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Debatte ums BürgergeldVerschwindende Minderheit

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Mit dem Märchen vom faulen Arbeitslosen macht die Union Stimmung gegen das Bürgergeld. Der unfaire Pauschalverdacht trifft Menschen in echter Not.

Fast zwei Millionen der Bürgergeld-Empfänger:innen sind Kinder Foto: Ute Grabowsky/imago

D as Diskussionspapier zog seine Kreise durch die Medien: Enzo Weber, Wirtschaftsforscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg (IAB), hatte analysiert, inwieweit sich das Verhalten von Hartz IV-, beziehungsweise Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen änderte, als es weniger Sanktionen gab und die Bedingungen für das Bürgergeld erleichtert und die Sätze angehoben wurden.

Webers Fazit: Als es im Sanktionsmoratorium während der Coronapandemie kaum noch Kürzungen gab und später dann die Bedingungen für das Bürgergeld erleichtert und die Sätze erhöht wurden, nahmen weniger Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen einen Job an. Das Moratorium habe die Jobaufnahmen aus der Grundsicherung „um vier Prozent“ und die nachfolgende Bürgergeldreform habe die Jobaufnahmen „um fast sechs Prozent“ im ersten Jahr gedämpft, heißt es in dem Papier.

Die Botschaft war Wasser auf die Mühlen derjenigen, die das Bürgergeld als zu üppig ausgestattet kritisieren. Auf dieser Kritik baut die Union ihre Vorschläge für strengere Regeln zur Grundsicherung auf. Damit will sie Erhöhungen des Bürgergeldes beschränken, Sanktionen verschärfen und die Selbstbehalte bei Vermögen und die Übernahme realer Wohnkosten für Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen reduzieren.

Das Bürgergeld steht unter Druck. Die Politik schielt dabei auf die wählende Mittelschicht, zumal fast die Hälfte der Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen keine deutsche Staatsangehörigkeit hat und daher gar nicht wählen kann. Es sind die Perspektiven und die Ambivalenz der Mittelschichtmilieus, die über die Armutspolitik entscheiden werden. Das wird man spätestens im Wahlkampf 2025 deutlich sehen.

Niemand ist vor Armut gefeit

Wie stark ist das Identifikationspotential der Mittelschichtmilieus, die Steuern zahlen und Abgaben leisten, mit Lebenslagen von Armut und Abhängigkeit vom Sozialstaat? Das ist die politische Frage, die in Zeiten knapper Haushaltskassen die Zukunft des Sozialstaates bestimmt. Auch als gut verdienender Erwerbstätiger kann man in die Situation kommen, Grundsicherung, beziehungsweise Bürgergeld, beantragen zu müssen.

Deswegen wurden die Bedingungen für den Bezug von Hartz IV in der Pandemie ja auch erleichtert: Damals fanden sich kleine Selbstständige plötzlich in der Situation wieder, dass die Einnahmen ausblieben. Jetzt hat sich der Wind gedreht. Das Narrativ von den „faulen Arbeitslosen“ und der Streit um den teilweise geringen Lohnabstand, der zwischen Familien im Bürgergeldbezug und schlechtverdienenden Dienst­leis­te­r:in­nen herrscht, wird wieder zum Thema.

Dabei machen die als arbeitslos Geltenden nur ein Drittel der Leistungsberechtigten im Bürgergeldbezug aus, nämlich 1,6 Millionen. Fehlende Qualifikationen und Sprachprobleme spielen dabei eine große Rolle. 2,2 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte gelten hingegen gar nicht als arbeitslos. Sie sind etwa alleinerziehend, gering verdienend und Aufstocker, sind in Maßnahmen, gesundheitlich angeschlagen oder sie machen eine Weiterbildung.

Fast 2 Millionen der Bürgergeld-Empfänger:innen sind Kinder. Hinzu kommen 1,2 Millionen Be­zie­he­r:in­nen von Grundsicherung im Alter und wegen voller Erwerbsminderung durch eine Behinderung, deren Regelsätze dem Bürgergeld entsprechen. Scheidungen, Insolvenzen, Krankheiten, Behinderungen, Pflegebedürftigkeit im Alter –Schicksalsschläge können dazu führen, dass Menschen abhängig werden vom staatlichen Existenzminimum und dem Inflationsausgleich.

