eckhaus, in grüne Planen gehüllt, ein Gerüst steht davor. Die Fenster sind mit Folie abgedeckt, im Innenhof flattern Dachpappereste zu Boden. „Baustelle. Betreten auf eigene Gefahr“, steht an der Tür des Hinterhauses. Nur im ersten Geschoss brennt Licht.

Drinnen: Im Wohnungsflur ist es dunkel. Geradeaus geht es zu Dirko Goebels Zimmer. Rasenteppich auf dem Boden, im Regal stapeln sich kreuz und quer die Bücher. Auf einer Postkarte steht: „Alles ist möglich“. Kabel hängen vom Hochbett wie Lametta. Daneben zwei Bildschirme und ein Liegesessel, von dem aus Goebel Filme schneidet. Vor der offenen Zimmertür läuft eine Mitbewohnerin vorbei: „Jetzt kommen sie rausgekrochen“, sagt Goebel und versinkt in einer grauen Couch.

Dirko Goebel: 43, grüner Pulli und Sidecut, ist Filmemacher, Handwerker, aber auch Betreuer einer Baustelle, derjenigen im Haus, in dem er wohnt. Früher verkaufte er Chinaimportwaren, seit seiner Jugend ist er Punk und Anarchist. „Ich provoziere gerne“, sagt er. Aufgewachsen sei er aber als süßes Kind.

Das Zimmer als Zeitkapsel. Hier hat sich seit seinem Einzug vor zehn Jahren nichts geändert Foto: Felie Zernack

Kindheit: „Ich habe da was“, sagt er und zieht einen Ordner aus der Vitrine. Ein Magazin mit dem Titel Die Sowjet-Frau. Bilder von Kindern in Wollpullis sind abgebildet. Eines ist er. So sei er sozialisiert worden, von älteren Frauen ordentlich angezogen.

Jugend: Während die Schwester Rechtsanwaltsgehilfin geworden sei und geheiratet habe, habe er immer das Gegenteil gemacht. Kein Militärdienst, kein Studium. Er hat dafür einen Spruch im Kopf: „Wenn ich nur darf, wenn ich soll, nie kann, wenn ich will, dann mag ich auch nicht, wenn ich muss.“ Er war 19 Jahre, als er zum ersten Mal auf eine Punkparty ging: „Da war mir alles klar.“ Goebel legt die Füße auf den Couchtisch.

Der Punk: In der DDR habe man zu einem wie ihm „Rowdy“ gesagt. Dabei sei es ihm nie um Gewalt gegangen. Goebel hing mit Punks ab. Die Be­rufs­schulkolleg*innen „versorgten“ ihn mit Techno. Was ihn damals verletzte: wenn sich die Mutter wegdrehte, wenn er ihr davon erzählte.

Anecken: Goebel machte eine Lehre als Maler. Als er mit roten Haaren erschien, mahnte der Meister: „Wir sind hier nicht beim Fasching.“ Manchmal habe er die Abzeichen, die sonst an seiner Lederjacke baumelten, nur „im Herzen getragen“. Dirko Goebel nippt an einer Flasche Club-Mate mit Leitungswasser gefüllt. Weil er „Rabatz“ auf der Lehrstelle machte, lag da irgendwann die Kündigung, sie war in beiderseitigem Einvernehmen.

Weit weg: Es war eine kurze Krise. Goebel musste in das Gartenhaus seiner Eltern ziehen. Das Auto war Schrott, die Freundin weg, als er eine Werbung im Radio hörte: Silvester in Hongkong. Klang gut in seinen Ohren, er flog hin, besuchte Klöster, wollte die Ursprünge des Kung-Fu kennenlernen. Er reiste mal alleine, mal mit Bekannten. An einem Zimmerbalken hängt eine Dreadlock von damals. Für ihn war China eine spirituelle Erfahrung.

Die Chinamanie: Zurück in Deutschland erfand er sich neu: Er verkaufte Hühnerfederpinsel, Wandsprüche und Chinadeko aus einem VW-Bus, in dem er vier Jahre lang lebte. „Dirko in China“ hieß sein Onlineshop. In einer Leipziger Kneipe lernte er seine Traumfrau kennen, eine Chinesin. Sie war begeistert, dass er Mandarin spricht, ein Schengenvisum lang blieb sie. An den Monat, in dem sie zurück in ihre Heimat flog, erinnert er sich ganz genau: April 2014. Die Katze springt ihm auf den Schoß und gräbt ihre Krallen in seinen Pulli. „Peter ­Alexander“, stellt Goebel vor. Für ihn sei sie sein Mitbewohner.

