Den Gebärmutterhals kennenlernen: Schillernde Orgasmen
Unsere Autorin war neugierig: Lustgewinn durch die Stimulierung des Gebärmutterhalses? Und wie! Aber Zervix macht noch viel mehr.
Es war nur eine Einladung bei Facebook gewesen. „Awaken the Cervix – A 21 Day Pleasure Journey“ stand da. Ein Onlinekurs, um die Zervix, den Gebärmutterhals, zu aktivieren und Lust zu erzeugen. In den Praktiken des Tantra und des Tao sind zervikale Stimulierungen seit Jahrtausenden bekannt; ein komplexes Nervengeflecht verbindet den Gebärmutterhals mit den Beckennerven. Klang interessant, ich meldete mich an.
Mehr als 1.000 Frauen aus über 30 Ländern waren dabei, unser Treffpunkt: eine Online-Plattform. 21 Tage sollte das Programm gehen, der minimale Zeitraum, in dem das Gehirn ein neues Verhalten adaptiere. Wir diskutierten auf einer geheimen Seite bei Facebook, geschulte Sexologinnen darunter. Auf einer Website standen Videos bereit, Interviews mit Experten, Anleitungen zur Selbstmassage und Meditationen. Als ich das erste Video geschaut hatte – das Erklärvideo für den Überblick –, stand ich heulend vor meinem Freund. „Du achtest mich gar nicht“, schluchzte ich. Die Worte kamen einfach aus mir heraus. Er umarmte mich. „Wie kommst du denn darauf? Natürlich achte ich dich.“ In dem Video hatten sie über das „Full-Body-Yes“ gesprochen, die Zustimmung des Körpers, bevor irgendwer in dich eindringt. Feucht sein sei noch kein Ja.
Ich verstand. Ich hatte mich selber nicht geachtet. Ich hatte Männer, meinen Freund, mich selbst, immer zu früh in mich hineingelassen. Ich fühlte mich missbraucht. Von mir selbst. Ich entschuldigte mich bei meinem Freund.
Am nächsten Abend machte ich weiter. Mann und Kinder waren unterwegs. Ich streichelte meinen Körper, das sollte das Kuschelhormon Oxytocin auslösen. Dann berührte ich die äußeren Schamlippen, dann den Damm. Das reichte mir schon. Ich heulte wieder. Ich befühlte den kleinen Gnubbel, der manchmal so schmerzte, wenn wir miteinander schliefen – die Narbe von der Geburt meines ersten Sohnes, ein Dammriss. Ich heulte. Nach 17 Jahren betrauerte ich das vernarbte Schlachtfeld, das die Geburten hinterlassen hatten. Wie konnten mich zwei harmlose Videos so aus der Fassung bringen?
Tor zur Lust
Ich schrieb Olivia Bryant, einer der Gründerinnen von „Awaken The Cervix“. Ein paar Wochen später war sie zu Besuch in Berlin, wir verabredeten uns. Bryant, 40, schmal, kurze braune Haare, Neuseeländerin, ist Sexologin. An unserem Küchentisch erzählte ich von meinen Heulszenen. „Nicht gerade das klassische Lustprogramm“, sagte ich. Sie lachte. „Die Zervix ist wie die Büchse der Pandora“, sagte sie, „sie ist nicht nur ein Tor zur Lust, sondern auch ein Ort im Körper, an dem Dinge gespeichert sind, die wir nicht so gern anschauen. Trauma, Emotionen, Scham, Angst, Wut, alte Glaubenssätze über uns als Frauen, als sexuelle Wesen. Und sobald wir diese Büchse öffnen, werden wir mit all dem konfrontiert.“ Ich wusste was sie meinte. Ich musste durch den Schlamm, bevor ich hoch hinaus konnte.
Die Zervix ist das einzige Organ im weiblichen Körper, in dem drei Hauptnervenstränge enden. Offensichtlich dazu gemacht, Lust zu empfinden. Zum Beispiel der Vagusnerv, der von dort direkt mit der Zirbeldrüse verbunden ist. Diese Drüse kann die Substanz DMT ausschütten, eine bewusstseinserweiternde Droge, die Liebende ineinander verschmelzen lässt. Außerdem ist der Vagusnerv ein Hauptzweig des parasympathischen Nervensystem und lässt uns – wenn er funktioniert – ruhig und sicher fühlen.
Tausende demonstrieren gegen TTIP und CETA – selbst Trump, Le Pen und die AfD sind gegen Freihandel. Wie sich die Organisatoren der Proteste von den Rechten abgrenzen wollen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 17./18. September. Außerdem: Silke Burmester beschreibt, wie es ist, wenn das eigene Kind auszieht. Ingo Zamperoni erzählt im Interview, wie Amerikaner Hausschuhe finden. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
„Die Zervix ist unbekanntes Terrain“, sagte Olivia Bryant, „selbst Frauen, die sich viel und gern selbst befriedigen, penetrieren sich selten – und die wenigsten stimulieren ihre Zervix.“ Ein Grund dafür sei der Kinsey-Report von 1953, in dem behauptet wurde, dass Frauen ihre Zervix nicht spüren können. Obwohl die Daten des Sexforschers Alfred Kinsey zeigten, dass über 85 Prozent der Frauen, die er und sein Team damals untersuchten, Druck auf ihrer Zervix spüren konnten. Allerdings konnten sie sanfte Stimulierung mit einem Wattestäbchen nicht spüren. Er schloss: Die Zervix spürt nichts. Und dieser Glaube hat sich bis heute gehalten.
