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Demokratie, Marktwirtschaft und MitteKompromiss als neues Progressiv

Ja, aber: Eine starke und zukunftsfähige Mitte hängt leider nicht nur von den gemäßigt Progressiven ab, sondern von gemäßigt Konservativen.

Da war der Zwang Kompromisse zu schließen noch weit entfernt: Protest der Grünen 1983 im Bundestag gegen die Stationierung neuer US-Mittelstreckenwaffen Foto: Egon Steiner/picture alliance

D amals, in der guten alten Zeit, hatten die Grünen und Alternativen es nicht nötig, Kompromisse zu schließen. Während die anderen den Karren zogen, und das gar nicht schlecht, maulten sie rum. Dass alles schlimm sei und die Welt bald untergehe.

Nun ist es andersherum. Die „Alternativen“ sind jetzt antiemanzipatorisch und antiliberal, die Classic-Liberalen beschwören den Untergang (der Wirtschaft, der Freiheit und überhaupt), die Union spielt Kulturkampf, die SPD will sich am liebsten aus der Realität raushalten. Und die armen Grünen? Müssen den Staat, seine Institutionen, den Westen, die Ukraine, den Wirtschaftsstandort und die Marktwirtschaft verteidigen. Der Rest mault rum, wie schlimm diese Grünen seien. Gerechtigkeit für die ganzen Besserwisser- und Slackerjahre? Könnte man sagen, wenn das alles noch ein Spiel wäre. Ist es aber nicht.

Vor diesem Hintergrund hat Danyal Bayaz, grüner Finanzminister von Baden-Württemberg, in einem wochentaz-Gespräch einen offenbar wohlüberlegten Satz rausgehauen: „Der Kompromiss ist das neue Progressiv.“ Wie bitte? Da rollen sich einem Altlinken oder einer Junggrünen immer noch die Zehennägel hoch. Was Bayaz meint: Der Kompromiss mit andersdenkenden Demokraten ist in einer pluralen Gesellschaft das, was Zukunftspolitik ermöglicht. Grüne Regierungspolitik, so verstehe ich ihn weiter, orientiert sich an der physikalischen Realität eskalierender Klimafolgen und gleichzeitig an der gesellschaftlichen Realität eskalierender Antidemokratie. So kommt Bayaz zu dem Schluss, dass die Grünen „vielleicht aktuell sogar eine wichtigere Aufgabe als Klimaschutz haben, nämlich Demokratieverteidiger zu sein“.

Demokratien haben drei zentrale Probleme

First things first. Die hohl drehende Mediengesellschaft hat Klimaschutz erst einmal so desavouiert, dass die positiven Entwicklungen durch das grün besetzte Bundeswirtschafts- und Klimaministerium kaum durchdringen. Die gibt es schließlich auch. 2024 ist das Jahr geworden, in dem zukunftsorientierte Wirtschafts- und Klimapolitik global abgeräumt zu werden droht, falls die Europa- und US-Wahl entsprechend ausgehen.

Demokratien haben drei zentrale Probleme: den Aufstieg des Rechtspopulismus, den Abstieg von Zukunftspolitik und liberaldemokratische Parteien, die keine Antworten auf die neue Lage haben und sie deshalb nicht einmal thematisieren. Will man nun ansatzweise ernsthafte Zukunftspolitik machen (wie Robert Habeck), produziert die irritierte Mediengesellschaft Wut und Aufregung statt Austausch von Argumenten – und die Demokratie könnte erodieren. Macht man aber keine Zukunftspolitik, werden die ungelösten Probleme zügig eskalieren – und die Demokratie erodiert erst recht.

Hat die Union die Kraft, das Richtige zu tun?

Ohne funktionierende Demokratie, Marktwirtschaft und starke Mitte gibt es keine Klimapolitik: Weder rechts außen noch links außen passt die Erderhitzung ins Konzept. Und es fehlen die notwendigen Mittel.

Deshalb hat Danyal Bayaz recht mit seiner Kompromissformel. Aber sie ist eben keine Antwort, wie wir aus dem Zukunftslockdown rauskommen. Eine starke und zukunftsfähige Mitte hängt leider nicht nur von den gemäßigt Progressiven ab, sondern entscheidend von gemäßigt Konservativen. Die zentrale Frage ist also, ob die CDU/CSU sich in der Opposition weiter treiben lässt und am Anfang vom Ende einen schlechten Kompromiss mit Demokratiefeinden schließt; oder ob sie die Kraft und das Potenzial hat, einen zukunftspolitischen Pakt zu schließen und durchzuargumentieren, der die konservativen Bedürfnisse der meisten Leute und die progressiven Notwendigkeiten der Zeit zusammenbringt. Der Deutschland und Europa eine Perspektive gibt.

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Peter Unfried
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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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19 Kommentare

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  • Kompromisse sind eine notwendige Sache in Demokratien. Ich denke, bei der Aufzählung der Probleme einer Demokratie, ist das vergessen worden. Denn: Kompromisse sind gut und notwendig und funktionieren in viele Fällen. Aber halt nicht immer.

    Wenn zwei Leute über die Stärke von Stahlträgern, die eine Brücke stützen sollen, diskutieren und man sich dann "in der Mitte" der Werte trifft, kann es gut sein, dass die Brücke einstürzt. Weil eben einer Recht hatte und der andere nicht.

    Säße ich nicht auf der Brücke, wäre es mir ja egal und ich würde entspannt zusehen, wie sie spektakulär einstürzt. Aber so? ...

    • @Jalella:

      Liggers. Versteh ehra Sorgen!

      Als in MeckPomm man sich - unter Übergehen eines Aufbau-Kollegen - einen BrückenbauIng - huch - zum Justizminister zu machen.



      Kommentierte ein Weggefährte & hardboiled StA “Kann ich mit leben.



      Solange nicht Juristen die Brücken bauen!“

      kurz - Wenn unserem aller le petite cheflereporter „Die zentrale Frage ist(!) also, ob die CDU/CSU sich in der Opposition weiter treiben lässt und am Anfang vom Ende einen schlechten Kompromiss mit Demokratiefeinden schließt; oder ob sie die Kraft und das Potenzial hat, einen zukunftspolitischen Pakt zu schließen und durchzuargumentieren,…“



      Sage ich: “Över dee Brüch joik nich!“



      (Für Südliche: Über die Brücke geh ich nicht! •

  • @LOWANDORDER

    Wir brauchen viel mehr Ausnüchterungszellen.

    • @tomás zerolo:

      anschließe mich schonn - bin ja aber doch eher der schüchterne Typ! Woll

      Anyway - fröhliche Restostern - 🐥 -

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „ansatzweise ernsthafte Zukunftspolitik machen (wie Robert Habeck), produziert die irritierte Mediengesellschaft Wut und Aufregung statt Austausch von Argumenten "



    Für die Gegner am rechten Rand ist Zitieren das neue Diffamieren. Leider liefern die progressiven Kompromissler*innen den Gegner*innen so viele Vorlagen.



    Und sie machen zu gern mit bei Fehlern des (monetär) aufgeblasenen Parlamentarismus und Parteienapparats, der leider den Demokratiefeinden die „billigen" (haha) Argumente liefert.



    Es mangelt an Mut und Demut.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      anschließe mich - doch eher Richtung Spalierobst -

      unterm—zur Vertiefung —Jacques Tati



      Mon Oncle Jacques Tati as Monsieur Hulot 1958 Complete Meu Tio 1958 HD Legendas Português — ab 1:02:48* —-



      www.youtube.com/wa...Y3F1ZXMgdGF0aSA%3D



      Start gern ab 56:56 schade Spalier e nuit



      Fiel mir beim ersten Lesen sofort ein - fehlt! Egal - Für Hochgestochen - Unübertroffen! Gellewelle&Wollnich



      The whole Movie

  • Fakt ist doch dass uns CDU/SPD die Suppe eingebrockt haben die die Grünen jetzt auslöffeln müssen. Wahlgeschenke auf Kosten künftiger Generationen waren die Rezepte von Kohl, Schröder und Merkel. Und deren Parteien haben sich da kaum weiterentwickelt. Sie versuchen, egal ob in Regierungsveranwortung oder nicht, jegliche progressive Politik im Ansatz zu torpedieren oder zurückzudrehen.

    • @schnarchnase:

      Von welcher progressiven Politik sprechen Sie, die von CDU/SPD verhindert wird?

      • @Tom Tailor:

        Hauptsächlich natürlich bei der Energiewende und Ausbau der Erneuerbaren.

        Beim Heizungsgesetz wurde durgestochen und quergeschossen inkl. Springerkampagne. Aber vor allem blockiert derzeit die SPD das Selbstbestimmungsgesetz. Vorher wurde es von der FDP in die Länge gezogen. Dazu kommen die Gender-Verbote die auch in BW durch die CDU angeregt wurden.

        • @schnarchnase:

          Da stellt sich mir natürlich die Frage, ob diese "progressive Politik" nun der große Wurf ist doch eher Partikularinteressen berührt. Gerade das Gendern ist deutschlandweit überhaupt kein relevantes Thema und das Verbot bezieht sich ja auch nur auf Behörden bzw. öffentliche Einrichtungen.

          Darüber hinaus sollte man nicht übersehen, dass die CDU in der Opposition ist und gar keine Gesetze verhindern kann. Wenn dann die Grünen, obwohl in der Regierung, eigene Ideen sich von der Springerpresse "zerschiessen" lässt, muss man sich fragen wie ausgereift diese Gesetzvorhaben waren bzw. wie wenig Selbstvertrauen eine Regierungspartei haben muss, dass sie sich von Presseorganen derart verunsichern lässt. Es scheint mir doch vielmehr der Fall zu sein, dass man vor der Wahl große Töne gespuckt hat, aber in der Regierung nur unausgereifte Rohrkrepierer präsentieren konnte. In dieser Beziehung liefert Frau Paus gerade aktuell den nächsten Flop.

          Wenn Weiterentwicklung bedeutet, sich auf dieses Niveau zu bewegen, tun die restlichen Parteien gut daran, es lieber zu lassen.

  • Das Problem ist doch eher, das die nordwestlichen Demokratien, aus Angst um Macht- und Wohlstandseinbußen, keine guten Antworten auf die Frage nach der Zukunft haben. Da die "Demokratie"im wesentlichen von Wirtschaftsinteressen bestimmt wird und langsam auch dem Blödesten einleuchtet das " der Markt wird es schon richten" eher ein Kinderglaube ist, verzweifelt ein Großteil an der Auswegslosigkeit. Im Rahmen des ordoliberalen Systems fällt mir allerdings auch keine vernünftige Lösung ein. Der Staat versinkt in der eigenen Bürokratie, Digitalisierung hat mehr Nachteile als Vorteile (Bitcom Hackerangriffe kosten 208 Milliarden pro Jahr), , für die Vorsitzende des Ethikrats findet Arbeit im wesentlichen im Homeoffice statt ( nein nicht für sie, für alle). Das nebenbei unsere Lebensgrundlagen den, zu Tode regulierten, Bach runtergehen ist egal. Hauptsache Wachstum, Wachstum Wachstum.

  • "gemäßigte Progressive und gemäßigte Konservative" sollen es richten, so verstehe ich das ja richtig.



    Ein Satz der für die Bevölkerung stimmen mag wenn es um Auftritte auf dem nächsten Marktplatz geht stimme ich sogar zu.



    Gesetze werden jedoch nur bedingt auf den Marktplätzen der Republik verabschiedet sondern in den Parlamenten des Landes. Hier haben wir unter den demokratisch ausgerichteten Parteien, ich würde mal sagen 90% Gemäßigte, und dennoch klappt das offensichtlich nicht mit der Zukunftsfestigkeit und strategischen Langfriststrategie zu den relevanten Themen Umwelt, Demokratie und Demographie mit all seinen Unterkapiteln.



    Wir sind eben nicht in den USA wo zerstrittene Rechtsradikale in den Kammern glauben sie seien der Mittelpunkt des Universums.



    Aber so zu tun als sei das bei uns so ist spalterisch, auch von Bayaz das zu sagen. Wir hätten zu den meisten Themen vernünftige Mehrheiten, in der Bevölkerung allemal(!!), Politik kann oder will aber nicht.

