Demonstrationen in Russland: Achtjährige Staatsfeinde
Die russische Polizei nimmt alle fest, die gegen den Krieg protestieren – selbst Seniorinnen und Grundschüler mit Friedensplakaten.
Seit dem Beginn der Proteste in Russland mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine vor mehr als einer Woche wurden im ganzen Land nach Angaben der unabhängigen russischen Menschenrechtsorganisation OWD-Info etwa 7.700 Menschen festgenommen. Die Moskauer Bürgerrechtsgruppe organisiert Rechtsbeistand für Festgenommene, doch auch ihre Arbeit wird von der russischen Regierung behindert; seit September wird OWD-Info als „ausländischer Agent“ in Russland diskreditiert.
Bei der alten Frau soll es sich um die 77 Jahre alte Jelena Ossipowa handeln. Auf zwei handgemalten Plakaten forderte sie in Sankt Petersburg ein weltweites Verbot von Atomwaffen und kritisiert, dass Russland im Gegensatz zur Ukraine noch immer welche habe. Als sich zwei Polizisten nähern, die fast zwei Köpfe größer als die alte Frau sind, bleibt sie stoisch stehen. Sichtlich konsterniert reden die Beamten auf die zierliche Frau ein, die sich aber weiterhin nicht bewegen will. Nach wenigen Sekunden greifen die Beamten sie unter den Armen und führen sie ab. Mehrere weitere Polizisten begleiten die Festnahme.
In einem anderen Fall sollen Polizisten in Moskau Kinder festgenommen haben. Einem Bericht des britischen Sender Sky News zufolge wollten sie dort vor der ukrainischen Botschaft Blumen niederlegen. Aufnahmen zeigen einen Jungen in einem Gefangenentransporter sowie ein Mädchen auf einer Polizeiwache. Vor ihr liegen auf einem Tisch mit bunten Farben beschriftete Blätter mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“ und eine simple gemalte Gleichung: eine russische Flagge plus eine ukrainische Flagge ergeben ein Herzchen.
Die Mutter der Kinder habe wegen der Nachrichten aus der Ukraine die Füße nicht länger stillhalten können, heißt es in dem Bericht von Sky. Weil niemand auf die Kinder zu Hause habe aufpassen können, seien sie zu ihrem kleinen Protest mitgekommen. „Unsere Absichten waren die friedlichsten“, wird die Mutter Jekaterina Savision zitiert.
Allein am vergangenen Sonntag wurden nach Angaben von OWD-Info in mehr als 50 Städten mindestens 2.710 Menschen bei Friedensdemonstrationen festgenommen. Die Antikriegsproteste hatten am Donnerstag begonnen, nachdem russische Truppen in die Ukraine einmarschiert waren.
Die Kinder und ihre Mütter wurden dem Bericht von Sky zufolge aus dem Gewahrsam entlassen und warten auf einen Gerichtstermin. Zu dem Verbleib der 77-jährigen Ossipowa war zunächst nichts bekannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“