Dekret zu Frauenrechte in Afghanistan: Taliban machen auf Frauenrechtler
In einem Dekret sprechen sich die Taliban gegen Zwangsheirat aus. Doch an anderer Stelle zeigen sich für Frauen gravierende Lücken.
Mit dem Dekret wendet sich Talibanführer Maulawi Hebatullah Achundsada, der seit der Machtübernahme höchstens mit Audiobotschaften an die Öffentlichkeit getreten ist, an „alle Verantwortlichen“ der Taliban-Regierung, die Geistlichkeit, die Stammesführer sowie die Medien, „ernsthafte Schritte zu unternehmen“, damit dieses und andere Rechte „verwirklicht“ werde.
Dazu gehört auch ein Verbot des in Afghanistan weit verbreiteten Gewohnheitsrechts, Frauen nach dem Tod ihres Ehemanns gegen ihren Willen an Verwandte weiter zu verheiraten oder als Gegenleistung bei der Schlichtung von Streitfällen zwischen Gemeinschaften oder Familien an die andere Partei zu geben, das sogenannte bád.
Das Dekret betont ferner, dass das islamische Recht – und zwar in seiner in den meisten Teilen der islamischen Welt anerkannten Auslegung – den Frauen das Recht auf einen dort bestimmten Anteil am Erbe ihrer Ehemänner oder Kinder, Gleichberechtigung in einer im Islam legalen Vielehe, sowie das Recht auf ein Brautgeld (mahr) bei Wiederverheiratung zuspricht. In großen Teilen der afghanischen Gesellschaft fällt die Praxis oft hinter diese Festlegungen zurück, legitimiert als rewádsch (Tradition).
Talk zu Afghanistan zwischen Taliban und humanitärer Katastrophe mit Thomas Ruttig und Thereas Breuer & Lena-Lotte Agger (Luftbrücke Kabul), 10. Dezember um 19 Uhr https://taz.de/Afghanistan-und-seine-Menschen/!5819510/
Livestream: youtu.be/y5_MUv-plU8
Respekt nur für Mütter, Schwestern und Ehefrauen
Was sich zunächst progressiv anhört, wird relativiert durch das, was im Dekret fehlt: Nämlich die Rolle von Frauen in anderen Bereichen der Gesellschaft. Talibanvertreter sehen Frauen oft nur in ihrer Rolle als Ehefrau. So erklärte der Sprecher des Innenministeriums der Taliban-Regierung und frühere Chef ihrer sozialen Medien, Kari Said Chosti, in einem am 26. November ausgestrahlten Interview mit dem privaten afghanischen Fernsehsender OneTV, das islamische Recht gebe den Frauen „eine hohe Stellung und Respekt“, aber eben nur als „Mütter, Schwestern, Ehefrauen“.
Das Dekret spricht auch nicht von Gleichberechtigung, wie die bisherige, offiziell noch nicht außer Kraft gesetzte Verfassung. Darauf berufen sich auch Frauengruppen, die nach der Taliban-Machtübernahme im August zunächst öffentlich für Frauenrechte protestierten. Wegen Übergriffen von Taliban-Polizisten zogen sie sich zuletzt in Privaträume zurück und veröffentlichen ihre Aktionen nunmehr in sozialen Medien.
Torunn Wimpelmann, Forschungsleiterin am Christian-Michelsen-Institut im norwegischen Bergen, arbeitet seit langem zu Afghanistan und Frauenrechten. Sie schrieb auf Twitter, dass die Taliban eine ähnliche Politik bereits während ihrer ersten Herrschaftszeit 1996-2001 proklamiert hatten. In dem Dekret stehe kein Wort „über Scheidung und Schutz vor Gewalt in der Ehe.“
Heather Barr von Human Rights Watch verweist darauf, dass sie in der Praxis „Frauen nicht schützen, die Männer herausfordern“ – etwa bei den Protesten gegen ihre drohende Entrechtung. Das Frauenministerium und das von der vorherigen Regierung erlassene Gesetz über Eliminierung von Gewalt gegen Frauen wären „Mechanismen gewesen, das durchzusetzen“.
Zweideutig in Bezug auf Kinderehen
Die Taliban haben das Frauenministerium mit einer Ministerin an der Spitze durch ihr Ministerium zur Durchsetzung der sharia-definierten Moral ersetzt. Frauen spielen hier keine Rolle. Noch Anfang August hatte Human Rights Watch die alte Regierung dafür kritisierte, dass sie daran „gescheitert“ sei, das Anti-Gewalt-Gesetz umzusetzen.
Wimpelmann hält auch den expliziten Bezug auf die Freiwilligkeit der Eheschließung „erwachsener Frauen“ für zweischneidig. Kinderehen seien damit nicht ausdrücklich untersagt. Allerdings kann man die Formulierung auch so lesen, dass nach Ansicht der Taliban eben nur erwachsene Frauen heiraten sollen.
Auch das Thema Mädchenbildung bleibt undurchsichtig. Im September öffneten die Taliban nach einer Coronapause zwar wieder die Schulen ab der 6. Klasse – aber nur für Jungs. Mädchen sollten sich gedulden, bis sich die Geistlichkeit auf eine Verfahrensweise für sie geeinigt habe. Ihr Sprecher Sabihullah Mudschahed ließ neulich gegenüber der BBC durchblicken, das solle bis zum neuen Schuljahr nach der dreimonatigen Winterpause im März geschehen.
Hier spielen afghanische Traditionen, viele von den Taliban beeinflusst, eine Rolle. Demnach sollen Mädchen mit einsetzender Pubertät generell von den Jungen getrennt werden. Konservative Kreise bestehen gar auf komplett getrennte Schulen. Woher eines der ärmsten Länder der Welt die Mittel dafür nehmen soll, ist fraglich. Immerhin fehlt der Hälfte aller Schulen im Land immer noch ein festes Gebäude. Mit einer Trennung müsste die vierfache Zahl an Schulen errichtet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern