Debattieren mit Populisten: Deutschland, eine Streichmettwurst
Soll man mit Rechten reden? Macht man ja dauernd – nur meistens aneinander vorbei. Und es reicht nicht, sie immer nur als „Rassisten“ zu bezeichnen.
Die Debatte darüber, ob unsereins mit Rechten reden sollte oder müsste, Thema etlicher Bücher und gefühlt von überzähligen Meinungsbeiträgen in allen möglichen Medien: Sie scheint doch an Folklorität zu gewinnen.
Man redet ja mit ihnen, etwa in diesen Tagen im Bundestag, nur eben aneinander vorbei. Fährt man mit dem öffentlichen Nahverkehr oder mit der Eisenbahn weite Strecken, weiß man außerdem ja nie, ob man beim Smalltalk nicht gerade einem rechten Giftmischer Auskunft über die nächste Verbindung nach soundso gegeben oder von diesem oder dieser erbeten hat.
Die Fronten sind ohnehin klar: Rechtspopulisten, wie oben skizziert, sind nicht die Anwält:innen jener, die sie zu repräsentieren vorgeben, der prekär Lebenden etwa. Doch es reicht nicht, dies festzustellen – dass es eine erhebliche Differenz zu dem gibt, wie unsereins sich ein gutes Leben miteinander vorstellt.
Ist es denn genügend, sie der Inhumanität zu bezichtigen, wie im Laufe der Woche ein Bundestagsabgeordneter der SPD es AfD-Fraktionschef Alexander Gauland gegenüber tat? Der hatte im Hinblick auf die seenotrettenden Menschen im Mittelmeer davon geredet, dass „Schlepperhelfer zu Helden stilisiert“ würden, weil der „Öffentlichkeit suggeriert“ werde, „man könnte die Migrationsrouten nicht schließen“.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Ist es einer souveränen und damit entschieden nicht jammervollen Agitation gegen die Rechtspopulisten wirklich nützlich, sie immer nur als „Rassisten“, „Menschenfeinde“ oder „Nazis“ zu bezeichnen, mal ganz davon abgesehen, dass sie eben dies auch meist bis oft sind?
Nein, denn so kommt kein Gespräch zustande. Vokabeln wie die genannten dienen nur dem eigenen Seelentrost, nicht jedoch der emanzipierenden Kommunikation. Sie wäre zu leisten, aber dann müsste man mit Rechten tatsächlich offen sprechen, ohne Mimimi-Tonalität und Gratiseingeschnapptheit. Nicht offen verständnisheischend, sondern offensiv – und entschieden konfrontativ.
Etwa über jene Rede Gaulands, die von den neuen Bürger:innen der EU handelt und so protokolliert wurde: „Ist erst einmal die relative Homogenität der europäischen Völker aufgelöst, löst sich allmählich auch der nationale Zusammenhalt auf und der Nationalstaat kann durch eine neue internationale, übernationale Struktur ersetzt werden.
Das wird ohne eine Umerziehung der nach wie vor in ihren nationalen Klausuren lebenden, denkenden und fühlenden Völker nicht funktionieren. Diese Umerziehung erleben wir täglich. Sie beginnt in den Schulen, sie ergießt sich über die Werbung und endet abends in den ‚Tagesthemen‘.“
Das ist eine vergleichsweise harmlose Rhetorik, die der AfD-Politiker Gauland hier wählt. Noch vor anderthalb Jahren nutzte seine Partei das politische Zauberwort „Umvolkung“, wenn Flüchtlinge in der EU gemeint waren. Aber das, so erfuhr die AfD gutachterlich, kam beim Verfassungsschutz gar nicht gut an, weil dieses Wort so eindeutig als nationalsozialistisch verstanden wird, aus der politischen Sprache der offiziellen AfD scheint es nun wie verschwunden.
Umvolkung, das war mal der Plan NS-Deutschlands, die Menschen im slawischen Osten des europäischen Kontinents auszurotten und statt ihrer traditionsdeutsche Müllers und Meiers und Lehmanns und Schmidts umzutopfen und dort siedeln zu lassen.
In Wahrheit aber wird dieses Framing der völkisch gesinnten Reinheit weiter bedient, nur äußert es Gauland zwischen den Zeilen, wenn er von der „relative(n) Homogenität“ spricht, die in Gefahr stehe. Am Ende aber kommt er auf die Phobie der AfD schlechthin zu sprechen, nämlich auf das Thema „Umerziehung“. Auch hier wieder böte sich aus liberaler Perspektive an, ihm Unfug zu attestieren, mindestens ein „dummes Zeug“ hinterherzurufen.
