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DebattenkulturKeine Angst vorm Gendern, liebe Mitboomer

Geschlechtergerechte Sprache ist ungefährlich. Trotzdem bekommen viele Männer über 60 davon Schnappatmung. Vier Tipps einer Altersgenossin.

Wollen weiter gendern dürfen: Stu­denn­t:in­nen protestieren an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) Foto: Sven Hoppe/dpa

D iese Kolumne wird ja auch stets in versöhnender Absicht geschrieben, will sie doch für mehr Verständnis zwischen Boomern, Millennials, Gen X und Gen Z werben.

Dabei übersieht die Autorin manchmal, dass ein Riss durch ihre eigene Generation geht. Mir persönlich ist zum Beispiel die Gender-Phobie meiner männlichen Mitboomer ein unerklärliches Phänomen.

Nun ist über das Gendern schon viel gesprochen worden und als Old-School-Feministin halte ich mich auch nicht gerne an Regeln und gendere gerade so, wie es mir passt. Die bedeutungsvolle Pause bei „Leser- innen“ zum Beispiel finde ich ein bisschen affig, aber es regt mich bei anderen überhaupt nicht auf.

Hingegen verwende ich gerne das generische Femininum, spreche also grundsätzlich von Musikerinnen oder Autorinnen – Männer sind natürlich mitgemeint. Die „Gästin“ wiederum wird mir kaum über die Lippen kommen, auch wenn angeblich Goethe schon von ihr sprach.

Manchmal rutsche ich auch ins generische Maskulinum ab. Aber das finde ich nicht so schlimm. Es ist auch nicht so wichtig und wird mir auch von führenden Feministinnen verziehen.

Entwarnung: Gendern ist keine Pflicht

Grundsätzlich möchte ich meinen Altersgenossen aber etwas Wichtiges sagen: Kein Mensch muss gendern. Es gibt keine allgemeine Pflicht zum Gendern in Deutschland. Lediglich in einigen Bundesländern gibt es Vorgaben für die öffentliche Kommunikation, Verwaltung und Schulen.

Wer nicht gendert, macht sich nicht strafbar, wird nicht verachtet, verlacht oder stigmatisiert. Das Leben läuft einfach so weiter – warum also dieser Hass aufs Gendern? Gerade Männer um die 55 plus sind herzinfarktgefährdet und sollten sich nicht künstlich aufregen. Aber leider ist ja bei nicht wenigen Männern in diesem schwierigen Alter eine Verknöcherung und Radikalisierung ins Konservative festzustellen.

Gut beobachten lässt sich das bei älteren Kolumnisten und Autoren und ihrem sturen, schlechtgelaunten Wettern gegen alles, was sie nicht mehr verstehen wollen. Hauptsache, dagegen: gegen das Gendern und eine diskriminierungsfreie Sprache allgemein, gegen veränderte soziale Normen bei dem, was sie für „Flirten“ halten. Aber auch gegen Migration, gegen Geflüchtete und Muslime geht es. Nur für die AFD und ihre Wähler haben sie dann wieder Verständnis.

Doch diese kleine Gruppe der Problemkolumnisten ist nur das Symptom einer fortschreitenden Polarisierung der Geschlechtscharaktere in der politischen Ausrichtung. Die Friedrich-Ebert-Stiftung spricht in einer aktuellen Studie schon von einem Gender-Gap im Wahlverhalten. Leicht verkürzt gesagt, kommt die Studie zum Schluss: Männer wählen eher rechts, Frauen eher links.

Was tun? Vielleicht könnten sich unsere älteren männlichen Mitmenschen die weisen Worte des Schlagerstars Roland Kaiser (75, bekannt durch unsterbliche Songs wie „Santa Maria“, „Dich zu lieben“, „Manchmal möchte ich schon“) zu Herzen nehmen:

1. Sprache verändert sich.

2. Es gibt nicht nur Mann und Frau.

Dem hinzufügen möchte ich noch:

3. Kein Mensch ist illegal

und den alten Boomerinnenratschlag:

4. Leben und leben lassen.

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21 Kommentare

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  • Solange die Männlichkeit weiblich bleibt und mit Hebammen und Krankenschwestern auch Männer gemeint sind, ist alles kein Problem. Es leben die Binnensonderzeichen und die Solidarität unter den Werktätigen.

  • Leben und leben lassen, mehr braucht es nicht.

  • Kein Mensch muss gendern, klar. Aber in dieser Gesellschaft ist auch der alternde Mann immer noch nur dann ein „echter Mann“, wenn er „Profil“ hat. Und wenn Männer eher nach rechts tendieren, weil ihr y-Chromosom sie angeblich zu geborenen Jägern und Kriegern macht, haben grade Ü-50-Männer nur wenige Möglichkeiten, sich ein Profil zuzulegen. Die aber laufen irgendwie alle auf Konfrontation hinaus.

    Fragt sich nur, wie und mit wem sie noch in den Clinch gehen sollten mit 50, 60 oder 70, die Möchtegern-Recken. Sportliche Wettkämpfe mit Mittdreißigern sind nicht zu empfehlen. Auch das System werden sie nicht mehr sprengen, schon gar nicht allein. Was also bleibt ihnen, seit Frauen und Kinder Rechte haben? Das Gendern. Denn das, so viel steht fest, ist ein zahnloser Tiger. Eine Kuschelkatze geradezu. Die publikumswirksam zu bändigen allerdings erhebliches Unterhaltungspotential birgt.

    Es gibt keine allgemeine Pflicht zum Gendern in Deutschland. Es gibt jedoch ein Recht, davor zu warnen. Und dieses Recht lässt sich super missbrauchen. Die Fans der sprachlichen Ausgewogenheit hätten das wissen können. Sie haben geglaubt, es sei kein Problem. Was links ist, ist offenbar Ansichtssache.

  • "Leben und leben lassen"



    sollte zumindest im privaten Umfeld eine Selbstverständlichkeit sein.

    De facto ist auch die Toleranz der Gender-Befürworter nicht grenzenlos. ;-) "Diskriminierungsfrei" bedeutet z.B. nichts anderes als den Vorwurf, dass man diskriminiert, wenn man eben nicht gendert und sich an die Regeln der deutschen Sprache hält.

    Beide Meinungen, ob Befürwortung oder Ablehnung des Gendern sind legitim. Entscheidend ist, wie man miteinander umgeht. Es geht um Respekt - von beiden Seiten.

  • Müsste es in der Überschrift nicht heißen: "...liebe Mitboomende"?



    Egal...

  • Es bekommen da sicher nicht nur Boomer Schnappathmung, auch so mancher der mit vielen Migranten aufgewachsen ist kann das durchaus kriegen.

    Es gibt einen Satz den jeder der mal Deutsch mit dem Hintergrund einer anderen (eventuell auch nicht romanischen) Muttersprache lernen musste gesagt hat, und zwar: "Deutsch ist eine der am schwersten zu lernenden Sprachen".



    Diesen Satz hört man von jeden.



    Und daher gibt es auch noch eine andere Seite (einen anderen Grund) gegen das Gendern zu sein, als nur den das man intolerant o.ä. wäre. Denn eine schwere Sprache noch schwerer und verwirrender zu machen, ist für manche Betroffene nicht ganz so cool...

  • Die Sprechpause ist bei der entgenderten Sprache unerlässlich, weil man sonst i.d.R. wieder bei der gegenderten weiblichen Form landet.

  • "Lediglich in einigen Bundesländern gibt es Vorgaben für die öffentliche Kommunikation, Verwaltung und Schulen. Dort ist das Gendern verboten. Wer gendert, riskiert dort mitunter ihren Job." Grundsätzlich gelten für den offiziellen Sprachgebrauch die Regeln des Rates für Rechtschreibung (gemeint ist die staatenübergreifende Kommission, nicht der gleichnamige etwas dubiose Verein). Und zwar überall. Die im Text inkriminierten Bundesländer schreiben diese Regeln vor und haben diese Maßnahme ergriffen, um z.B. der universitären Praxis, wiss. Arbeiten von Studenten, die nicht gendern, schlechtere Noten zu geben bzw. die Arbeiten zurückzuweisen, einen Riegel vorzuschieben. Auch soll damit verhindert werden, dass in Schulen unterschiedliche Sprachregeln (je nach "Überzeugung" der Lehrer) gelehrt werden.



