Der Hausbesuch: Ahmad kocht die Leberknödel
Sabine Parzinger gondelt zwischen Flüchtlingsheim, Wirtshaus und Bergstation. Sie schafft das nur, weil es eine neue Liebe in ihrem Leben gibt.
Draußen: Traunstein, 18.000 Einwohner, liegt inmitten der Voralpenidylle des Chiemgaus. Um den Stadtplatz mit Kirche und blau-weißem Maibaum gruppieren sich pastellfarbene Häuser. Von hier aus steigt man die Treppen zur „Unteren Stadt“ hinab, auch „Glasscherbenviertel“ genannt. Dort endet die Reiseführerszenerie. Im blass-gelb getünchten Wohnhaus wohnt Sabina Parzinger. Davor ein kleines Stück Rasen, im Boden steckt ein Schild – ein kackender Hund, rot durchgestrichen. An diesem Nachmittag sind kaum Menschen auf der Straße, nur Autos rauschen vorbei – das Leben findet in der „Oberen Stadt“ statt.
Drinnen: „Kaffee oder Spezi?“, fragt Parzinger. Sie wohnt hier erst seit vier Monaten. Was für eine Tortur der Umzug gewesen sei. Von hundert Quadratmeter hat sie sich auf sechzig verkleinert. An ihrem alten Wohnort, 15 Kilometer von hier, hatte sie einen vollgestopften Secondhandladen. „Die Sachen sind jetzt noch irgendwo im Landkreis verteilt“, sagt sie. Einiges ist auch bei ihr. Vasen, Porzellanpuppen, Buddha-Figuren. Elefantenfiguren in Gold und Silber auch. Ihre Lieblingsmuster: Leo und Zebrastreifen – sie sind auf Teppichen, Kissen und sogar dem Bügelbrett.
Glamour: Sie mag es, wenn es glitzert. Sie setzt sich an den Couchtisch aus Glas mit goldenem Rahmen, verziert mit Glasknubbeln in Diamantenform. Darüber hängt ein Kronleuchter. Selbst das Jesus-Kreuz ist mit Strasssteinchen besetzt. Die Schönheit ist ihr Gegengewicht zum Alltag.
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Die Arbeit: Seit ihrem elften Lebensjahr arbeitet sie in Wirtshäusern. Als Bierträgerin schleppte sie, wenn sie aus der Schule kam, den Kellnerinnen die Bierkrüge hinterher. Später fing sie als Bedienung an. Dann lernte sie ihren Mann kennen und arbeitete im Gasthaus seiner Eltern. Dort brachte man ihr das Kochen bei, „von der Pike auf“. Zur Hotelfachschule ging sie nicht.
Das Leibgericht: Was sie am Kochen besonders mag? „Wenn’s gut schmeckt“, sagt sie und lacht auf. „Du kannst jeden Tag etwas Neues ausprobieren, mal einen Schluck Rotwein in die Soße gießen, mal dunkles Bier. Es fasziniert mich, was du aus nichts alles machen kannst.“ Selbst isst sie vor allem gern Spaghetti Bolognese. „Mit nichts könnte man mir eine größere Freude machen.“ Als sie mit ihrer Tochter schwanger war, gab es die morgens, mittags und abends. „Mein Schwiegervater hat immer gesagt: Bei dir hängen bald die Nudeln bei den Ohrwascheln raus.“
Das Scheitern: Sie und ihr Mann sind heute nicht mehr zusammen. „2012 bin ich gegangen, und wir haben das Haus verkauft“, erzählt sie und streichelt die schwarze Katze mit den bernsteinfarbenen Augen, die auf dem Sofa neben ihr liegt. Überwunden habe sie die Trennung bis heute nicht. Sie habe doch alles gehabt: eine schöne Küche, einen großen Garten, Nachbarn, mit denen sie sich unterhalten konnte. „Für mich ist eine Welt zusammengebrochen.“ Die Scheidung dauerte über sechs Jahre, noch immer sind Fragen des Unterhaltes nicht geklärt.
Kein Boden unter den Füßen: Nach der Trennung konnte sie nicht mehr als Köchin im gemeinsamen Wirtshaus arbeiten. In den sechs Jahren danach hat sie immer wieder neu angefangen: Sie übernahm wieder ein Gasthaus, eröffnete ein Café, stand bei Edeka hinter der Wursttheke, wo sie Spargel- mit Parmaschinken verwechselte, führte einen Secondhandladen und kellnerte in Gasthäusern.
