Demo gegen Geheimgespräche in Genf: Erste Proteste gegen Tisa
Es geht um Hüft-OPs und Trinkwasser für alle: 22 Staaten und die EU wollen Dienstleistungen deregulieren. Jetzt regt sich der Widerstand.
ZÜRICH taz | Erstmals gab es Proteste gegen die bereits seit 2012 in Genf geführten Geheimverhandlungen über ein neues Freihandelsabkommen im Bereich Dienstleistungen namens Tisa (Trade in Services Agreement). Anlässlich der am Montag in der australischen UN-Botschaft eröffneten 16. Verhandlungsrunde demonstrierten rund 250 Menschen am Ufer des Genfer Sees gegen die durch Tisa geplante Deregulierung und Privatisierung von Dienstleistungen im Gesundheits- und Bildungswesen, bei der Energieversorgung und in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge, die noch überwiegend in staatlicher oder kommunaler Trägerschaft sind.
„Seien es Hüftoperationen oder unser Trinkwasser – durch Tisa könnten Europas öffentliche Dienstleistungen im großen Stil an große multinationale Unternehmen versteigert werden“, erklärte Avaaz-Kampagnenleiter Christoph Schott. Die Demonstranten überreichten eine Petition mit über 300.000 Unterschriften aus ganz Europa.
Die Petition fordert die Staats- und Regierungschefs der EU sowie Handelskommissarin Malmström auf, die Verhandlungen zu stoppen sowie das Verhandlungsmandat der EU und alle bislang von Brüssel in die Tisa-Verhandlungen eingebrachten Dokumente zu veröffentlichen.
An den Tisa-Verhandlungen sind neben den drei Initiatoren EU, USA und Australien weitere 20 Staaten beteiligt. Vergangene Woche war ein Dokument bekannt geworden, das die Türkei bereits im Herbst präsentiert hatte. Darin fordert Ankara, „das riesige, bislang ungenutzte Potenzial für die Globalisierung von Gesundheitsdienstleistungen auszuschöpfen“.
Gesundheitswesen lukrativ
Der Bereich solle durch Tisa so weit wie möglich privatisiert – und damit für ausländische Anbieter geöffnet werden. Denn: „Gesundheitsleistungen, die vom Staat oder von Wohlfahrtsorganisationen erbracht und finanziert werden, sind für ausländische Anbieter nicht von Interesse“, heißt es in dem Verhandlungspapier.
Der Gesundheitsbereich sei einer der lukrativsten Dienstleistungssektoren. Doch es gebe „regulatorische und strukturelle Zugangsbarrieren“ in der Branche, die „ein mögliches Handelswachstum ausbremsen“. Das Dokument fordert so mehr „Medizintourismus, der es den Patienten erleichtern soll, im Ausland behandelt zu werden“. Für Zahnersatz oder künstliche Kniegelenke sollten Patienten künftig ins günstigere Ausland reisen – gezahlt von den Krankenkassen. Die Bundesregierung behauptete bislang, der Gesundheitssektor sei von den Verhandlungen ausgeschlossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen