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Debatte um neuen GesellschaftsvertragRendezvous mit der Ungleichheit

Fehlende Gerechtigkeit und Solidarität: Der Gesellschaftsvertrag wird ernsthaft infragegestellt. Linke müssten für einen neuen streiten.

Soziale, politische und wirtschaftliche Gleichheit – dafür muss eine Gesellschaft immer kämpfen Illustration: Katja Gendikova

Die „besorgten Bürger“ – nicht umsonst meist in der männlichen Form bezeichnet – sind zum geflügelten Wort der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung geworden. Mal werden ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Ängste für eine nationalistische, fremdenfeindliche Agenda in Anspruch genommen; mal wird versucht, diese Ängste für eine Politik zu kanalisieren, die sich gegen den fortschreitenden neoliberalen Umbau der Gesellschaft wendet. Gelegentlich wird auch eingeworfen, man solle die Bürgersorgen nicht gar so ernst nehmen, schließlich seien sie erst im politischen Diskurs geschaffen worden.

Wie dem auch sei: Die emotionalen Überzeugungen der BürgerInnen davon, was gesellschaftlich gut und richtig ist und was dagegen schlecht und falsch, sind eine zentrale Kategorie von Politik. Die BürgerInnen politischer Gemeinwesen haben durchaus ihre Vorstellungen davon, wem was zusteht und wer zu was verpflichtet ist, wer welche Rechte haben soll und wer wofür aufzukommen hat. Und sie haben, wenn die politischen Verhältnisse diesen Vorstellungen nicht entsprechen, die Wahrnehmung, dass etwas faul sei im Staate.

Genau dies scheint aktuell der Fall zu sein. Die politische und soziale Stabilität der Nachkriegsrepublik gründete in einem Gesellschaftsvertrag, dessen Gültigkeit heute ernsthaft in Frage steht. Dieser Gesellschaftsvertrag wurde von niemandem am Verhandlungstisch unterzeichnet. Und doch war er über Jahrzehnte hinweg wirksam. In der historischen Soziologie ist die Figur des ungeschriebenen Gesellschaftsvertrags wohl bekannt: Sie meint jenes stillschweigende soziale Einvernehmen, welches Gesellschaften im Innersten zusammenhält. Eine Übereinkunft, die stets umstritten ist, die immer nur bis auf Weiteres gilt – und die irgendwann eben nicht mehr trägt, sich auflöst oder aufgekündigt wird.

Für den unausgesprochenen Gesellschaftsvertrag der westeuropäischen Nachkriegszeit stand der demokratisch-kapitalistische Wohlfahrtsstaat. Sein Institutionensystem war Ausdruck eines umfassenden sozialen Tausches: Die BürgerInnen akzeptierten die ökonomische Herrschaft der Kapitaleigentümer und das politische Herrschaftsprinzip der repräsentativen Demokratie – im Tausch gegen Teilhabe am wachsenden wirtschaftlichen Wohlstand, gegen ein Recht auf Einkommenssicherheit und die Aussicht auf sozialen Aufstieg.

Dieses gesellschaftliche Tauschgeschäft, für das in der Bundesrepublik die übergreifend akzeptierte Formel von der „sozialen Marktwirtschaft“ geprägt wurde, hatte freilich eine zweite, hintergründige Seite, die kaum je thematisiert wurde. Diese problematische Übereinkunft lautete: Die politischen Eliten schützen den nationalen Wohlstands- und Wohlfahrtsraum gegen Anfechtungen von außen – gegen Wirtschaftsmächte in Ostasien ebenso wie gegen übermäßige Zuwanderung aus Osteuropa, gegen innereuropäische Umverteilungsforderungen wie auch gegen unbotmäßige Interventionen aus „Brüssel“.

Politische Loyalität gegen Wohlstand und Teilhabe nach innen einerseits, Schutz und Abwehr nach außen andererseits: Das war der große historische Kompromiss, der auf verschiedene Weise in allen Industriegesellschaften des Westens gefunden wurde. Über mehrere Jahrzehnte hinweg vermochte er diese politisch zu stabilisieren und ihnen weltwirtschaftlich einen Platz an der Sonne zu garantieren. Jetzt aber wird zunehmend offensichtlich, dass dieser doppelte Gesellschaftsvertrag nicht mehr trägt.

