Demokratieförderung im Koalitionsvertrag: Zivilgesellschaft bleibt misstrauisch
Immerhin: Das Förderprogramm „Demokratie leben“ bleibt. Doch es gibt auch Leerstellen im Koalitionsvertrag, vor allem beim Kampf gegen Rechtsextremismus.

Nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrages ist klar: Das Demokratieförderprogramm „Demokratie Leben!“ bleibt, sogar im Familienministerium. Es heißt gar wertschätzend, dass man „verstärkt in die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie investieren müsse“ – man „unterstreiche die Bedeutung gemeinnütziger Organisationen, engagierter Vereine und zivilgesellschaftlicher Akteure als zentrale Säulen unserer Gesellschaft“.
Dieses Bekenntnis heißt aber leider nicht, dass alles gut ist: Denn das Familienministerium soll von der CDU geführt werden. „Demokratie Leben!“ wird damit erstmals unter Unionsverantwortung stehen. Und die dreht bekanntlich in einigen Regionen bereits jetzt zivilgesellschaftlichen Vereinen den Geldhahn zu – zusammen mit der AfD.
Zudem heißt es: „Wir werden eine unabhängige Überprüfung dieses Programms in Bezug auf Zielerreichung und Wirkung veranlassen“. Außerdem wolle man „die Verfassungstreue geförderter Projekte“ sicherstellen. Das dürfte von der Union eher restriktiv mit Blick auf alles Linke gemeint sein. Die Unions-Angriffe auf die Zivilgesellschaft könnten also weitergehen.
„Misstrauen statt Rückendeckung“
Entsprechend ambivalent fielen die Reaktionen der Zivilgesellschaft auf den Koalitionsvertrag aus. Exemplarisch: Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung lobte grundsätzlich, dass die Parteien formal jede Zusammenarbeit mit rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Kräften ausschließen und sich für Demokratiebildung und „Demokratie Leben!“ aussprechen. Aber er kritisierte die angekündigte „unabhängige Überprüfung“: „Das am besten evaluierte Förderprogramm des Bundeshaushalts soll erneut überprüft werden. Warum?“
Reinfrank befürchtete, dass harmlos klingende Begriffe wie „rechtssichere Arbeit“ und „Verfassungstreue“ politisch genutzt würden, um Träger auszubremsen, die sich für eine Brandmauer gegen Rechtsextremismus engagieren. „Wer Demokratieförderung weiter mit Misstrauen statt mit Rückendeckung begegnet, schwächt jene, die tagtäglich unsere Demokratie gegen Nazis, Rassisten und Antisemiten verteidigen“, kritisierte Reinfrank. „Planungssicherheit, Schutz vor rechtsextremen Angriffen und Rückendeckung durch die neue Familienminister*in sind jetzt entscheidend“.
Leerstelle Rechtsextremismus
Auch Heike Kleffner, Geschäftsführerin des Verbands der Opferberatungsstellen für Betroffene rechter Gewalt, freute sich über das „überraschend deutliche“ Bekenntnis zur Zivilgesellschaft. Sie sah aber auch Leerstellen: „Obwohl rechtsextreme Gewalt auf einem alarmierenden Höchststand ist, gibt es im Koalitionsvertrag eine auffällige Leerstelle: Es gibt keine politische Strategie zur Bekämpfung des Rechtsextremismus.“
Weder gebe es einen Nationalen Aktionsplan noch eine Bund-Länder-Task-Force – anders als etwa in den Bereichen Islamismusprävention oder Umweltkriminalität. Darin zeige sich eine „besorgniserregende Normalisierung und politische Planlosigkeit.“
Angriffe auf linke NGOs, aber auch auf Naturschutz- und sogar Sportvereine, die sich gegen Rechtsextremismus oder Rassismus positionieren, gibt es schon länger, vor allem durch die AfD. Die stellt regelmäßig Anzeigen wegen angeblicher Verletzungen der parteipolitischen Neutralität im Gemeinnützigkeitsrecht.
Viele Vereine fordern daher schon länger eine Überarbeitung des Gemeinnützigkeitsrechts, die mehr politischen Spielraum lässt. Im Koalitionsvertrag verspricht Schwarz-Rot jetzt zwar eine Modernisierung und Vereinfachung des „Katalogs von gemeinnützigen Zwecken“ – ob und inwiefern politisches Engagement darunter fällt, bleibt allerdings offen.
Wenig Konkretes zur Gemeinnützigkeit
„Der Ansatz stimmt,“ sagte dazu Stephanie Handtmann von der „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“: „Es gibt durchaus Chancen für bessere rechtliche Absicherung gemeinnütziger Arbeit, doch entscheidend wird die konkrete Ausgestaltung sein.“ Man werde die künftige Regierung an ihrem klaren Bekenntnis zu gemeinnützigen Organisationen und zur Zivilgesellschaft messen.
Ansonsten berge der Koalitionsvertrag wenige Überraschungen, aber „auch keine massiven Verschlechterungen, so wie nach dem als Kleine Anfrage getarnten Frontalangriff der Union vielfach befürchtet“, so Handtmann. Die Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts sei leider insbesondere zur Erweiterung der Satzungszwecke unkonkret. „So fehlt die vielleicht wichtigste Klarstellung, dass politische Arbeit nicht schädlich für die Gemeinnützigkeit ist“, so Handtmann.
In anderen Bereichen gibt es durchaus deutlichere Kritik: Friedensorganisationen etwa vermissen generell das Thema Abrüstung und kritisieren, dass Union und SPD auf Aufrüstung, Nato-Politik und atomare Abschreckung setzen, sagte Lars Pohlmeier, Vorsitzender der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs. Rüstungsexporte würden an den Interessen der Wirtschaftspolitik ausgerichtet, kritisierte das Bündnis „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“. Auch das kirchliche Hilfswerk „Brot für die Welt“ schloss sich der Kritik an.
AfD-Rhetorik und Law-and-Order
Der Republikanische Anwält*innenverein (RAV) kritisierte vor allem die Beschränkung von Freiheitsrechten und den Abbau rechtsstaatlicher Errungenschaften. Justiz und Verfahrensrechte würden beschnitten, unter dem Vorwand Gerichtsverfahren zu beschleunigen. Es deute sich eine „Law-and-Order-Wende“ im Strafrecht an, so der RAV: Im Koalitionsvertrag sind die Einführung der Vorratsdatenspeicherung, eine automatisierte Datenanalyse, KI-Gesichtserkennung und mehr Funkzellenabfragen und Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) geplant.
RAV-Geschäftsführer Lukas Theune bescheinigte der neuen Koalition bei der Migrationspolitik außerdem „AfD-Rhetorik im Wortlaut, statt Politik auf Basis von Fakten“.
Ähnliches mahnte Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung an. Beim Kampf gegen Rechtsextremismus sei die formale Abgrenzung gegen rechtsextreme Kräfte nicht genug: „Auch die Übernahme rechtsextremer Sprache, Narrative und Deutungsmuster gehört konsequent ausgeschlossen.“
Gerade beim Thema Migration nutzten Union und SPD aber eine harte Rhetorik, kritisierte Reinfrank. „Wer glaubt, der AfD mit symbolischer Härte begegnen zu können, übernimmt ihr Framing – und zahlt in der Konsequenz weiter auf die rechtsextreme Partei ein“, so Reinfrank. Janka Schubart von LeaveNoOneBehind wurde noch deutlicher – sie sagte der taz: „Der Koalitionsvertrag liest sich wie ein Förderprogramm für die AfD“.
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