Denkmal für Heidi Kabel: Hanseatisches Platzmöbel
Hamburg feiert la Kabel. Am Sonntag wird ein Denkmal der Schauspielerin enthüllt. Fortan repräsentiert sie das Ohnsorg-Theater am Hamburger Hauptbahnhof.
Das ist für die Hamburger Selbstfolklorisierung kein unwichtiges Datum: Am Sonntag wird am Hauptbahnhof ein Denkmal eingeweiht, das die beliebteste Aktrice der Stadt würdigt. Sie ist vor nicht einmal anderthalb Jahren verstorben. Aber Heidi Kabel, nach der der sonst von Drogen- und Alkoholkranken bevölkerte Hachmannplatz umbenannt wird, war ja fast schon zu Lebzeiten kanonisiert, noch unumstrittener als Exkanzler Helmut Schmidt, der in seiner Stadt schon beinah so heilig ist wie sonstwo nur ein Göttlicher.
Auf dem Heidi-Kabel-Platz 1 steht dann eine neunzig Kilo schwere, 1,65 Meter hohe, in Bronze gegossene Skulptur, die auf Anhieb allen ästhetischen Moden der Entfremdung spottet und nichts anderes erkennbar macht als - eben Heidi Kabel. "Für mich ist das Denkmal stimmig, die Haltung, die Gestik und auch die Ausstrahlung", teilte die Künstlerin Inka Uzoma mit. "Die Enthüllung wird für mich sehr aufregend. Ich hoffe, die Hamburger nehmen meine Heidi so an." Uzomas Sorgen sind unbegründet: Dieses Platzmöbel zeigt die so genannte Volksschauspielerin sogar in einer Küchenschürze - als sei das Hamburger Leben noch immer ein einziger "Tratsch im Treppenhaus" und die Kabel die Königin des hanseatischen Flurfunks.
Ihre eilige Musealisierung korrespondiert freilich mit einem anderen Ereignis, das aufs Engste mit der Denkmalseinweihung zusammenhängt. Das Ohnsorg-Theater hat seit einigen Tagen dortselbst, in Wurfweite zum bildungsbürgerlichen Schauspielhaus und zum Rotlichtviertel am Steindamm, eine neue Spielstätte gefunden. Ins Bieberhaus, wo einst ein Finanzamt untergebracht war, auch die berüchtigte Ausländerbehörde, ist die Bühne eingezogen. In den Großen Bleichen war man nicht mehr gern, dort fühlte sich die Kundschaft des Theaters nicht mehr wohl; es hatte viel zu klamme Portemonnaies für diese sehr teuer gewordene Adresse im Einkaufsviertel der Reichen.
Kein Aal in Aspik
Am Hauptbahnhof hingegen ist das Ohnsorg-Theater gut aufgehoben. Theoretisch jedenfalls. Von außen erkennt man es nun als selbstbewusstes Theater, das seinen Zweck, die Pflege des Plattdeutschen, nicht verheimlicht. Obzwar: Die Restauration, ohne die eine privat geführte Bühne nicht leben könnte, weist keine besonderen hanseatischen Akzente auf. Kein Aal in Aspik, keine Karbonade (Kotelett auf norddeutsch), keine Frikadelle als Pausenfutter; selbst die Kaffeemaschine verweist auf das üblich Italienische - also Caffè latte und Macchiato, aber kein Muckefuck oder das Angebot einer Tasse Filterkaffee.
Diesen und viele weitere interessante Artikel lesen Sie in der sonntaz vom 3. und 4. September 2011 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
All diese Angebote, Chiffren einer versinkenden, hamburgischen Lebensart der so genannten kleinen Leute, fehlen. Auch musste schon zur Eröffnung des neuen Hauses auf Nostalgisches bitter verzichtet werden: Premiere hatte ein Shakespeare-Stück, "Ein Sommernachtstraum" - inszeniert vom früheren Schauspielhaus-Chef Michael Bogdanov -, nicht jedoch, beispielsweise, eben "Tratsch im Treppenhaus", in dem einst Heidi Kabel als Schludertante, nachbarschaftliche Giftmischerin und Petze vom Dienst brillierte. Nein, die im Ohnsorg-Theater das Sagen haben, trauen nicht den klassischen Stücken, mit denen das Ohnsorg - das das Fernsehpublikum zu Recht als Theater ohne Sorgen fantasierte - und der NDR als betreuender Sender heftigen Erfolg hatten.
Ferien vom Alltag
Die Frauen und Männer, die in die Vorstellungen möchten, sind ja neugierig auf Neues. Aber dass das ihnen Bekannte so gänzlich fehlt, muss sie kränken. Der besondere Witz der Ohnsorg-Ästhetik lag ja gerade in der Nichtbeachtung der bildungsbürgerlichen Diskurse. An den Großen Bleichen, mit der Kabel, mit Hilde Sicks, Jürgen Pooch, Heidi Mahler, Erna Raupach-Petersen oder Henry Vahl, ging es ja ums Schmunzeln, Schenkelklopfen, Schunkeln und Gemütlichsein - nicht um Gesellschaftsveränderung. Die Kabel - das war einer ihrer klügsten Charakterzüge - sagte einmal, sie wisse immer darum, dass sie für Menschen spiele, die oft viele Sorgen hätten und einfach von den Beschwernissen des Alltags gern mal Ferien hätten.
Ob das die Pointe wird, muss natürlich offen bleiben: dass in einem picobello-neuen Haus das Theater selbst mit dem Publikum mählich ausstirbt. Heidi Kabel aber wird dieses irdische Geschehen nicht mehr sehen können; ihr Denkmal mag man als Stellvertretung auf Erden nehmen. Mit ihr ist ja ohnehin nicht allein eine Volksschauspielerin, eine Komödiantin im besten Sinne gestorben, sondern auch die prominenteste Verkörperung einer Hamburger Bürgerin, für die das Plattdeutsche kein Exotikum war, sondern Alltagsidiom. Für die Worte wie Bohnerwachs und Leuwagen keine Fremdworte waren, sondern Bodenputzmittel bezeichneten. Dieser hanseatische Klang ist mit der Kabel zur liebenswerten Schnurre geworden.
Und der Küchenkittel? Als Frauen noch Hausfrauen waren und solche Textilien schlicht trugen, um sich beim Kochen und Bohnern nicht schietig zu machen, hatte die Kabel ihre größte Zeit. Die in Bronze gegossene Vergangenheitsstatue, die diese Schauspielerin zeigt, kommt nicht zu früh: Das wie in "s-pitzer S-tein" gesprochene Missingsch beherrscht in Hamburg nur noch - Helmut Schmidt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut