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Demonstration der türkischen OppositionWir sind auch noch da

Auf dem Istanbuler Taksim-Platz demonstrierten am Sonntag Zehntausende für Demokratie. Die Kundgebung war von Erdoğan genehmigt.

Den Moment festhalten: eine junge Frau bei der Demonstration am Sonntagabend in Istanbul Foto: dpa

Istanbul taz | Der ganze riesige Platz war in Rot getaucht, fast jeder hielt eine türkische Fahne in der Hand. Doch anders als bei den „Bürgerwehr-Demonstrationen“, zu denen Präsident Recep Tayyip Erdoğan „sein Volk“ seit der Putschnacht am 15. Juli auf die Straße ruft, gab es keine „Allahu Akbar“-Rufe, keine osmanischen Flaggen, und keine IS-Handzeichen. Am Sonntagabend versammelte sich auf dem zentralen Istanbuler Taksim-Platz die Republikanische Opposition.

Der Vorsitzende der oppositionellen sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, hatte zu der Demonstration aufgerufen und Zehntausende waren gekommen. Sie strömten über Stunden auf den Platz, um für die „demokratische, laizistische und soziale Republik“ einzutreten. Es schien als hätten viele Menschen nur darauf gewartet, endlich einmal zeigen zu können, dass sie auch noch da sind, dass nicht nur die Erdoğan-Fans die Straße beherrschen.

Es war das erste Mal seit dem Gezi-Aufstand im Sommer 2013, dass die Opposition wieder auf dem Taksim-Platz demonstrieren durfte. Erdoğan hatte zuvor grünes Licht für die Demo gegeben. Viele sahen darin ein Zeichen, dass der Präsident geneigt sein könnte, nach dem dramatischen Putschversuch nicht nur mit Repression gegen seine Gegner, sondern auch mit Zeichen von Konzilianz gegenüber der parlamentarischen Opposition zu reagieren.

„Schließlich haben wir“, rief Kılıçdaroğlu der Menge zu, „im Parlament alle gemeinsam in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli unsere Demokratie gerettet“. Die Schlussfolgerungen für die CHP, für die Gewerkschaften und Berufsverbände, waren klar: Die parlamentarische Demokratie muss gestärkt werden und darf nicht durch ein autoritäres Präsidialsystem ersetzt werden.

Erdoğan spricht mit Oppositionsführern

Obwohl es im Vorfeld viele Gerüchte über mögliche Provokationen oder gar Bombenattentate, wie bei der Friedensdemonstration der Opposition im Herbst vergangenen Jahres in Ankara, gegeben hatte, ließen sich die Menschen nicht vom Demonstrieren abhalten. „Es tut gut zu sehen, dass man nicht allein ist“, sagte eine ältere Frau. „Wir machen uns gegenseitig Hoffnung, dass aus den schlimmen Ereignissen vor zehn Tagen vielleicht doch noch etwas Gutes entstehen könnte“.

Dazu passt, dass Erdoğan am Montagnachmittag neben seinem Ministerpräsidenten Binali Yıldırım auch die beiden Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu und Devlet Bahçeli von der ultranationalistischen MHP zu einem Gespräch über das weitere Vorgehen eingeladen hat.

Die kurdisch-linke HDP bleibt allerdings ausgeschlossen. Sie hatte bereits am Samstagnachmittag in einem Vorort von Istanbul eine ebenfalls genehmigte Demonstration abgehalten. Dort hatte der Ko-Vorsitzende der Partei, Selahattin Demirtaş, den Ausnahmezustand scharf verurteilt. Dabei störte ihn insbesondere eine Regelung, nach der Leute, die verhaftet werden, jetzt 30 Tage statt wie bisher 48 Stunden in Polizeigewahrsam gehalten werden dürfen ohne einem Haftrichter vorgeführt werden zu müssen. Demirtaş nannte dies „geradezu eine Einladung zur Folter“.

Diese Befürchtung wurde bereits gestern von Amnesty International bestätigt. „Uns liegen glaubwürdige Zeugenaussagen vor, dass angebliche Putschisten in Untersuchungshaft gefoltert wurden“, gab die Organisation bekannt. Tatsächlich war es auch in der Vergangenheit so, dass Folterungen vor allem in Polizeihaft stattfanden und nicht im Gefängnis.

Türkische Medien berichten am Montag, dass zu den bereits 13.000 Verhafteten auch Haftbefehle gegen 42 Journalisten ausgestellt wurden. Die bereits verhafteten Soldaten sollen alle gemeinsam in einem Hochsicherheitsgefängnis untergebracht werden, wahrscheinlich in Silivri, einem Ort westlich von Istanbul, wo bereits 2007 ein großer Gefängniskomplex für politische Häftlinge gebaut worden war.

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4 Kommentare

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  • "keine „Allahu Akbar“-Rufe, keine osmanischen Flaggen, und keine IS-Handzeichen"

     

    Die Rufe gab es zweifelsfrei. Osmanische Flaggen sehr sporadisch. Aber IS-Handzeichen... die IS ist in der Türkei verhasst. Mit solchen Falschbehauptungen macht man sich nur unglaubwürdig.

  • "Die Kundgebung war von Erdoğan genehmigt."

     

    Eigentlich werden Kundgebugen bzw. Demonstrationen "angemeldet" und nicht "genehmigt". Erdogans Ex-Demokratie.

    • @Jens Frisch:

      Das ist deutsches Recht. Ich weiss nicht, wie es in der Türkei ist - in anderen durchaus demokratischen und rechtstaatlichen Ländern ist es teilweise so, dass Demonstrationen genehmigt werden müssen - allerdings mit einem verbrieften Recht auf Genehmigung wenn nicht triftige Gründe (die bei uns zu einem Verbot der angemeldeten Demonstration führen würden) dagegen sprechen.

      • @Velofisch:

        Nach der türkischen Verfassung hat Erdogan gar nichts zu genehmigen, da er als Präsident eine ausschließlich repräsentative Aufgabe hat, vergleichbar mit unserem BP und ganz nebenbei hat er auch in der AKP nichts mer zu suchen: Als Präsient ist er zur parteipolitischen Neutralität vepflichtet.