    • @Tom Farmer:

      ""gemäßigte Progressive und gemäßigte Konservative" sollen es richten, so verstehe ich das ja richtig."

      Nicht ganz. Gemäßigte auf beiden Seiten könnten es richten, indem sie Kompromisse schließen. Dafür bedarf es aber eine Bereitschaft nicht nur bei den Progressiven, sondern auch bei den Konservativen. Und davon ist in der Tat aktuell eher wenig zu sehen.

    • @Tom Farmer:

      Das Problem ist halt, dass diese 10% der Radikalen sehr laut sind und deren Standpunkte somit in die Politik integriert wird. Gilt für Rechts wie links.

      Dadurch kommen Kulturkämpfe zustande, welche sich dann negativ auf Entscheidungen auswirken.



      Deswegen ist die Situation momentan auch extrem festgefahren…

  • Die Grünen müssten aber klarmachen, dass und inwiefern sie Kompromisse eingehen bzw. eingegangen sind.



    Das setzt voraus, dass sie sagen, wie ihre Politik aussähe, wenn sie ganz alleine entscheiden dürften, was sie bereit sind, womöglich aufzugeben oder wenigstens aufzuschieben und was nicht, was also die „roten Linien“ sind, und schließlich, nach welchen Prinzipien sie entscheiden, ob sie einen möglichen Kompromiss wirklich eingehen oder nicht.



    Daran hapert es aber: Die Grünen gehen gefühlt den ganzen Weg bis zur Position der anderen Parteien mit oder schlagen sogar deren Politik selbst vor und verteidigen das hinterher als angeblich notwendigen Kompromiss. Das ist aber für die Wähler:innen nicht nachvollziehbar und muss deswegen scheitern!

  • Weder rechts außen noch links außen passt die Erderhitzung ins Konzept."

    Das war mal wieder ein subtil verstecktes Hufeisen.

    In wirklichkeit aber ein ziemlich perfides. Wen die Erderhitzung am wenigsten ins Konzept passt is den Schwachen -- der sog. "Globale Süden". Die Überschwemmungen in Pakistan schon vergessen?

    Und dort -- noch besonders -- den Frauen.

    Einer der grossen Elefanten im Raum ist die unmenge an Mittel, die schon seit Jahren in die Anti-Propaganda fliesst. Die Allianzen zwischen den Koch Brothers und der zeitweise arbeitslos gewordenen Werbemaschine von Big Tobacco (jetzt haben sie ja wieder das Vaping) dürfte allgemein bekannt sein.

    Und was machen die Investoren, wenn man ihnen sagt, ihre Investitionen in die fossile Zukunft seinen "stranded capital"? Richtig, sie kaufen sich die Politik. Law laundering ist immer noch günstiger, als Abschreibung im grossen Stil.

    Das Problem ist die globale Gier.

    Ich fürchte, mit denen ist kein Kompromiss zu machen (man sollte jedoch nichts unversucht lassen, ja).

    It's the capitalism, stupid!

    • @tomás zerolo:

      Nun sind pakistanische Frauen aber keine politische Partei in Deutschland, die ich wählen könnte.

      Im Artikel ging es als zentralen Punkt, soweit ich ihn verstanden habe, um Kompromisse der verschiedenen politischen Parteien in Deutschland.

      Das Problem globale Gier wird eine deutsche Regierung, wie auch immer sie aussehen mag, realistischerweise nicht lösen.

      Schon gar nicht in Zeiten der Dekolonialisierung.

    • @tomás zerolo:

      anschließe mich - aber die Ausnüchterungszelle scheut nicht nur unser aller le petite cheflereporter - zumal bei seinem rinkslechtsVerdrehen wie hier - glatt ein perfides Hufeisen im Galopp 🏇 flöten geht!



      Mit Werner Enke: - es hapert arg am Worteaneinanderreihgewissen! Gell

      Na Servus

  • Ach was! ©️ Vagel Bülow toon 💯 sten

    “Demokratie, Marktwirtschaft und Mitte: Kompromiss als neues Progressiv“

    Gell - “…eskalier…“ oder Spalierobst - das ist hier die Frage

    Na Mahlzeit