Das Verhalten ändert sich
Ich will mehr wissen und schreibe an Barry Komisaruk, er ist Neurowissenschaftler an der Rutgers-Universität in New Jersey, der weltweit führende Zervixforscher. Er hat durch Kernspinstudien nachgewiesen, dass die Zervix das dritte sexuelle Zentrum der Frau sei. Woran liegt es, dass so wenig über sie bekannt ist? Erst mal, schreibt Komisaruk, sei die Zervix schlecht zu erreichen und nicht sichtbar. Ein anatomisches Problem. Hinzu komme ein strukturelles: Viele Ärzte dächten noch immer, die Zervix sei per se unempfindlich. Dadurch führten sie seltener nervenschonende Eingriffe am Gebärmutterhals durch, als sie das beispielsweise an der Prostata täten.
Ich hatte noch eine andere Frage, wegen des Heulens. Aber auch weil ich in den letzten Wochen auffallend viel Sport machte. Tanzte. Klare Ansagen machte. „Dr. Komisaruk“, schreibe ich, „ich habe das Gefühl dass sich mein Verhalten ändert, seit ich mich mit der Zervix beschäftige. Kann das sein?“ – „Ja“, antwortete er. „Einer der drei Nervenstränge, die Gefühle von der Zervix ins Gehirn übermitteln, ist der Vagusnerv. Er übermittelt auch Empfindungen der meisten anderen inneren Organe – und die haben starken Einfluss auf unsere Stimmung, unsere Emotionen.“
Wochen waren vergangen, noch immer hatte ich meine Zervix nicht berührt. Ich hatte Angst davor. Olivia Bryant schickte mich zu Silja Rehfeldt, einer Hebamme in Berlin, die tantrisch geschult ist und an der Zervix arbeiten würde. Silja Rehfeldt ist eine große, kräftige Frau mit blonden Locken, ich kann mir vorstellen, wie sie mit ihren starken Händen Neugeborene empfängt. Sie erzählt, dass oft Frauen nach der Menopause zu ihr kommen, die um ihre ungeborenen oder verlorenen Kinder trauern, aber auch Männer mit religiösem Hintergrund, für die alles untenrum verboten scheint. Sie erklärt mir, was sie dann für gewöhnlich macht. „De-Armouring“ nennt sie das, Entpanzern. Nach einer langen Ganzkörpermassage ertastet sie die Vagina von innen. Sie spürt, wo Verspannungen sitzen, Taubheit, Schmerz. An diesen Stellen drückt sie in das Gewebe, und die Klientin drückt den Schmerz aus der Stelle raus.
Ihr Finger ist in mir
Die Ganzkörpermassage sei wichtig, weil nur durch einen hohen Grad an Entspannung eine Frau zervikal erregbar sei. Erst durch eine bestimmte Kombination von Hormonen, die in diesem Prozess ausgestoßen werden, könnten wir uns beim Orgasmus gefühlt ausdehnen, das parasymphatische Nervensystem aktivieren, das zur Entspannung führt, in der die Zirbeldrüse das DMT ausschütten kann, die Transzendenzdroge. Nur so könnten wir den Gipfelorgasmus vermeiden, der dazu führt, dass unser Körper Prolaktin ausstößt, das uns sofort müde macht. Der klitorale Orgasmus führe unweigerlich in diesen Zustand. Beim Sex mit einem Mann, rät sie, solle ich gefühlt den Penis wieder rausschieben, dann würde es dem Mann leichter fallen, nicht zu kommen.
Ich liege auf Silja Rehfeldts Matte, Kerzenlicht, leise Musik. Sie hockt zwischen meinen Beinen, ihr behandschuhter Finger steckt in mir. „Deine Zervix versteckt sich, sie ist ganz kurz“, sagt sie. Wahrscheinlich durch die beiden Geburten. Sie drückt und es ist plötzlich angenehm, und dann kommt ein kantiger Schmerz, schwer auszuhalten. Atme ein, sagt sie, und dann drückst du das raus. Wie bei der Geburt, du gibst das an mich ab. Es ist ein bisschen wie beim Zahnarzt, denke ich. Als müsste man einfach ab und zu mal gucken, ob noch alles in Ordnung ist, ein bisschen durchfegen.
In den Wochen nach der Zervixmassage versuche ich zu spüren, ob etwas anders ist. War ich strenger geworden, wenn es darum ging, in mich einzudringen? Wenn ich nicht bereit war, lief nichts. Wenn es aber losging, gab ich mich hin. Alles dauerte viel länger. Die Orgasmen waren anders. Brennend, schillernd, auflösend, saugend. Als Olivia Bryant sich von mir verabschiedete, sagte sie: „Natürlich ist Lust schön. Aber eigentlich geht es um Ermächtigung von Frauen. Sie zu inspirieren, um das zu bitten, was sie wollen. Ihre Grenzen wahrzunehmen und sie zu schützen. Im Bett – und auch beim Gynäkologen.“
Vielleicht geht es vor allem darum, ein anderes Bewusstsein für meinen Körper zu bekommen. Um neue Möglichkeiten des Lustgewinns und um ein anderes gesellschaftliches Bild. Vielleicht ist diese Verpanzerung, von der Silja Rehfeldt gesprochen hat, auch ein gesellschaftlicher Panzer.
Es ist etwas anstrengend mit der Zervix. Aber ich mache weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern