Grünen-Abgeordneter über den Gaza-Krieg: „Netanjahu schließt die Tür für eine politische Lösung“
Der Menschenrechtspolitiker Max Lucks kritisiert die israelische Kriegsführung und die Reaktion der neuen deutschen Regierung: Es brauche mehr Druck.

taz: Herr Lucks, Israel blockiert Hilfslieferungen nach Gaza und Benjamin Netanjahu hat eine weitere Offensive angekündigt. Wie viel schlimmer kann die Lage für die Menschen dort noch werden?
Max Lucks: Die Lage verschlimmert sich mit jedem Tag der humanitären Blockade. Die neue Offensive bedeutet sehr wahrscheinlich Menschenrechtsverbrechen, erneute zivile Opfer, Vertreibung und auch den Tod vieler Geiseln. Netanjahu schließt mit der Offensive die Tür für eine politische Lösung. Er zeigt, dass er seinen Krieg nur noch führt, um sein politisches Überleben zu sichern – auf dem Rücken der Menschen in Gaza und der Sicherheit Israels.
taz: Der Nothilfekoordinator der UN warnte in dieser Woche vor einem drohenden Völkermord. Schließen Sie sich dieser Bewertung mittlerweile an?
Lucks: Buzzwords stoppen die humanitäre Katastrophe nicht. Aber zweifellos ist Gaza einer humanitären Katastrophe ausgesetzt, die durch die Blockade ausgelöst wurde, die Herr Netanjahu zu verantworten hat. Auch aus Deutschland muss der politische Druck steigen, damit humanitäre Lieferungen endlich wieder ermöglicht werden und von dieser Offensive Abstand genommen wird.
taz: Als Bruch des humanitären Völkerrechts würden Sie die Blockade aber bezeichnen?
Lucks: Diese Blockade ist eine kollektive Bestrafung und damit ein Bruch des Völkerrechts.
taz: Außenminister Johann Wadephul (CDU) hat bei seinem Antrittsbesuch in Jerusalem gesagt, man könne der israelischen Regierung kein völkerrechtswidriges Verhalten vorwerfen. Sie sei schließlich offen dafür, künftig eine private Stiftung für Hilfslieferungen nach Gaza zu lassen.
Lucks: Es ist völlig inakzeptabel, dass sich Außenminister Wadephul mit diesen Plänen hat abspeisen lassen. Gerade da hätte ich von ihm eine klare Haltung erwartet. Wir können nicht auf Netanjahu vertrauen und hoffen, dass das schon irgendwie gut geht. Es ergibt natürlich Sinn, humanitäre Lieferungen an der Terrororganisation Hamas vorbeizuführen. Aber angesichts der humanitären Katastrophe müssen die bestehenden Strukturen der UN genutzt werden. Es muss Schluss sein mit der Instrumentalisierung humanitärer Hilfe als Druckmittel.
taz: Als Regierungspartei hatten sich die Grünen mit Kritik an der israelischen Regierung auch lange zurückgehalten.
Lucks: Wir haben die Kriegsführung Netanjahus schon sehr früh kritisiert und immer wieder auf die humanitären Zugänge verwiesen. Und wir haben immer wieder betont, wie unteilbar die zwei zentralen außenpolitischen Lehren aus der deutschen Geschichte für uns sind: die Sicherung der Existenz der jüdischen Heimstätte in Israel und die Verteidigung universeller Menschenrechte für ausnahmslos alle. Wir werden uns nicht auf einen vergifteten Diskurs einlassen, der diese Dinge gegeneinander ausspielt.
taz: In der Regierung haben die Grünen und Annalena Baerbock mit Blick auf den Gaza-Krieg also nichts falsch gemacht?
Lucks: Annalena Baerbock hat sich immer für die Verteidigungsfähigkeit Israels verantwortlich gefühlt. Gleichzeitig hat sie sich als Außenministerin immer dafür eingesetzt, dass der Gazastreifen keiner Vertreibung, Verkleinerung und Besatzung ausgesetzt ist. Deswegen haben wir auf einen restriktiven Kurs für Rüstungsgüter gedrängt und für jede einzelne Hilfslieferung gekämpft.
Vielleicht hätten wir viel früher deutlich machen müssen, dass Netanjahus Kriegsführung eng mit dem globalen Rechtsruck, der hinter ihm und seiner Regierung steht, verknüpft ist, und uns dem noch viel offensiver entgegenstellen müssen. Netanjahu hat ja nur darauf gewartet, dass Donald Trump an die Macht kommt und ihn gewähren lässt. Jetzt geht es aber darum, mit welchen Mitteln die neue Bundesregierung Netanjahu dazu bringen kann, die Freilassung der Geiseln ernsthaft zur Priorität zu machen, von seiner Offensive abzulassen und die humanitäre Blockade zu beenden.
taz: Welche Möglichkeiten sehen Sie jenseits von Appellen?
Lucks: Im Koalitionsvertrag hat Schwarz-Rot der israelischen Regierung einen Blankoscheck für Rüstungslieferungen ausgestellt. Das ist falsch. Schon ein bloßes Zurück zum restriktiven Kurs der Ampel-Zeit würde jetzt nicht mehr ausreichen. Es bräuchte einen Exportstopp, von dem nur solche Güter ausgenommen sind, die für die Sicherheit Israels existenziell sind, beispielsweise für die Luftabwehr gegen Raketen aus dem Iran.
taz: Ein Exportstopp ohne Ausnahmen würde noch mehr Druck entfalten.
Lucks: Eine konsequente Menschenrechtspolitik sollte Netanjahu unter Druck setzen, aber nicht muslimische, christliche und jüdische Staatsbürger Israels den Raketen aus dem Iran aussetzen.
taz: In der EU wird auch diskutiert, Palästina als Staat anzuerkennen oder das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel auszusetzen. Was halten Sie davon?
Lucks: Ich kann mir gut vorstellen, Palästina als eigenen Staat anzuerkennen. Dafür sollten natürlich die politischen Voraussetzungen geschaffen werden: Die Palästinenserinnen und Palästinenser müssen endlich einen verlässlichen Weg bekommen, wie sie in Würde, Freiheit, Frieden und ohne den Terror der Hamas leben können. Das EU-Assoziierungsabkommen auszusetzen, wäre dagegen ein Schritt, der auch die lebendigen Teile der israelisch-europäischen Zusammenarbeit, fernab der Regierung, trifft. Wir sollten das Selbstbewusstsein der israelischen Gesellschaft stärken, um gegen Netanyahu auf die Straße zu gehen, statt sie zu schwächen.
taz: In Basel findet in dieser Woche der Eurovision Song Contest statt. Es gibt Forderungen, den israelischen Beitrag auszuschließen. Wäre das ein richtiger Schritt?
Lucks: Die Sängerin Yuval Raphael ist ein Gesicht des demokratischen Israels mit seiner Kunstfreiheit, vor dem Netanjahu und seine in Teilen rechtsextreme Regierung so viel Angst haben. Und sie ist eine der Überlebenden des genozidalen Hamas-Terrors vom 7. Oktober, der diese Katastrophe ausgelöst hat. Deswegen finde ich Forderungen, sie als Vertreterin Israels beim ESC zu boykottieren, absurd. Auch im Interesse Israels sollten wir die israelische Regierung kritisieren, aber wir sollten nicht einen ganzen Staat dämonisieren.
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