Auf Protest gebürstet

Was die „innere“ Seite des Gesellschaftsvertrags angeht, so hat sich die durch die wirtschaftliche Globalisierung mit zusätzlichen Machtressourcen ausgestattete Kapitalseite von jenem Kompromiss verabschiedet, der ihr in der Nachkriegszeit abgerungen worden war – und den sie immer schon als zu teuer empfunden hatte. Den neoliberalen Umbau des Wohlfahrtsstaats, den Abbau von Arbeitsrechten und Sozialschutz, hat das Kapital mal direkt erwirkt, mal durch Abwanderungsdrohungen und Niedergangswarnungen erpresst. Die „Hartz-IV-Reformen“ haben ein sozial deklassiertes Milieu hervorgebracht. Und die Rentenpolitik wird absehbar zu einer großen Altersarmut führen – allen „Haltelinien“ zum Trotz.

Während die zunehmende Ungleichheit der Einkommen und Vermögen an der Stabilität des demokratischen Kapitalismus nagt, wurde in jüngster Zeit offenkundig, dass auch die „äußere“ Seite des Gesellschaftsvertrags unhaltbar geworden ist. Die Zuwanderungsbewegung der letzten drei Jahre hat die Deutschen jäh daran erinnert, dass sie eine jener wenigen Wohlstandsinseln bewohnen, deren Lebensbedingungen begehrenswert für Unterprivilegierte sind.

Was wir derzeit erleben, sind affektgeladene Reaktionen der schwächeren Partei des Gesellschaftsvertrags auf die Auflösung seiner inneren wie äußeren Bedingungen. Den versagenden politischen Eliten, die das Kapital nicht bei der Stange halten konnten, wird nun ihrerseits die Gefolgschaft versagt: Das Wahlvolk ist im Binnenverhältnis auf Protest gebürstet. Zugleich verhält es sich im Außenverhältnis zunehmend aggressiv, weil nennenswerte Teile der Bevölkerung den effektiven Schutz des nationalen Sozialraums vor dem Elend der Welt nicht mehr gewährleistet sehen. Die politischen Eliten wiederum reagieren mit einer erratischen Mischung aus Wirtschaftshörigkeit und Publikumsbeschimpfung, fiskalischer Austerität und selektivem Protektionismus, geschwollener Weltoffenheitsrhetorik in Sonntagsreden und knallharter Festungsmentalität im Tagesgeschäft.

Im Ergebnis führt die Erschütterung der gesellschaftspolitischen Nachkriegskonstellation nicht zu einer Rückkehr des Klassenkonflikts, sondern zu dessen Überlagerung durch einen Kulturkampf, der von rechts befeuert, von der Mitte zumindest geduldet und von links allenfalls halbherzig zu unterbinden versucht wird. Und während die Leute auf ihre Eliten zwar kräftig schimpfen, wird letzten Endes doch wie üblich nach oben gebuckelt, nach unten getreten und nach außen gezündelt.

Das Angstszenario „offener Grenzen“

Bemerkenswerterweise sind es in dieser Situation weder die SPD noch die Linkspartei oder die Grünen, die aussprechen, was sich nicht länger leugnen lässt. Es war vielmehr Wolfgang Schäuble, der auf dem Höhepunkt der „Flüchtlingskrise“ den Deutschen eröffnete, dass sie nun ihr lange aufgeschobenes Rendezvous mit der Globalisierung hätten – und der ihnen jüngst nahelegte, sich mit der Aussicht vertraut zu machen, dass die meisten Geflüchteten gekommen sein werden, um zu bleiben. Wer sich freilich an Schäubles Umgang mit der „Griechenlandkrise“ erinnert, mag ahnen, dass hier der Schritt vom Realismus zum Autoritarismus nicht weit ist. Es ist daher an der gesellschaftlichen und politischen Linken, das Unabweisbare ebenso deutlich auszusprechen – und eine progressive politische Agenda daraus zu entwickeln, die der Versuchung widersteht, das Wohl der hiesigen Lohnabhängigen in der möglichst effektiven Abwehr „fremder“ Teilhabeansprüche zu sehen.