Kein Sozialstaat ohne Vertrauen

Es gibt also ein Solidaritätspotential mit den Armen, das bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Einerseits. Andererseits aber herrscht in den Mittelsschichtmilieus das Misstrauen, dass hier Steuer- und Sozialgelder an Menschen verschleudert werden, die arbeiten könnten, aber das System ausnutzen. Diese Ambivalenz wird von der Politik befeuert. Als Scheinlösung wird das Bild des „faulen Arbeitslosen“ an die Wand gemalt, auch um mögliche Kürzungen zu erleichtern.

Selbst den Ukrai­ne­rin­nen mit den hohen Belastungen durch Kinderbetreuung, Sprachprobleme und Kriegstraumata wird inzwischen teilweise mangelnde Arbeitsbereitschaft unterstellt, leider. Das heißt nicht, dass marginale Veränderungen beim Bürgergeld nicht möglich sind. So könnte der Selbstbehalt beim Vermögen, wenn jemand einen Erstantrag stellt, etwas abgesenkt werden.

Und ein Mindestmaß an Sanktionen für jegliche fehlende Kooperation sollte möglich bleiben, falls keine gesundheitlichen Probleme vorliegen. Die Studie von Weber zeigte, dass der Anteil der Leute, die sich womöglich nicht wirklich um Jobs bemühen, wenn Sanktionen wegfallen oder die Leistung verbessert wird, im einstelligen Prozentbereich liegt. Wohlgemerkt handelt es sich um den einstelligen Prozentbereich des kleinen Teils der Empfänger:innen, die überhaupt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Wegen der paar Prozent sollte man weiß Gott nicht die Leistungen für Millionen verschlechtern. Regelsätze und Wohnkosten zu beschränken, muss unbedingt vermieden werden. Schon eine nur reduzierte Übernahme der realen Wohnkosten jenseits fiktiver „Angemessenheitsgrenzen“ führt zu verschärften Armutslagen. Fast ein Siebtel der Bürgergeld-Empfänger:innen bezahlt heute schon Anteile der Mieten aus dem Regelsatz für die täglichen Ausgaben, weil die Miete die engen „Angemessenheitsgrenzen“ der Jobcenter übersteigt.

Das ist skandalös. Jede pauschale Verdächtigung und Abspaltung von Grund­si­che­rungs­emp­fän­ge­r:in­nen im öffentlichen Diskurs, durch die sich die Union vielleicht Stimmengewinne von rechts verspricht, wird zudem einen hohen politischen Preis haben: Pauschale Verdächtigungen zerstören das Vertrauen in das Solidarsystem, ein Vertrauen, das sowohl Ein­zah­le­r:in­nen als auch Emp­fän­ge­r:in­nen brauchen. Ohne Vertrauen ist kein Sozialstaat möglich.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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    Betr: Arbeitsaufnahme rückläufig.



    Folgende Annahme dazu:



    Das neue Bürgergeld sieht einen geringeren Sanktionsdruck vor, wenn – im Dialog mit den Arbeitsvermittlern! - unpassende Stellenangebote „aussortiert“ werden. D. h. auch, dass weniger Bewerbungen auf Stellen von den Vermittlern per Sanktion durchgesetzt u. angetreten werden. Völlige Wahlfreiheit besteht auch im Bürgergeld nicht. Es soll aber auf mehr individuelle Passgenauigkeit geachtet werden. Dadurch dürfte der Rückgang bei denjenigen Arbeitsaufnahmen zu suchen sein, die zuvor in Hartz 4 per Sanktionsdruck erzwungen wurden u. nun nicht mehr erfolgen. Enzo Webers Konsequenz wurde in der Presse so zitiert, dass er deshalb nun für eine moderate Verschärfung des Sanktionsregimes auch im Bürgergeld plädiert. Denn ein noch „Mehr“ würde dann den Drehtüreffekt wieder verstärken, der bei Hartz 4 zu beobachten war. Die erzwungenen Arbeitsstellen wurden von den Menschen möglichst schnell wieder aufgegeben“ u. sie kehrten ins Hilfesystem zurück. Eine Vermittlung fand so zwar statt blieb aber letztendlich erfolglos. HARTZ 4 WAR DA NICHT ZIELFÜHREND.