Hund und Katze: Vor fünf Jahren habe er sich gedacht, ein Kind wäre doch was. Goebel faltet die Hände auf dem Bauch: „Aber kann ich das?“ Statt eines Kindes kommt Aldi in sein Leben, ein Rüde. Er hält ein zerfleddertes Papier in den Händen, eine Vermisstenanzeige, darauf ein Bild mit einem Mischlingshund und der Aufschrift „ALDI ist weg“. Drei Tage lang habe er ihn gesucht, erzählt er. „Ich würde fast sagen, er ist mein Kind.“ Er fand ihn wieder. Aldi war auch der Grund, warum er in die Wohnung gezogen ist.

Das Zuhause: „Ich wollte Aldi ein schönes Zuhause für seinen Lebensabend bieten“, sagt Goebel, als er in der rot-weiß gefließten Küche steht. Kaba im Regal, Blick auf das Gerüst. Das Haus war damals schon nicht gut in Schuss. Nichts war gemacht worden. Er klopfte beim Hausmeister, der zeigte ihm den ehemaligen Bäckerladen, der jetzt seine WG ist. Die Rohre leckten, 70er-Jahre-Tapete an der Wand. Seit mehr als zehn Jahren lebt Goebel jetzt hier, er mag es so.

Die Neuen: Dann sollte das Haus verkauft werden. Goebel lehnt mit verschränkten Armen am Türrahmen, als er das erzählt. Sie boten ihm eine fünfstellige Abfindung. Alle anderen nahmen sie an und zogen aus. Er aber lehnte ab. Eines Tages rief eine Genossenschaft an und teilte ihm mit, sie übernähmen das Haus. Er dürfte bleiben. Sie baten ihn sogar darum. Nur so könne das Haus gerettet werden.

Wunder: Das Haus soll von oben bis unten saniert werden, dann erst können die neuen Be­wohner*innen einziehen. 28 sind Teil der Genossenschaft, die über eine Stiftung unterstützt wird. Noch muss der Bau und das Zusammenleben organisiert werden. „Was? Du gehst zu einem Plenum?“, wunderten sich seine Freunde, als er davon erzählte. Die Hausgemeinschaft sei wie eine Art Solidarfamilie, sagt er. „Aber ich bin schon ein bisschen anders als der Rest.“ Er sei einer der Ältesten. Früher habe er nur billig leben wollen, heute seien die Prämissen andere. Jetzt sei es ihm wichtig, nicht allein zu sein.

Sanierung im großen Stil. Kann die Hausgemeinschaft des selbstverwalteten Wohnprojekts das bezahlen? Foto: Felie Zernack

Andere: Im Plenum fordert er: keine Gated Community, keine verschlossenen Türen. Die Wohngruppe plant ein Café und eine Kneipe. Ob man noch mehr davon braucht in dem gentrifizierten Gründerzeitviertel, ist für Goebel nicht die Frage. „Ich will lieber die Leute unterstützen, dass sie die Dinge hinbekommen.“

Die Baustelle: Die Genossenschaft konnte das Haus für 99 Jahre pachten. Die Be­woh­ner*innen müssen es selbst renovieren. 136 Fenster abschleifen und abdichten. Wie man mit Handwerker*innen und Ar­chi­tekt*innen spricht, hat Goebel gelernt. Er macht die Baustellenleitung. Als Letztes wird sein Zimmer im ersten Geschoss dran sein. Ob er danach immer noch in seinem alten Zimmer wohnen wird, ist offen. Das Haus werde noch aufgeteilt. Manchmal habe er da Bedenken. Das Gerüst steht nur noch bis zum Frühjahr. Und ob die fehlenden Direktkredite für die Renovierungsarbeiten zusammenkommen, ist unklar.

taz am wochenende

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Und wenn alles schiefgeht: Goebel spielt Lotto, und er hat eine Taktik: Er kreuzt nicht nach Zahlen, sondern nach Mustern an und spielt erst ab zehn Millionen mit. Früher wollte er im Alter nach China auswandern, „aber als Anarchist hat man es da nicht mehr leicht“. Jetzt würde er am liebsten das Haus kaufen.

Die Zukunft: „Ich habe noch nie so lange wo gewohnt“, sagt Goebel. Sein Zimmer sei eine Zeitkapsel, noch alles wie vor zehn Jahren. Er will sich das erhalten. Hier ist er zu Hause. Denn: Eigentlich sei er konservativ.

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