Denn die Gründe dafür, dass der Gesellschaftsvertrag im Inneren erodiert, haben mit den Fluchtbewegungen seit 2015 nichts zu tun, sie sind älteren Ursprungs und müssen als solche angegangen werden. Es ist gleichzeitig notwendig, unseren Gesellschaftsvertrag endlich an die Realität einer globalisierten Welt anzupassen. Doch das wird derzeit sabotiert. Die Rechte hat es geschafft, die Regierungspolitik vor sich her zu treiben – im Namen eines „Volkes“, das faktisch eine Minderheit der Bevölkerung darstellt.

Wer gibt heute noch jener Mehrheit eine Stimme, die nach wie vor die Aufnahme und Integration von Geflüchteten und Zuwandernden befürwortet? Eine Politik, die nur noch darauf abzielt, keine Flüchtlinge mehr ins Land zu lassen, muss in der Konsequenz auch Integration scheitern lassen – die in dieser Logik nur als falscher Anreiz zur Migration gilt. Das Angstszenario „offener Grenzen“ lenkt von dem ab, was eigentlich ansteht: Wer setzt sich eigentlich für ein Immigrationsgesetz ein, das nicht nur die besten Fachkräfte aus aller Welt ins Land lassen will? Wer für ein nationales und europäisches Asylrecht, das den Namen noch verdient? Und wie steht es um die Bereitschaft in Deutschland und den Ländern des „globalen Nordens“, endlich der globalen Umweltzerstörung entgegenzuwirken, die zukünftig noch weitaus stärkere Migration zur Folge haben wird?

Eine zeitgemäße Linke müsste für einen neuen Gesellschaftsvertrag streiten. Für einen, der so realistisch ist, die Unhaltbarkeit des alten Gesellschaftsvertrags als soziale Tatsache anzuerkennen. Denn die Leute kommen ja nicht zu uns, weil es offene Grenzen gäbe, sondern weil sich die reichen Länder jahrzehntelang gegen die armen Länder abgegrenzt haben – und weil es Grenzen der Leidensfähigkeit und der Bereitschaft zur Hinnahme derart krasser globaler Ungleichheit gibt. Zeitgemäß links, das heißt auch einstehen für einen Egalitarismus, der beide, die hiesigen Lohnabhängigen ebenso wie die in den Krisen- und Armutsgebieten der Welt um Lebenschancen kämpfenden Menschen, als gleichermaßen Berechtigte anerkennt.

taz am wochenende

Kein Name ist so belastet wie dieser. Wer heißt heute noch „Adolf“? Wir haben vier Männer unterschiedlichen Alters gefragt, wie dieser Vorname ihr Leben prägt – in der taz am wochenende vom 20./21. Oktober. Außerdem: Ein Regisseur will mit Theater heilen und probiert das jetzt in Sachsen. Eine Pomologin erklärt, wie sich alte und neue Apfelsorten unterscheiden. Und Neneh Cherry spricht über ihr neues Album. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Auf dem Weg zu einem egalitären Gesellschaftsvertrag sind das „Innen“ und das „Außen“, wir und die anderen, untrennbar miteinander verbunden. Denn nur eine Gesellschaft, die soziale Ungleichheit im Inneren reduziert, kann auch Solidarität nach außen üben, indem sie entschieden gegen die Ursachen von Flucht und Vertreibung angeht. Und nur eine Gesellschaft, die endlich anerkennt, dass sie ihren Wohlstand nicht länger auf systematischen Raubbau an der Natur gründen und zulasten der Lebenschancen großer Teile der Menschheit mehren kann, wird auch ihren Frieden finden. Mit ihrer globalen Umwelt. Und mit sich selbst.

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14 Kommentare

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  • "Daher muss das Kapital endlich begreifen, dass der Abbau der SOZIALEN Marktwirtschaft die Demokratie mit abbaut."



    Zum Thema Soziale Martkwirtschaft siehe meinen Post weiter unten.



    Zum Thema Kapital/Demokratie: Es wäre nicht das erste Mal, dass Kapitalisten auf demokratische Repräsentation verzichten, wenn sie ihre ökonomische Macht behalten können. Stichwort: Bonapartismus



    In diesem Video ab ca. 14:25 kann man das Demokratieverständnis eines deutschen Wirtschaftskapitäns bewundern: www.youtube.com/watch?v=DLzSjuJUipU

    • @heinz martensen:

      War eigtl. eine Antwort auf den Post von tazeline.