  • 2/2



    Das Bürgergeld setzt auf nachhaltige Vermittlung. Die dauert länger weil zuvor Qualifikation erworben werden muss. Ich teile daher Webers Vorschlag nicht.



    DENN HIER WIRD KEIN „MANGEL AN SANKTIONEN IM BÜRGERGELD“ SICHTBAR, wie das eine populistische Politik vorgaukelt, bzw. das sogar selber glaubt!



    DAS BÜRGERGELD LEGT NUR DIE BEKANNTEN PROBLEMATIKEN BEIM MANAGEMENT (Missmatching) DER VERMITLUNG LANGZETARBEITSLOSER EHRLICHER OFFEN.



    ZWANG WAR NICHT DIE LÖSUNG. DESHALB BÜRGERGELD.

  • Ich glaube gern, dass es für den Staatshaushalt keinen nennenswerten Unterschied macht.



    Aber wenn auch nur Einer mit dem Nobelsportwagen zum Jobcenter fährt und die Presse Wind davon bekommt, ist der angerichtete Schaden ernorm.



    Viele Menschen sind in dieser Hinsicht sehr empfindlich, vor allem Leute in schlechtbezahlten Jobs.



    Wenn die Politik also Bürger-(besser: Anwesenden-)geldbezug wieder sanktionieren will, dann selbstverständlich aus Gründen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die Staatskasse lässt sich so nicht sanieren. Deshalb ist es irrelevant, wieviele "Totalverweigerer" es gibt, einer ist bereits einer zuviel.

  • 1/2



    Arbeitsaufnahme rückläufig. War das zu erwarten?

    Ich konnte die Studie im Netz noch nicht finden. Nach dem was mir bekannt ist, eine Anmerkung.



    Worauf ist der Rückgang zurückzuführen? Zumindest plausibel ist folgende Annahme: Das neue Bürgergeld sieht einen geringeren Sanktionsdruck vor, wenn – im Dialog mit den Arbeitsvermittlern! - unpassende Stellenangebote „aussortiert“ werden. D. h. auch, dass weniger Stellen von den Vermittlern per Sanktion durchgesetzt u. angetreten werden. Denn völlige Wahlfreiheit besteht auch im Bürgergeld nicht. Es SOLL auf mehr individuelle Passgenauigkeit geachtet werden. Dadurch dürfte der Rückgang bei denjenigen Arbeitsaufnahmen zu suchen sein, die in Hartz 4 per Sanktionsdruck erzwungen wurden u. nun nicht mehr erfolgen SOLLEN. Enzo Webers Konsequenz wurde in der Presse so zitiert, dass er für eine moderate Verschärfung des Sanktionsregimes plädiert. Denn ein noch „Mehr“ würde dann den Drehtüreffekt wieder verstärken, der bei Hartz 4 zu beobachten war.

  • 2/2



    Die erzwungenen Arbeitsstellen wurden von den Menschen möglichst schnell wieder „verlassen“ u. sie kehrten ins Hilfesystem zurück. Vermittlung blieb VERZÖGERT aber zuletzt doch ERFOLGLOS. Auch HARTZ 4 war da NICHT ZIELFÜHREND.



    Das Bürgergeld setzt auf nachhaltige Vermittlung. Die dauert länger weil zuvor Qualifikation erworben werden muss. Ich teile daher Webers Vorschlag nicht.



    DENN HIER WIRD KEIN MANGEL AN SANKTIONEN IM BÜRGERGELD SICHTBAR, wie das eine populistische Politik vorgaukelt, bzw. das sogar selber glaubt! DAS BÜRGERGELD LEGT NUR DIE BEKANNTEN PROBLEMATIKEN BEIM MANAGEMENT DER VERMITLUNG LANGZETARBEITSLOSER EHRLICHER OFFEN.



    ZWANG WAR NICHT DIE LÖSUNG. DESHALB BÜRGERGELD!

  • Wenn ich Menschen treffe, die mehrere Jahre Bürgergeld beziehen, dann haben die meistens mehrere Probleme, chronische Krankheit, kleine Kinder, zuvor bereits verarm, entsprechend kein eigenes Auto mehr etc. Viele haben einen Migrationshintergrund, beherrschen die Sprache nicht vollständig, oder haben keine Ausbildung bzw. es gibt für sie nur Arbeit im ungelerneten Bereicht.



    Angeblich soll SGB II die vor Armut ja schützen, es sollen auch soziale Problemlagen durch die Jobcenter bearbeitet werden. Nach meiner Erinnerung wurde meistens nur Druck ausgeübt und es wurden schlechte Arbeitsstellen vermittelt, bzw. Zettel mit Adressen von Zeitarbeitsfirmen verteilt.



    Dass in der Öffentlichkeit umzukehen, ist sehr dreist, aber eine Strategie, die ja mehr oder weniger sogar Programmatik der CDU geworden ist. Und die SPD hat sich das System mal ausgedacht, die Frau von Wolfgang Clement hat sogar behauptet, dass jeder Mensch in Deutschland jederzeit sofort eine Arbeit aufnehmen kann und davon leben kann.

  • Tatsächlich bin ich seit Jahren darüber erstaunt, wie viel Energie manche selbstgerechten Politiker und Kommentatoren (die oft selbst zur deutschen Wirtschaft kaum etwas beitragen) darauf verschwenden, den Hartz-IV- oder jetzt BürgergeldbezieherInnen pauschal einen Hang zum Sozialbetrug zu unterstellen.



    Hier sind die Prioritäten oft falsch gesetzt.



    Nehmen wir z. B. die Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit etc.: Es gibt Studien, die die Summe der durch Schwarzarbeit, Betrug und Tricks dem Fiskus entgehenden Einnahmen auf 125 Mrd. Euro beziffern. Europaweit sollen es sogar 825 Mrd. Euro sein. Pro Jahr!



    Wie viel kostet uns das Bürgergeld jährlich? Im Bundeshaushalt sind dafür dieses Jahr ca. 27 Mrd. Euro eingeplant.



    Würden wir also Schwarzarbeit, Betrug gegenüber dem Staat und Steuerhinterziehung um 25% senken, bräuchten wir uns um die Finanzierung des gesamten Bürgergeldes überhaupt keine Sorgen mehr zu machen. Vielleicht sollten wir uns an dieser Stelle kurz an den nur durch Cum-Ex-Geschäfte verursachten Schaden erinnern.

    • @Aurego:

      Ein sehr großer Teil der Ersparnis erfolgt auf legalem Weg, da angemessene Steuern oft gar nicht erst erhoben werden sollen/wollen.

      • @Erfahrungssammler:

        Meinen Sie die Schwarzarbeit, die Geldwäsche oder die Steuerhinterziehung? Gibt es für Sie triftige Gründe, diese Phänomene nicht bekämpfen zu wollen?

    • @Aurego:

      Ironischerweise rechtfertigen sich Steuerhinterzieher ihr Tun damit, dass ihre Steuern an Bürgergeldempfänger verschleudert werden würden

    • @Aurego:

      Sie stellen die richtigen Fragen, die aber auf der Rechten und bis hinein in die SPD keiner hören will. So armselig und mies das klingt, es ist doch so: Asylbewerber und Bürgergeldempfänger werden nicht oder zumindest nicht wirksam politisch vertreten. Subventionsbetrüger, Steuerhinterzieher und Cum-Ex-Manager sitzen in hohen Positionen, kennen die richtigen Leute und können sich im Bedarfsfall gut bezahlte Anwälte leisten. Das pauschale Dauerfeuer auf die Schwachen wird dazu noch wohlwollend begleitet von BILD und ähnlichen Medien, vom Dreck in den sozialen Medien ganz zu schweigen. Leichte Punkte im Bierzelt und am Ende an der Wahlurne für die Söders, Aiwangers und wie sie alle heißen. Natürlich noch einmal widerlich potenziert durch die haßerfüllte AfD. Cum Ex, Bankenkrise kapiert kein Mensch, aber der Bürgergeldempfänger muss hungern und keinen gerade Zahn im Mund haben, sonst ist er sicher Betrüger und gehört mindestens in den Knast oder den Steinbruch.