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DenkmalstreitKitsch mit politischer Botschaft

Ein israelischer Künstler will Berlin ein Denkmal für jene 10.000 Kinder schenken, die nach der Pogromnacht 1938 nach England fliehen konnten. Doch der Kunstbeirat des Senats kritisiert den Entwurf: Er sei wenig informativ und altbacken.

Entwurf für das umstrittene Mahnmal am Bahnhof Friedrichstraße Bild: Frank Meisler

Sieben Kinder stehen zusammengedrängt vor einem Bahnhof. Sie sitzen auf Koffern oder halten sich an den Händen. Vor ihren Füßen verlaufen Schienen. Die Kinder warten auf ihren lebensrettenden Zug nach England. Diese Szene stellt die lebensgroße Bronze-Skulptur des israelischen Künstlers Frank Meisler dar; sie erinnert an die geglückte Flucht jüdischer Kinder nach der Pogromnacht im November 1938. Das Werk soll am Bahnhof Friedrichstraße an der Ecke Georgenstraße vor dem S-Bahn-Eingang aufgestellt werden; von dort begannen die Reisen der Kinder. Meisler will seine Skulptur der Stadt Berlin schenken, es wäre das deutschlandweit erste Mahnmal dieser Art - doch der Senat zögert, das Geschenk anzunehmen.

Denn der Beratungsausschuss Kunst (BAK) des Senats übt Kritik an dem eingereichten Entwurf. Der BAK berät die zuständige Kulturverwaltung in ästhetischer Hinsicht und äußert entsprechende Empfehlungen. "Die Kritik bezog sich vor allem auf das unkommentierte Aufstellen des Mahnmals. Erläuterungstafeln, wie bei anderen Denkmälern auch, müssten vorbereitet werden", erklärt Elfriede Müller vom "Büro für Kunst im öffentlichen Raum", das Mitglied im BAK ist. Die Skulptur sei zudem ein sehr traditionelles Bild, es sei figürlich und entspreche nicht der zeitgenössischen Kunst.

Generell sei dem BAK ein Denkmal für die Flucht der Kinder aber ein wichtiges Anliegen. Den Überlebenden möchte man jedmöglichen Respekt zollen. Ob sich die Kulturverwaltung an die Empfehlungen des BAK hält, ist noch offen.

Der Künstler Meisler gehörte damals selbst zu den Kindern, die ein Exil in England fanden. Er möchte mit der Schenkung die Erinnerung an die Flucht wach halten. Zwei weitere Mahnmale von ihm stehen in London und Wien. Die Skulptur in England wurde im September 2006 enthüllt und befindet sich an der Liverpool Street Station, die Schirmherrschaft übernahm Prinz Charles. In Wien findet sich Meislers Werk seit März am Westbahnhof. Nun soll Berlin nachziehen.

Für die Skulptur setzt sich vor allem die Initiative "Berliner Skulptur der Kindertransporte" ein. Deren Sprecherin Lisa Schäfer lässt sich von der Kritik des BAK nicht beirren: "Wir wissen, dass sie Kitsch ist. Aber wir wollen keine Biennale. Es geht um die politische Botschaft, die von der Skulptur ausgeht. Kunst liegt ja im Auge des Betrachters." Die geforderten Erläuterungstafeln zur Historie der Transporte und deren Organisatoren seien in Arbeit.

Auch die Jüdische Gemeinde unterstützt ein Denkmal. "Das Mahnmal ist wichtig für die Überlebenden", sagte ihre Sprecherin Maya Zehden. Über die künstlerische Form könne man sich aber streiten.

Eine endgültige Entscheidung in der Frage des Mahnmals stehe aber noch aus. "Wir würden das Projekt gerne in einen Wettbewerbskontext stellen, um so schon im Vorfeld eine Diskussion über die Transporte zu entfachen", sagte Müller vom "Büro für Kunst im öffentlichen Raum". Auch Torsten Wöhlert, der Sprecher des zuständigen Staatssekretärs André Schmitz (SPD), lässt verlauten: "In der Sache, dass an die Kinder erinnert werden soll, sind sich alle einig. Der BAK steht weiterhin mit allen Beteiligten in Kontakt." Weitere Gespräche sollen Ende August stattfinden. "Wir werden darum kämpfen, dass wir zum geplanten Termin am 30. November die Skulptur aufstellen können", sagt Schäfer einsatzbereit. Denn im November jährt sich der Beginn der Transporte zum 70. Mal.

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1 Kommentar

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  • G
    Gudix

    Ich verstehe nicht, warum eine figürliche Darstellung "Kitsch" sein soll. Ein figürliches Denkmal ist deutlich als Denkmal zu erkennen als ein abstrakter Kubus oder eine Stele, und es erhöht auch die Möglichkeit der Konkretisierung dessen, an das erinnert werden soll - man kann sich direkt davorstellen, den dargestellten Kindern in die Augen sehen, sich im Geiste dazustellen. Figürliche Denkmäler, wie z.B. das des Warschauer Aufstands in Warschau oder das für den Massenexodus der Iren bei der Hungersnot 1847 sm Hafen von Cobh (Südirland) hinterlassen im Betrachter ein viel aufwühlenderes Gefühl als ein unförmiges, "modernes" Etwas, mit dem die meisten Menschen zunächst nichts anfangen können und sich durch Presse, Tafeln und Broschüren zum "richtigen" Gedenken leiten lassen müssen. Da besonders Berlin ein Problem hat mit Denkmälern, mit denen auch die Betrachter etwas anfangen können, sollten wir dieses Geschenk annehmen. Es ist ein Schritt zur Therapie des Erinnerns und zur Ent-Neurotisierung der Denkmalskunst.