  • „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern.“ Karl Marx, 1845.

    173 Jahre nach Marx' bahnbrechender erkenntnis ist die Analyse schon mal nicht schlecht, die Martin Kronauer und Stephan Lessenich da abgeliefert haben. Aber war's das jetzt schon? Glauben die zwei Autoren vielleicht, sie hätten - ähnlich wie Marx - ihren Teil der Verantwortung abschließend wahrgenommen, wenn sie wohlfeile Forderungen aufmachen, die andere erfüllen müssen?

    Wie Bourgeois, wie elitär ist das denn? Und überhaupt: Auf welcher Art Vertrag beruht eigentlich der Glaube, zwei Mensch dürften fordern, während ein paar tausend andere die Forderung zu erfüllen hätten? Auf dem Vertrag, den Gott mit Moses bei der Übergabe der Gesetzestafeln abgeschlossen haben soll? Himmel! Der sollte aber wirklich langsam mal überarbeitet werden!

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...ja, was die 'Linken' nicht alles "müssten". Wieso wählt die Mehrheit dann immer die sog. Mitte, bzw. die Rechte??!



    Kein Verständnis für dieses Gejammer.

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Guter Text,

    der sogar ein wenig und jenseits des Nazi, Nazi, Nazi Sermons an den Ursachen des "rise of the right" kratzt;

    ungewöhnlich, gar für taz-Verhältnisse.

  • 1. Es war und ist niemals Aufgabe der „politischen Eliten“ gewesen, den Wohlfahrtsstaat gegen äußere Anfeindungen zu schützen.



    Vielmehr ist dies ein verfassungsmäßiger Auftrag, welcher sich an die Regierung und das Parlament direkt richtet und somit von jedem Parlamentarier zu erfüllen ist.



    (Ich halte schon diese Andeutung eines Austauschverhältnisses für großen Blödsinn; Buckeln/Malochen gegen Schutz des Wohlfahrtsstaates (durch das Kapital)).



    2. Die gelebte und funktionierende freie und SOZIALE Marktwirtschaft ist elementarer Grundbaustein für eine funktionierende Demokratie. Daher muss das Kapital endlich begreifen, dass der Abbau der SOZIALEN Marktwirtschaft die Demokratie mit abbaut.



    3. Wer also weiter am SOZIALEN Ast sägt, fällt die Demokratie.



    Für all dies brauchen wir keine intellektuellen Zirkel einzuberufen und die dann langatmig neue Gesellschaftsverträge formulieren.



    Vielmehr muss die SOZIALE Schere JETZT und SPÜRBAR geschlossen werden. (Das WIE ist bekannt!) Nur dann werden wir auch den braunen Mopp wieder von unseren Straßen kriegen; und mit der Zuwanderung in der gebotenen Gelassenheit umgehen.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @tazeline:

      zu 1.



      Eine Analyse, die diese Bezeichnung verdient, kommt nicht ohne Einbeziehung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen aus. Alles andere wäre letztendlich nicht mehr als Ideologie/ Propaganda/ PR.



      Es steht nirgendwo im Grundgesetz, wie groß die sozialen Unterschiede sein sollen und ob das "Soziale" nun in Form von Hartz IV oder in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens realisiert werden soll. Außerdem ist es Wunschdenken, dass sich Parlamentarier*innen an einen "verfassungsmäßigen Auftrag" halten würden, nur weil sie dem Recht gemäß gewählt wurden. Wie ein solcher Auftrag zu verstehen ist, ist Teil des Diskurses und für viele Politiker und Richter dient eine Verfassung nur zur Rechtfertigung ihrer persönlichen Ziele und Ansichten. Im Bedarfsfall wird die Interpretation des Verfassungstextes den eigenen Bedürfnissen angepasst.



      Wie eine "originale Interpretation" aussähe, kann niemand sagen, schon weil der Text als Kompromiss zustandekam und von den Beteiligten schon immer unterschiedlich interpretiert wurde.

      2. Das Kapital kann gar nichts begreifen. Kapital ist ein blinder Akkumulationsprozess, der, beabsichtigt oder nicht, als Effekt gesammelter individueller Handlungen entsteht. Das Kapital (ent-)steht zwischen Menschen als Effekt der Akkumulation von Waren, des abstrakten Geldwerts, des Fetischs der Ware...



      Das ist kein Mensch, bei dem Appelle vielleicht etwas helfen könnten.

      3. Über das "WIE" gibt es eben keine wetgehende Einigkeit. Da helfen auch keine Großbuchstaben. Diese Tatsache kann als ein Effekt des Kapitals betrachtet werden. Ihre Zeilen sagen soviel wie:



      "Ich will aber den alten Gesellschaftsvertrag wiederhaben und nicht diskutieren. Basta. Früher, das war noch die wahre Sozialdemokratie, da war eh alles besser. Ihr Besserwisser in eurem 'Zirkel' redet 'großen Blödsinn'! Mimimimi."



      Mit dieser Einstellung kann man eine friedliche Einigung aber nicht erzielen, die für koordiniertes Handeln und für die Erhaltung der Demokratie aber nötig ist.

      • @85198 (Profil gelöscht):

        @Hannibal Corpse

        Obgleich ich mich einerseits über Ihren Beitrag freue, ein ehrlicher Diskurs ist immer gut, so bleibt nach dem Durchlesen Ihrer Zeilen dennoch die Frage: Was wollen Sie damit eigentlich sagen?



        Ja; zum Sozialstaatsprinzip gibt es keine konkrete Definition.



        Aber unsere VerfassungsgeberInnen haben das Sozialstaatsprinzip mit Bedacht (als sog. Staatszielbestimmung) in die Verfassung mit aufgenommen, da auch für sie klar war, dass die soziale Aushöhlung den Fall der Weimarer Republik sehr stark begünstigt hatte.



        Und ja, es bringt nichts an „alten“ Zuständen festhalten zu wollen. Doch bedeutet dies dann auch gleichzeitig, dass ich – die ja nach wie vor gültige Verfassung/GG – mit ihren zwingenden Vorgaben und Staatszielbestimmungen beliebig missachten darf, nur weil sich die Zeiten ändern. NEIN! Vielmehr ist es die Aufgabe des Staates die Veränderungen so zu handhaben, dass sie mit der Verfassung/GG in Einklang stehen.



        Und wenn ich immer gleich davon ausgehen würde, dass Legislative und Judikative die Vorgaben der Verfassung/GG stets missachten und nur im Sinne ihres persönlichen Interesses auslegen und anwenden; ja dann, dann wären die staatlichen Strukturen schon so erodiert, dass mit dem Ziel des Erhalts unserer verfassungsmäßigen Grundordnung ggf. völlig andere, weitreichendere Überlegungen anzustellen wären. Doch diesen Verfall kann ich nicht erkennen. Vielmehr fehlt es am politischen Willen, und der Einsicht (unserer VerfassungsgeberInnen), dass das Funktionieren der Demokratie ganz wesentlich an das Funktionieren „SOZIALER“ Strukturen gebunden ist. Dies stimmt sowohl theoretisch, und es lässt sich auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit leicht ablesen.



        Daher mein Apell: wenn wir es mit unserer Demokratie ernst meinen, und auch damit, dass dieser braune Mopp wieder verschwinden muss, dann müssen wir uns den sozialen Herausforderungen spürbar stellen und eine gerechte Verteilungsgerechtigkeit herstellen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

        • @tazeline:

          Gegen einen "braunen Mopp" ist nichts einzuwenden. (Wischwasch)



          Ein brauner Mob ist da zu bekämpfen, wo man ihn trifft.

  • Ewig langes Abhandeln der altbekannten Kapitalismuskritik, aber kein Wort darüber, wie der neue gerechte Gesellschaftsvertrag nun konkret aussehen soll. Und warum? Weil's eben keiner weiß, auch nicht der Autor.

  • "Dieses gesellschaftliche Tauschgeschäft, für das in der Bundesrepublik die übergreifend akzeptierte Formel von der „sozialen Marktwirtschaft“ geprägt wurde"

    Auch wenn diese Definition (Soziale Martkwirtschaft=starker Sozialstaat) sich im allgemeinen Sprachgebrauch durchgestezt hat, muss man immer wieder darauf hinweisen, dass das eigtl. Konzept der SMW nichts mit dieser sozialdemokratisch/keynesianischen Umdeutung zu tun hat. