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Zukunftszentrum in OstdeutschlandDezentralisiert das Zentrum!

Katrin Gottschalk
Kommentar von Katrin Gottschalk

Das geplante Transformationszentrum ist eine gute Idee, um die ostdeutsche Lebensleistung anzuerkennen. Dabei sollte in jedem Ost-Bundesland eines stehen.

Dietmar Woidke und Angela Amerkel am Mittwoch bei der Ost-Konferenz Foto: Robert Michael/dpa

A m Mittwoch trafen sich die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen der ostdeutschen Bundesländer zum letzten Mal mit der ersten ostdeutschen Kanzlerin der Bundesrepublik. Eine „diktatursozialisierte“ Kanzlerin ist Merkel, wie der Ostbeauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz es nennen würde, zu dessen jüngsten Äußerungen über die Demokratiefähigkeit vieler Ostdeutscher zwar Nachfragen in der Pressekonferenz gestellt wurden.

Im Fokus der Ost-Konferenz standen aber andere Fragen. Etwa diese, wie es denn jetzt genau weitergehen soll mit dem Zusammenwachsen von dem, was zusammen gehört. Eine Antwort darauf, neben mehr Bundesbehörden und Arbeitsplätzen im Osten, soll das „Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit“ sein. Es soll gesellschaftliche Umbrüche erforschen, von denen der Osten Deutschlands in enormem Tempo bekanntermaßen viele erlebt hat. Die Anerkennung ostdeutscher Lebensleistung klingt hier durch und die Suche nach dem, was der Westen vom Osten lernen kann.

Es gibt eine zentrale Asymmetrie im Wiedervereinigungsprozess: dass der Osten so werden solle, wie der Westen glaube, selbst zu sein. So drückte es der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk kürzlich auf der Leipziger Buchmesse aus. Dabei hat der Westen auch enorm vom Osten profitiert – etwa durch die vielen gut ausgebildeten Arbeitskräfte, die den Osten verlassen haben aufgrund von Perspektivlosigkeit. Von den Top 30 DAX-Unternehmen in Deutschland hat keines seinen Hauptsitz im Osten.

Und der Westen, aber eben auch andere Länder, können von den Transformationserfahrungen der Nachwendezeit lernen, vom einseitigen Elitentransfer, der bis heute stärker von Ost nach West zieht. Ein Beispiel: Von elf Exzellenzuniversitäten befindet sich eine im Osten, Berlin herausgerechnet. Auf Führungspositionen wiederum sind Ostdeutsche, wie auch Menschen mit Migrationsgeschichte, überdurchschnittlich unterrepräsentiert. Rübermachen geht also, Aufsteigen dann schon weniger.

Es braucht viele Zukunftszentren

Das Zentrum war ein zentraler Vorschlag der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“, die Ende letzten Jahres ihren Abschlussbericht vorlegte. Darin klingt das Zentrum sehr schillernd, aber auch wie der unmögliche Versuch, alle Ansprüche auf einmal zu Ansprüche erfüllen. Das Zentrum wirkt wie die berühmte eierlegende Wollmilchsau: Von außen mit „architektonisch eigener Anziehungskraft“ aufgeladen, von innen wissenschaftliches Institut, Dialog- und Begegnungszentrum sowie Kulturzentrum in einem. Entsprechend begehrt ist das noch nicht einmal final geplante, geschweige denn finanzierte Werk.

Bodo Ramelow sagte im Anschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz, dass es in Thüringen gleich Interesse von zwei Städten gäbe. Auch Michael Kretschmer rechnet mit vielen Bewerbungen aus seinem Bundesland. Jeder hätte gerne ein Stück vom Zentrumskuchen. Zu Recht. Denn eigentlich braucht es nicht ein, sondern viele Zukunftszentren für Europäische Transformation und Deutsche Einheit. Nicht nur in Chemnitz, sondern auch in Apolda und Rostock – in jedem Ost-Bundesland eines.

Es gibt diesen kollektiv gefühlten Raum Ostdeutschland, aber im Alltag hockt man eben in ganz konkreten Orten. Die Ost-Nordies fühlen sich den Sachsen nicht pauschal verbunden – und andersrum. An einem Ort könnte daher das geplante Begabtenförderungswerk sitzen, an einem anderen das Forschungszentrum zur Transformation und wiederum woanders könnte das Programm für „Scientists and Artists in Residence“ stattfinden. Denn der Hauptgewinn dieses Zentrums beziehungsweise der Zentren ist ja nicht der symbolische Wert, der Beitrag zu „Anerkennung der Lebensleistung“ der Ostdeutschen. Der konkrete Gewinn wären die entstehenden Arbeitsplätze und manifeste Treffpunkte im vorpolitischen Raum.

Die Dezentralisierung bringt natürlich auch Nachteile mit sich. Dem Wumms, der Strahlkraft des Projektes geht etwas verloren und die Kosten werden steigen.

Merkel kündigte auf der Pressekonferenz am Mittwoch an, am 7. Juli im Kabinett darüber zu sprechen. Im Bundestag wird das Vorhaben auch Thema sein müssen. Denn es geht hier, ob nun ein Zentrum oder mehrere, um viel Geld. Geld, das nach anderthalb Jahren Coronapandemie nicht ungenutzt herum liegt. Deshalb muss die Regierung die Chance jetzt nutzen. Jetzt, da noch eine ostdeutsche Kanzlerin im Amt ist, der absehbare Schock nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt noch wirkt – und bevor der Blick auf Ostdeutschland mit der Bundestagswahl wieder vereinheitlicht wird.

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Katrin Gottschalk
Vize-Chefredakteurin
Stellvertretende Chefredakteurin der taz seit April 2016. Vorher Chefredakteurin des Missy Magazine. Aufgewachsen in Dresden. Schreibt über Kultur, Feminismus und Ostdeutschland. In der Chefredaktion verantwortlich für die digitalen Projekte der taz. Jahrgang 1985.
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4 Kommentare

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  • bringt es der breiten Masse etwas wenn irgendwo ein Zentrum gebaut wird? Werden damit Menschen, die nicht für Museen und andere kulturelle Einrichtungen erreichbar sind in ihrer Lebenswahrnehmung beeinflusst?



    Und werden Menschen im alltäglichen Leben gestärkt, die die Fahne der Demokratie hoch halten?



    Wenn ein Gutteil der Resignation mancher Ostdeutscher aus den wirtschaftl. sozialen und politischen Geschehnissen der letzten Jahrzehnte herrührt, kann man auch nur dort ansetzen.

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Das ist wirklich Unsinn. Wir brauchen keine Zentren, um den Ossis zu erklären, dass sie trotzdem Trottel sind - der Westen müsste sich mal von seinen Narrativen lösen, die Kapitalismus, den Bellizismus der NATO, Demokratie und Freiheit unauflösbar miteinander verbinden.



    Das Ziel wäre ein differenziertes Geschichtsbild, das dem Osten seine Würde zurückgibt - und anerkennt, dass er spezielle Zuwendung braucht. Das hat soviele Ebenen, da müsste ich jetzt aus dem Stand ein Buch schreiben - und natürlich ist das kompliziert.



    Und natürlich sind die Ossis Idioten, wenn sie denken, dass AfD Wählen irgendeinen Nutzen hätte - aber Rechtsabbiegepfeil und eine Ossi-Kanzlerin sind nicht genug.



    Für vermutlich 80% der DDR-Bürger war die kleinbürgerliche DDR genug, vielleicht sogar passender als die BRD. Für einen Stephan Krawczyk war das nicht so - und beides ist wahr und was Wessis lernen müssen, ist, dass sich beides eben nicht gegenseitig ausschloss und ausschließt - und ein paar Ossis sind mit dem Lernprozess auch noch nicht am Ende.



    Und die Ostländer sollen die ganzen Westimporte zum Teufel jagen und Ossi-Quoten auf allen Ebenen einführen (dürfen), um die Fehler, die gemacht werden, auch selbst gemacht zu haben. Und um die speziellen Bedürfnisse, die sie im Osten haben, auch priorisieren zu können, ohne dass ihnen ein rheinischer Kapitalist in die Seite fährt.



    Und dann dauert's nochmal eine Generation...

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Da stimme ich vollkommen zu, einschränkend möchte ich aber sagen, das die Kategorisierung Ossi-Wessi Teil des Problems ist.



      Es gibt ja schlicht nicht den einen Ossi, der gleich wie jeder andere Osssi fühlt, genausowenig wie das bei den Wessis der Fall ist.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Im Radio wurde das Thema diskutiert, sind die Ostdeutschen die Verlierer der Wiedervereinigung.



    Und selbstverständlich sind sie es nicht, im Gegenteil. Reisefreiheit, höhere Lebenserwartung, bessere Umwelt und wer schon zu DDR-Zeiten ein Haus an der Küste hatte, ist der absolute Gewinner.



    Auch das Gleichheitsgerede ist Quatsch. Wer hat sowas je versprochen? Unterschiede gab schon immer von Region zu Region. Auch in Westdeutschland wird z.B. in der früheren Grenzregion deutlich weniger bezahlt als z.B. in Süddeutschland.

    Die Meckpommler können sich glücklich schätzen zum Urlaubsland Nr. 1 geworden zu sein - früher sagte man Wrukenland oder Streusandbüchse dazu.



    Alles wird gut, wenn man sich darum kümmert und seine Chancen ergreift!



    Politiker, v.a. die Afd-ler, können allerdings viel zunichte machen.