■ Der Anschlag auf Galinskis Grab ist ein Akt kühler Berechnung: Von Einzeltätern und Verwirrung
Zum zweiten Mal in diesem Jahr ist auf die Grabstätte von Heinz Galinski in Berlin ein Anschlag verübt worden. Die Zyniker unter den Zeitgenossen werden wieder einmal müde abwinken: Was schert es uns, dies ist ein Anschlag mehr oder weniger in der länger werdenden Rubrik „Rechtsextremismus“. Schändungen jüdischer Friedhöfe gehören schließlich seit Jahrzehnten zur Normalität in diesem Land. Vielen Medien sind sie allenfalls noch Randspalten wert, auch gelegentlich in dieser Zeitung.
Nach dem Anschlag in Berlin war die Politik mit Reaktionen schnell zur Stelle. Dafür kann man sie nicht schelten, denn nichts anderes wird von ihr erwartet. Nur: Kann man in diesem Fall von einem „Werk von wirren Einzelgängern“ sprechen, wie es Bundespräsident Roman Herzog wohl etwas voreilig getan hat?
Was er als Solidarität mit der Witwe Galinskis und mit der Jüdischen Gemeinde in Deutschland im besten Sinne gemeint hat, entpuppt sich bei näherer Betrachtung aber als typischer Entlastungstopos. Dieser hat schon den Rang eines Klassikers erreicht. Erstens sind hierzulande Attentäter aus dem rechten Spektrum in der Regel Einzelgänger. Zweites entspringt ihre Tat, zumal wenn sie antisemitisch motiviert ist, einer irgendwie gearteten geistesgestörten Einstellung.
So einfach machen es sich – leider – noch allzu häufig die politischen Repräsentanten in Deutschland. Dabei zeigt das Attentat von Berlin, daß der oder die Täter sehr genau die Wirkung ihrer Tat abschätzen. Die Verwirrung, in der sich die „Einzelgänger“ befinden sollen, hat sie also durchaus nicht davon abgehalten, kühl und durchaus rational vorzugehen. Sie haben die Tat wohlüberlegt geplant und sich ihr Ziel ebenso wohlüberlegt ausgesucht. Galinski, einst Vorsitzender des Zentralrats der Juden, war und ist ihnen nur Projektionsfläche für ihren tiefen Haß. Der Anschlag auf sein Grab soll die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Deutschland an sich treffen. Von daher ist die Tat von Berlin kein Ausfluß einer wie auch immer gearteten Verwirrung. Sie entspringt politischen Überlegungen. Ausgeführt wurde sie mit dem Mittel aus dem Arsenal des politischen Attentäters. Severin Weiland
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