Bildungsmisere in Afghanistan: Höhere Mädchenschulen bleiben zu
Die Taliban brechen kurzfristig ihre frühere Zusage, dass Schülerinnen ab Klasse 7 wieder zum Unterricht kommen dürfen. Die Gründe bleiben unklar.
Die Taliban hatten die höheren Mädchenschulen nach ihrer Machtübernahme am 15. August wie es hieß „vorübergehend“ geschlossen, bis sie „gemäß islamischem Recht und afghanischer Tradition“ reorganisiert seien. Dabei fand Schulunterricht schon bisher nach Geschlechtern getrennt statt. Manche Taliban wollen aber getrennte Schulen, was ein Großprojekt auf Jahrzehnte wäre.
Medien spekulierten über einen Spontanbeschluss, nachdem Talibanwachen an den Schulen sich darüber beschwert hätten, dass die traditionelle Schuluniform – langes schwarzes Kleid und weißes Kopftuch – nicht als Verschleierung ausreiche.
Die Entscheidung fiel offenbar in der Nacht zum Mittwoch. Sie wurde zentral über die Provinzbildungsbehörden an die Schulen übermittelt, wie die taz erfuhr.
Videos von Tränen-Protesten
Oft hatte der Unterricht schon begonnen, als Talibanwachen oder das Lehrpersonal die Mädchen wieder nach Hause schickten. Die sozialen Medien waren voller Videoclips, die weinende Schülerinnen und Eltern zeigten, die versuchen, sie zu trösten.
Der unabhängige Kabuler Fernsehsender Tolo zeigte ein Mädchen, das schluchzend sagte: „Warum spielen sie mit uns? Ist es eine Sünde, dass wir lernen? Das ist unser Recht. Wir sind auch Menschen.“
In einem Fall schossen Taliban in Kabul laut Wall Street Journal sogar in die Luft, wohl weil Mädchen sich weigerten zu gehen. Es kam zu mindestens einem Spontanprotest vor einer Schule. Schülerinnen verbreiteten Protestvideos im Internet.
Talibansprecher Inamuddin Samangani bestätigte die Entscheidung nur einsilbig: „Ja, das ist wahr.“ Asis Ahmad Rajan, Sprecher des Bildungsministeriums, sagte: „Es ist uns nicht erlaubt, dies zu kommentieren.“
Entscheidungsstrukturen der Taliban unklar
Wegen der intransparenten Strukturen der Taliban blieb vorerst unklar, wer genau die Entscheidung getroffen hatte. Bei ihnen stehen sich nicht abgegrenzte Fraktionen mit unterschiedlichen politischen Positionen gegenüber, sondern regionale Netzwerke ringen um Einfluss.
Timor Scharan, ein inzwischen im Exil lebender Zivilgesellschaftsaktivist, sagte im Februar in einer Konferenz, Talibangruppen unterschiedlicher Herkunft kontrollierten in Kabul kleinteilig benachbarte Wohngebiete oder Straßenzüge, kommunizierten aber untereinander nicht und würden oft auch nicht von der Führung kontrolliert.
Vielleicht kam die Order auch ganz von oben. Nach unbestätigten Berichten trifft sich dieser Tage die Talibanführung mit ihrem bisher öffentlich nicht aufgetretenen obersten Führer Hebatullah Achundsada in Kandahar, um interne Spannungen um die Besetzung von Regierungsposten auszuräumen.
Inzwischen schoben die Taliban über lokale Medien erste Erklärungen nach. Eine offizielle Stellungnahme liegt aber noch nicht vor. Ministeriumssprecher Rajan wird mit den Worten zitiert, die Mädchenschulen würden geschlossen bleiben, bis „ein umfassender Plan entwickelt ist, der die komplette Sicherheit der Mädchen in den Schulen, die Ausbildung von Lehrerinnen und die Beachtung der Verschleierung gewährleistet“.
Wahidullah Haschemi, im Ministerpräsidentenamt für die Beziehungen zu den Geberländern zuständig, sagte, die Talibanführung habe „noch nicht entschieden, wann und wie sie den Mädchen die Rückkehr zur Schule erlauben wird.“
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