Demokratie unter Beschuss: Dialektik des Widerstandes
Die Errungenschaften der Gegenwart sind von rechts bedroht. Diese Barbarei zu bekämpfen ist nötig und unumgänglich, zugleich aber auch zu wenig.
![Kamala Harris blickt hinter der Bühne auf einen Monitor, bevor sie die Bühne für ihre letzte Wahlkampfveranstaltung betritt Kamala Harris blickt hinter der Bühne auf einen Monitor, bevor sie die Bühne für ihre letzte Wahlkampfveranstaltung betritt](https://taz.de/picture/7351111/14/36973523-1.jpeg)
Fühlt Euch nicht in die Ecke gedrängt, eingeengt. Bewegt Euch, so gut ihr könnt, durch diese Welt um Euch herum“, schrieb Patti Smith am Tag nach der Trump-Wahl. Und endete: „Zurück an die Arbeit.“ Es war ein erster, schneller Versuch, mit dem Schock zurande zu kommen. Dieser depressiven Erstarrung. Erst heilen, erst Self Care, aber dann: „Zurück an die Arbeit.“ Ist das trotzig, kämpferisch? Oder vor allem „zurück an die Arbeit“, was ja auch heißt: zurück zum Eigenen, sich nicht beirren lassen von Umständen, die womöglich so lähmen, dass einem die Fähigkeit abhandenkommt, diese Umstände zu ändern.
Die Welt geht gerade ein bisschen den Bach herunter. Krieg, Krise, Verrücktheit, das Regressive, die Angst, negative Nachrichten schlagen in unsere Hirne ein. Von der „Nachrichtenerschöpfung“ sprechen schon die Zeitdiagnostiker. Die Abfolge an schlechten Nachrichten trägt selbst zur Atmosphäre der Dauergereiztheit bei, sie produziert auch einen Groll, der Ursache der nächsten schlechten Nachrichten wird.
Diese Rasanz, mit der kippt, was man an Status quo erreicht zu haben glaubte, an eh nur halbwegs progressiven, pluralistischen Demokratien. Rechtsextreme werden zur Nummer eins, wie in Österreich, in Italien, der ethnonationalistische Autoritarismus bringt selbst Trump zurück. Und jetzt auch noch Neuwahlen in Deutschland, deren Ausgang ungewiss ist, aber dass die Dinge einen fulminant erfreulichen Lauf nehmen werden, ist dann doch eher unwahrscheinlich. „Zurück an die Arbeit“, das heißt auch: nicht „trotz alledem“, sondern gerade deswegen.
Die dauernde Defensive ist eine Falle
Bloß, was ist das für eine Arbeit, an die wir zurück sollen? Die Verteidigung der demokratischen Institutionen, um das Schlimmste zu verhindern? Eine ehrenwerte und nötige Sache, gewiss. Man soll die Verhinderung des Schlimmsten nicht verächtlich machen. Wir kennen diese falsche, höhnische Frage, was es denn zu verteidigen gebe in dieser Welt, die viel mehr unperfekt als perfekt ist.
Andererseits: Die dauernde Defensive ist auch eine Falle. Man steht leicht ohne nennenswerte sonstige Ziele da, wenn man nur mehr das Schlimmste verhindern will und nur mehr auf die Gefahr starrt, die es abzuwenden gilt. Mehr noch: Man wird mit dem Institutionengefüge identifiziert, mit dem Status quo, dem, was sie „das System“ nennen. Wer in diese Falle tappt, steht schon fast auf verlorenem Posten. Man scheitert dann selbst an der Verteidigung dieser Institutionen, gerade weil man nur mehr als deren Verteidiger wahrgenommen wird – eine Art trauriger Dialektik.
Wer nur verteidigt, verteidigt schlecht. Jeder spürt das. Widerstand ist notwendig – und zugleich viel zu wenig.
Es gab mehrere Gründe, warum Kamala Harris verlor – die Misogynie war einer, ihre überstürzte Kür ein weiterer, dass sie „Regierungskandidatin“ war ein dritter. Aber das gehörte eben auch dazu: Hier stand eine erfolgreiche Frau, eine Westküsten-Starjuristin, in Designer-Hosenanzügen, der Uniform der zeitgenössischen Erfolgskultur, mit Perlenketten, und repräsentierte schon durch Bild- und Bodylanguage die Elitenkultur der Upper-Upper-Class. Also ein „System“, das viele Verlierer und Verwundete produziert. Und ihre zentrale Botschaft war: Verteidigt den Status quo gegen den Sturmlauf der Barbaren.
Die Rechte tritt organisiert auf
Wir stehen – soweit zur „Arbeit“, die wir vor uns haben – beinahe überall vor demselben Problem: Der rechtsextreme Autoritarismus hat die Hegemonie, bestimmt die Themen, das, worüber diskutiert wird, er setzt den Takt, und die anderen reagieren nur mehr darauf, sogar dann, wenn er in der Minderheit ist. Und er beutet jede Schwäche und jede Inkonsequenz schonungslos aus. Die rechten Strategen haben das gut erkannt, nämlich, dass man keine Wahlen gewinnt, bevor man nicht die Themensetzung bestimmt.
Freilich gibt es natürlich nie einen Kampf um die Hegemonie, der nicht vom Gegenüber mitbestimmt wird: Denn es gibt keine Position, die sich nicht über die Gegnerschaft zu anderen Positionen definiert. Um das in Carl Schmitts Worten zu sagen, des großen Säulenheiligen der zeitgenössischen radikalen Rechten: Es gibt keine politischen Begriffe, die keine Dissoziation, also Gegnerschaft artikulieren.
Bei den Rechten ist das etwa die Multikulturalität, nicht nur in Hinblick auf die Diversität der Einwanderergesellschaft, sondern auch in Hinblick auf die Werte- und Lebensstil-Diversity heutiger Gesellschaften, mit ihrem „leben und leben lassen“ und ihrem „anything goes“, ihren Genderfragen und ihren „Kulturkampf“-Triggerthemen. Auch ihre Thematiken kommen nicht aus dem Nichts, sondern aus einem Kontra, aus Gegnerschaft.
Das Gegenmittel: inspirierendes Chaos
Die Gegenwart lehrt uns, dass die Abwehr der Barbarei nicht gelingen wird, wenn sie rein defensiv bleibt. Gegenwart und Geschichte lehren, dass man einerseits das Verstunkene, das Verstockte, das Autoritäre und Repressive angreifen, dabei aber auch ein Bild künftiger besserer Lebensweisen entstehen lassen muss.
Diese Visionen bilden sich im Brodelnden, Elektrisierenden des Neuen, in der Kunst, der Literatur, der Poesie, den Wissenschaften, der Architektur, mit Rationalismus, mit Stilrevolutionen; in der Verbesserung von Stadtteilen, in den kleinen Utopien hier und da, der Freude an der Freiheit. Tausende Impulse, jeder für sich scheinbar unwichtig, die sich in Summe aber zu gesellschaftlichen Atmosphären addieren. Das ist die Arbeit einer freien Zivilgesellschaft, die vordergründig überhaupt nichts mit Wahlkämpfen zu tun hat, bei der aber jede und jeder ihren kleinen Beitrag leistet, damit Wahlen anders ausgehen. Eben „Arbeit“ im vorpolitischen Raum. Gewissermaßen ein Antifaschismus, der nicht dauernd auf die Faschisten starrt.
Vielleicht sollten wir Patti Smiths Aufmunterung so verstehen: Zurück jeweils an die Arbeit, die jeder von uns am besten kann.
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