Krise: Zuvor betreute sie noch eine Unterkunft für Geflohene in einem alten Hotel. Drei Jahre lang, dann hatte sie einen Zusammenbruch. Sie landete in einer Klinik – „wegen der Nerven“. Für 150 Menschen war sie im Flüchtlingsheim zuständig vor allem für das Essen, doch oft wurde sie auch um zwei Uhr morgens angerufen, wenn sich die Bewohner mal wieder betrunken geprügelt hatten. „Es war ein 24-Stunden-Job“, sagt sie. Eines Tages gingen im Speisesaal plötzlich zwei Männer aufeinander los, einer biss dem anderen das Ohr ab. Sie war in Panik, rief den Krankenwagen. Der Mensch am Ende der Leitung sagte: „Das Ohr in eine Plastiktüte packen und schnell in den Kühlschrank!“ Die Menschen seien traumatisiert gewesen, sagt sie. Am Ende sei es ihr auch so gegangen.
Eine neue Liebe: Einer aber war anders. Eines Morgens schickte das Landratsamt wieder einen Bus neuer Asylbewerber zur Unterkunft. „Da war mein Ahmad dabei“, sagt sie und zeigt auf ein Foto von ihm im Spiegelrahmen. Bevor sie weitererzählt, braucht sie aber erst mal eine Zigarette: Am nächsten Morgen saß Ahmad als Erster unten im Speisesaal. „Helping?“, habe er gefragt. „Er war ja so schüchtern“, erinnert sie sich. Seitdem sei er nicht mehr von ihrer Seite gewichen. Seit sechs Jahren sind sie nun ein Paar.
Geben und nehmen: Als er sie das erste Mal gefragt hat, ob er mit ihr nach Hause kommen darf, antwortete sie noch: „Ich brauche keinen Mann. Ich habe die Schnauze voll.“ Doch Ahmad hat nur den Kopf geschüttelt und erwidert: „Doch, du brauchst.“ In der ersten Nacht hielt er sein Versprechen und blieb auf seiner Seite des Bettes. Danach kam er jede Nacht mit zu ihr. Er musste nicht mehr in der Unterkunft mit den schimmeligen Wänden schlafen, und sie musste nach einem langen Arbeitstag nicht mehr den Boden des Speisesaals wischen, weil Ahmad das fortan übernahm. Hatte sie also doch wieder Lust auf einen Mann? Sabine Parzinger nickt. „Aber nur auf Ahmad. Weil ich mich auf den verlassen kann.“
Der Altersunterschied: Ahmad ist 38 Jahre alt. Genau wisse sie es gar nicht, es sei ihr auch egal. „Ich dachte mir: Was soll’s? Ich liebe den Kerl so.“ Parzinger streckt die Beine auf dem Sofa aus und bläst genüsslich den Zigarettenrauch in die Luft. „So alt schau ich auch noch nicht aus, hab ich mir gedacht“, sagt sie und lacht. Das einzige Problem sei anfangs die Sprache gewesen. „Ich habe Englisch gelernt wie der Teufel“, sagt sie. Heute kann Ahmad auch Bairisch. Er hat sich taufen lassen, sie besorgte ihm einen Job in einer Edeka-Filiale, mittlerweile hat er einen bewilligten Aufenthaltsstatus.
Bairisch oder Afghanisch: Sie selbst ist in Traunstein aufgewachsen, hat nie außerhalb des Landkreises gewohnt und die meiste Zeit in Wirtshäusern gekocht. Ihren Schweinsbraten habe Ahmad von Anfang an gern gegessen. Mittlerweile koche er selbst die besten Leberknödel, das habe sie ihm beigebracht.
Innigkeit: Ahmed und sie, das war für sie ein großes Wagnis. Die beiden sind ein gutes Team. Nur einmal waren sie sich nicht einig: Als Parzinger eines Tages von der Arbeit nach Hause kam und die gesamte Wohnung mit Teppichen ausgelegt war. Er habe es ja gut gemeint, aber sie habe sich gefragt: „Was soll ich mit so vielen Teppichen?“
Auf Tausend Höhenmetern: Ihr neuester Job liegt an der Mittelstation einer Bergseilbahn. Täglich um 9 Uhr steigt sie in diese Seilbahn und fährt zu ihrem neuen Gasthof hoch. „Ich war lange selbstständige Wirtin und musste immer bangen: Kommen die Gäste oder nicht? Jetzt habe ich zwar die Verantwortung für Personal und Einkauf, bin aber bei der Gemeinde angestellt.“ Auch die Arbeitszeiten sind geregelt, denn um 17 Uhr geht die letzte Gondel ins Tal. Es gefällt ihr.
Ansonsten: Wisse sie auch mit 56 Jahren nicht, an welchen Platz sie sich setzen soll. Mit der neuen Wohnung ist sie nicht recht zufrieden – zu klein, zu unoffen seien die Nachbarn. „Ich sag es ehrlich: Seit ich mit meinem Mann und meinen zwei Kindern auseinander bin, fühl ich mich hier nicht wohl und dort nicht wohl.“ Zumindest wollen sie und Ahmad bald in den Urlaub fahren. Seit Jahren haben sie das wegen all der Arbeit und der Scheidung nicht geschafft. Vielleicht Mallorca.
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