Debütalbum des Elektronikduos Rezzett: Reizvolle Monster
Die Produzenten Lukid und Tapes veröffentlichen als Rezzett ihr Debütalbum. Der euphorische Sound löst spätpubertäre Ekstase aus.
Eigenwillige Akkorde sind mutige Akkorde: Sie sagen ja, ja und nochmals ja. Affirmation galore. Erreicht wird sie durch Es-Dur, Es-Dur Sept, dann plötzlich c-Moll, und dieser Ton wird ewig gehalten, bis ungefähr zum Höllenschlund. Eine Akkordfolge, die zur schlafwandlerischen, scheinbar von sich selbst gelangweilten Melodie wird und vor lauter Übersteuerung stiften zu gehen droht. Es braucht dann schon einen Beat, um sie mit fröhlichem Rauschen ins Leben zurückzuholen. Seine Low-Fidelity-Reanimation hört sich an, als würden 40.000 Kellerasseln am Gitter unter dem Eingang vom Postamt mit den Füßchen scharren.
„Hala“ heißt der Track. So wie „Hala“ lösen alle acht Tracks auf dem Debütalbum der beiden britischen Produzenten Rezzett spätpubertäre Ekstase aus. Jeder Track bleibt gerade durch seine Unschärfe reizvoll, damit wird Unbill auf Abstand gehalten und suggeriert, dass man sich der Freude am Dasein verschreiben kann, gerade wegen der Arschlöcher, die einem diese Freude so gerne verleiden wollen.
Gezielt nutzen der Londoner Lukid (Luke Blair) und der Amsterdamer Tapes (Jackson Bailey) zum ungestörten Arbeiten die Informationsverweigerung. Von beiden gibt es bis dato keinerlei Aussagen zum Sinn von Rezzett. Bis überhaupt öffentlich wurde, wer hinter dem Projekt Rezzett steckt, existierte das Gerücht, die Musik entstehe in Istanbul. Gefüttert durch Titel in türkischer Sprache („Hala“, türkisch für „noch immer“).
Neues Game, neues Glück
Ihr Projektname Rezzett betont lautmalerisch das Substantiv Reset, Neustart. Und einen Neustart symbolisiert der Sound von Rezzett insofern, als er die Errungenschaften von 30 Jahren Dancefloor-Kultur wie unter einem Brennglas kondensiert, bis zur Fratze verzerrt und mit einer gewaltigen Energieleistung vorwärts schleudert. Im Endergebnis klingt ihr Sound viel weniger insular als es ihre Inspiratoren bisweilen noch waren. Rezzett zapfen sich die Zutaten für ihre Tracks von überall her ab, Tribal-House mag noch naheliegend sein, aber das leiernde Rupfen alter Videotapes oder das sausenden Rollen einer Roulette-Kugel sind es nicht.
Rezzett: "Rezzett" (The Trilogy Tapes)
Wichtig ist, was Rezzett daraus machen und wie sie damit aus den Nachtleben-Sackgassen hinausgefunden haben: Ihr Sound klingt tough und bisweilen schmutzig, aber er wirkt nie kitschig hart und postindustriell vergeistigt. Und so führt ihre Rekombination zu Geniestreichen, wie dem plötzlich einsetzenden Half-Time-Beat aus der Drum-’n’-Bass-Ära, den Rezzett im Finale „Worst Ever Contender“ aus dem Keller holen und auf eine klopfende Synth-Hookline setzen.
Damit stellen Lukid und Tapes eine Verbindung zur Vergangenheit her und machen klar, dass in diesem Beat mindestens so viel kulturelles Gedächtnis steckt, wie in einem sozialkritischen Songtext. Stimmen tauchen auf, gelegentlich streuen Rezzett Wortfetzen, Satzanfänge und Ähs ein. Gerade wegen seines instrumentalen Charakter gewährt der Sound von Rezzett grandiose Illusionen, kramt Erinnerungen hervor, appelliert an bestimmte Gefühle genauso wie an unaussprechbare Triebe.
Konsequent verzichten Rezzett auf einen Albumtitel, nicht mal ein Schriftzug findet sich auf dem Cover, nur die nachkolorierte Zeichnung eines einäugigen Zottelviechs, das aus einem Gestrüpp strauchelt. Hallöchen. Track Nummer drei heißt „Sexzzy Creep“, Track Nummer sieben heißt „Gremlinz“ und die dazugehörige Musik trägt dem Unheimlichen Rechnung: Monster haben ihren ganz eigenen Reiz.
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