    Zudem möchte ich auf das von Forist Jan ü. verwendete Zitat von Fr. Winkelmann (s.u.) verweisen. Natürlich kann jeder freiwillig "gendern". Aber aus diesem Paradies wurden wir längst vertrieben

  • Es sind doch nicht immer die über 60. Ich, als ein solcher nehme für mich bisher in Anspruch, mit der Einführung des Pronomens "mensch" statt "man" einen wesentlichen Schritt zur Weiterentwicklung der gendergerechten Sprache getan zu haben. Oder war es vorher schon die nicht-binäre Person - sie möge mir bitte verzeihen, dass mir ihr Name aus wohl altersbedingter Gedächtnisschwäche gerade nicht einfällt - , die als Autor*in wohl auch u.a. "jemensch" statt "jemand" verwendet, wozu ich über mein "mensch" hinaus damals noch nicht die Traute hatte, oder was es mit dem "mensch" vor Jahrzehnten vielleicht sogar schon die taz?

  • Von mir noch der Hinweis: Gendern kostet nichts, nicht mal Mühe. Mein Verdacht ist auch, dass es nicht viel bringt, solange Models und Tradwives den Äther vergiften, aber das ist kaum eine Entschuldigung, es nicht versucht zu haben.

  • Eine wunderschöne Stilblüte ist auch das von mir gestern erstmals gehörte Wort "Arbeitgebende". Dann kann man (an dieses "man" muss man auch mal ran, das klingt schlecht) auch "Arbeitnehmende" sagen. Wobei ich das Ganze immer schon verdreht fand, Arbeitnehmer geben ihre Arbeitskraft und Arbeitgeber nehmen sie. Was soll das?

    • @Andreas Schulz:

      Also ich versuche seit einiger Zeit, Begriffe Geschlechtsneutral zu verwenden, so sage ich z. B. auch "Studierende". Ich mache das, weil ich Frauen respektiere und deshalb auch sprachlich nicht ausgrenzen, bzw. ignorieren möchte. In den letzten zwei Jahren habe ich einige Frauen kennengelernt und daraus wie positiv die auf mich reagiert haben, schließe ich, dass Frauen es durchaus mögen, wenn Mann sie mit respekt behandelt.

      Vielleicht sollten das mal alle Männer machen, statt rumzuheulen, weil sich Frauen in der heutigen Zeit emanzipieren, zurecht Gleichberechtigung einfordern und sich nicht länger unterdrücken und "mitmeinen" lassen wollen.

      Leider werden den meisten Jungen immer noch völlig gestörte Männlichkeitsbilder antrainiert, was oft dazu führt, dass diese dann frustriert sind, weil sie keine Freundin finden und dann einen extremen Frauenhass entwickeln, weil es versäumt wurde, ihnen beizubringen, ihr Verhalten zu reflektieren, denn dann würden sie begreifen, dass nicht die Frauen an ihrem Singledasein Schuld sind, sondern es an ihrem eigenen Verhalten Frauen gegenüber liegt.

      • @Truhe:

        Vielleicht wird es auch nur von einigen wenigen dramatisiert? Wenn ich mit den lieben Kollegen und Kolleginnen spreche, beschwert sich niemand. Bei uns im Unternehmen sind alle gleichberechtigt, wir haben Equal Pay, niemand wird unterdrückt. Und der Tipp, gendern reduziert das Schicksal ein Single oder SingleIn zu sein, ist sicherlich hilfreich. Selbst wenn ich mit Mitarbeitern unserer Tochterunternehmen rede, hat sich noch nie jemand über den Begriff beschwert. Auch nicht der Gärtner über Mutterboden. Sachen gibt's

    • @Andreas Schulz:

      Nein, falsch. Es gibt eine Person die dir Arbeit gibt und eine die sie nimmt. Der Arbeitgeber gibt dir Arbeit, der andere nimmt die Arbeit an und wird dafür entlohnt. Die Arbeit ist das was man bearbeitet, damit es das überhaupt gibt, also Arbeit zur Verfügung steht, muss es also einen geben der sie gibt. Was du meinst ist die Arbeitskraft, man selbst ist der Arbeitskraftgeber, aber nicht derjenige der die Arbeit gibt. Es sind einfach unterschiedliche Begriffe, die aber genau das ausdrücken was sie darstellen.

  • Bisschen dürftig, wie hier das Nichtgendern als männliche Altersschwäche gedeutet wird. Da gab es schon viel klügere Beiträge in der taz, wie z.B. dieser von 2021: taz.de/Ulrike-Wink...kritik/!vn5747681/



    Zitat: "In dem Augenblick, da emanzipative Sprachpolitik zu einer von einem „Oben“ gesetzten Norm wird – und vieles sieht aktuell schon danach aus –, wird sie sich genau diesem Vorwurf aussetzen müssen: dass sie Wirklichkeiten konstruiert, die viele nicht als die ihren begreifen."

  • Gästin, na toll. Habe auch schon Vorständin und Clownin gehört. Die Absicht ist doch Geschlechtsneutralität, was mit den Grundformen dieser Wörter schon der Fall ist, da braucht es kein Verhunzen (klar, der Artikel ist dann immer noch "der", aber wie weit will man gehen).

    • @Ciro:

      Aber genau das ist das Problem, durch den Artikel davor bestimmt man ob das Wort männlich oder weiblich, neutral ist.

    • @Ciro:

      'Geschlechtsneutralität' - welch schönes Wort. Wie ist Geschlecht neutral oder nicht neutral - Geschlecht als die neutrale Schweiz. Geschlecht hält sich raus... Mein Geschlecht ist mein Geschlecht - Punkt. Es existiert, ob ich es will oder nicht, selbst, wenn ich es verleugne. Es ist politisch, so wie es persönlich ist. Neutral ist es heutzutage eher nicht. Sonst würden wir nicht darüber debattieren. Die Frage ist, ob ich das empfundene Geschlecht eines Menschen anerkennen will oder nicht. Toleranz ist gefragt. Wie so oft. In meiner Meinung muss sich das auch in der Sprache spiegeln, wie kann ich mein Geschlecht sonst kommunizieren. Ciro - Ihre Aussagen sind klar nicht neutral - das Wort 'verhunzen', ist das Gegenteil von neutral. Es tendiert zur Ignoranz und verneint die Gefühle und Aussagen von Menschen, die nicht in ihr Schema passen. Das Gegenteil von Toleranz und eben Neutralität. LG von einer Gästin in diesem Forum, oder einer Clownin;-) - Offenheit kann gelegentlich helfen.

    • @Ciro:

      Bei Vorständin ist es besonders verunglückt. Denn der Vorstand ist keine Person, sondern das Leitungsorgan einer Firma, und besitzt somit weder biologisches noch soziales Geschlecht. Die Personen, die den Vorstand bilden, heißen Vorstandsmitglieder. Das ist grammatikalisch ein Neutrum und bedarf keiner Genderform.

    • @Ciro:

      Wie kommen sie darauf anderen vorzuschreiben wie sie zu sprechen oder zu schreiben haben?



      Sie sollten erstmal Ihre eigenen Absichten hinterfragen.



      Denn, Wer sind sie zu bestimmen was "Verhunzer" sind?



      Die Autorin hat klar gestellt: sie gendert wo und wie sie will, weder vollständig noch gezwungen.



      So wie es sein sollte.

  • Ich verstehe die Intention aber das Gendern exkludiert (Leichte Sprache?) und spaltet mehr als es Inklusion schafft. Ganz objektiv erzeugt es Zumutungen.

    Sprache ändert sich - richtig. Aber das Gendern ist eine Revolution von oben, eine akademische Kopfgeburt. Daran ist nichts "natürlich gewachsen".

    Über die Sprachästhetik mag man vielleicht streiten können aber die Sprachlogik leidet. Eine konkrete Menge an Personen (generisches Femininum!) hat auch konkrete Geschlechtsidentitäten. Wenn ich beispielsweise "Ministerpräsident*innen" schreibe, müssten darunter min. zwei nichtbinäre Personen sein, damit das Sinn ergibt - das * soll ja Menschen abseits der Mann/Frau-Logik einschließen.

    Und philosophisch betrachtet: Soll es wirklich keine verbindenden Entitäten mehr geben? Sollen Frauen und nichtbinäre Personen wirklich keine "Menschen" (Maskulinum) mehr sein?

    Wäre ich Verschwörungstheoretiker würde ich unterstellen, dass das Gendern eingeführt wurde, um den Siegeszug des Englischen zu beschleunigen. Wenn überhaupt dann wäre ich dafür den Weg des Englischen zu gehen und Femininum und Neutrum abzuschaffen. Der Mann, der Frau, der Kind oder meinetwegen "de" als neuer Artikel.