Man sollte es anders halten, das wäre provokanter, das klärt die Verhältnisse viel stärker als alles moralische Getue: Sagen, dass sie recht haben. Dass sie Zutreffendes beobachten und dies in den öffentlichen Arenen verkünden. Ja, die Länder der EU werden nicht mehr homogen sein und sind es längst nicht mehr.
Und richtig, es findet eine Umerziehung statt. Rassistisch gesinnte Abfälligkeiten, gleich gegen wen, gegen arabisch oder türkisch oder irgendwie anders aussehende Menschen, sind absolut unstatthaft und weder moralisch noch im Alltag akzeptabel. Wenn die Rechten von Genderwahn sprechen, haben sie auch recht. Schwulen-, lesben- und transfeindliche Äußerungen sind nicht erwünscht. Einen einzigen „arischen“ Volkskörper gab es nie, diese Vorstellung hat sich mindestens seit dem 8. Mai 1945 vollkommen erledigt.
Man darf gerade beim Thema „Umvolkung“ verblüfft sein, wie sehr Männer wie Gauland & Co. historisch stark unterinformiert sind. Sie wüssten andernfalls, dass das Gebiet, das heute als deutsches verstanden wird, schon immer der europäische Vermischungsplatz schlechthin war. Durch deutsche Lande kamen auf sogenannten Völkerwanderungen alle möglichen Gruppen, aus dem Osten sehr gern, auch aus dem Norden, Westen oder Süden.
Jedenfalls ist Deutschland unter allen europäischen Ländern das ethnisch durchmischteste überhaupt, es hat kulturell in jeder Hinsicht von diesen Vermischungen profitiert. Diese, so das Fachwort, Hybridisierungen gingen nicht ohne das im wahren Leben ab, was Gauland als „Umerziehung“ bezeichnet: Irgendwann, und das ist nicht lange her, musste die Bevölkerung auch umcodiert werden, im Rechtssystem die Todesstrafe aus dem Katalog der Vergeltungen zu streichen und staatlich veranlasste Folter zu ächten.
Gökhan und Ayse sind längst deutsche Vornamen
Mit anderen Worten: Die AfD beklagt etwas, das unsereins gut findet: Trainings in höflicheren, korrekteren Umgangsformen; eine Missachtung aller Wünsche nach angeblich kultureller Homogenität.
Was manche Funktionäre mal „Umvolkung“ nannten, ist ja ohnehin nicht von der Hand zu weisen: In Deutschland lebt aktuell ein Fünftel aller Bürger:innen mit sogenanntem Migrationshintergrund, und dazu zählen die arabischstämmigen Nachbarn ebenso wie die Entertainerin Helene Fischer, eine 1984 gebürtige Russin aus Krasnojarsk, die mit ihren Eltern in der Bundesrepublik ihr Glück zu finden suchte.
Und es werden noch mehr von jenen, die das Missfallen der Rechten finden. Sie sind die Zukunft Deutschlands, besser und mehr noch: des Europas der EU. Gökhan, Ayse, Hassan, Ebru, Amina und Mahmud werden deutsche Vornamen sein und sind es, wenn die Wahrnehmung vieler Linker nicht so kulturalististisch aufgeladen wäre, ja längst.
Daran werden die Rechten sich gewöhnen müssen, ob sie es wollen oder nicht. Um in ihrer Sprache zu bleiben: Das, was sie als „Umvolkung“ interpretieren, findet dank jahrzehntelanger Einwanderung und Kreuz-und-quer-Vögelei über alle ethnischen Zuschreibungen hinweg statt, ebenso die Integration in das, was die deutsche Gesellschaft genannt wird.
Deshalb lohnt es sich nicht, der AfD und ihrem unbürgerlichen, weil historisch allenfalls halbgebildeten Führungsmann nur Moral – „Ey, das war echt inhuman!“ – zu entgegnen. Nein, sie sehen das Gleiche, aber sie deuten es furchtsam.
Im Gegenteil möge man ihnen erwidern: Lass mal gut sein, ist alles nicht schlimm – Deutschland ist ein schwerst durchmischtes Land, so wie Streichmettwurst. Ist alles drin, aber niemand weiß genau, was. Und es wird sich weiter mischen, fern sein von dem, was als „Homogenität“ definiert sein mag. Was auch sonst?
Der einen Horror und Warnung vor diesem sollte den anderen, uns, nur eine Antwort abverlangen: Ist doch alles gut so!
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