Demo der Exilafghan:innen in Hamburg: Wer hat das Sagen?
Hamburg ist der größte Ballungsraum für Exilafghan:innen in ganz Europa. Bei einer Demo am Jungfernstieg zeigte sich, wie uneins die Community ist.
Die Demonstrant:innen fordern, Abschiebungen nach Afghanistan dauerhaft auszusetzen und sichere Fluchtwege und Bleiberecht zu ermöglichen. Alske Freter, Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen, verlangt in einer Rede ein sofortiges, entschlosseneres Handeln der Bundesregierung und kritisiert Aussagen wie „2015 darf sich nicht wiederholen“. Eine Übersetzerin, die für die Bundeswehr gearbeitet hat, berichtet von Ortskräften, die gerade noch in Afghanistan ausharren.
Neben linken Aktivist:innen sind auch viele Vertreter:innen der afghanischen Community gekommen. Flaggen wehen im Wind, Sprechchöre auf Dari, der Muttersprache vieler Afghan:innen, tönen durch die Menge. Auch einige Redebeiträge, die über die Lautsprecher zu hören sind, werden nur auf Dari gehalten. Viele Teilnehmende und auch Organisator:innen der Seebrücke verstehen also nicht, was gesagt wird, klatschen aber dennoch aus Solidarität.
Doch immer wieder werden die Beiträge von Rufen aus der Menge übertönt. Menschen ergreifen auch spontan das Mikrofon. Hinterher erzählt eine Teilnehmerin, die anonym bleiben möchte, am Telefon, dass immer wieder Sprüche wie „Tod dem Präsidenten“ oder „Tod Pakistan“ gerufen worden seien.
Unterstützerin der Seebrücke
Sie und andere hätten sich auf der Demonstration nicht repräsentiert gefühlt. Die Demo sei „dominiert von Anhängern der Nordallianz“ gewesen, sagt die Studentin mit „afghanischem Background“, wie sie sich selbst beschreibt. Die Nordallianz ist eine Widerstandsbewegung, die in der Vergangenheit bewaffnet gegen die Taliban vorgegangen ist. Sie ist allerdings, wie viele Akteur:innen in dem Konflikt, auch stark umstritten.
Die Wut der Betroffenen könne sie verstehen, aber nicht, dass einzelne Interessen bei einer solchen Demonstration so viel Raum einnähmen. Viele Exil-Afghan:innen unterstützten diese Interessen nicht. Einer Verwandten, die einen versöhnenden Ton angeschlagen und zur Einheit aufgerufen habe, hätten andere Demonstrant:innen das Mikro entrissen. „Die Atmosphäre war plötzlich sehr gewaltvoll“, sagt die Studentin. Sie sei dann schnell aus der Menge gewichen.
Die Polizei bestätigt, dass es „offenbar zu Streitigkeiten“ gekommen sei, „in deren Kontext auch das Mikrofon durch eine unbekannt gebliebene Person zerstört worden ist“. Ob damit derselbe Vorfall gemeint ist, ist unklar. Die Kundgebung sei „grundsätzlich friedlich“ verlaufen.
Die Studentin unterstützt die Arbeit der Seebrücke. Deswegen sei sie bei der Demonstration gewesen. „Bei einer Organisation wie der Seebrücke erwarte ich aber, dass sie sich damit auseinandersetzt, wer auf einer solchen Kundgebung Sprechanteile erhält und repräsentiert wird“, fordert sie.
Christoph Kleine, Sprecher der Seebrücke Hamburg, sagt hingegen, es sei „nicht die Rolle von deutschen Mitveranstalter*innen, sich alle Äußerungen aus der sehr vielfältigen afghanischen Community vorher vorlegen zu lassen“. Die Kundgebung sei mit lokalen antifaschistischen Afghan:innen organisiert und von einer Privatperson angemeldet worden. „Wenn es auf der Kundgebung Äußerungen gegeben hat, die „Tod für Pakistan“ oder ähnliches gefordert haben, dann lehnen wir diese ab“, sagt Kleine. Die Seebrücke stehe dafür, „Menschenleben zu schützen und zu retten“.
Kleine zieht eine positive Bilanz: „Wir konnten ein starkes Zeichen setzen: Gegen die Taliban und ihren Terror – und gegen die Schande der Bundesregierung, die durch die Verzögerung der Evakuierung Menschenleben auf dem Gewissen hat.“
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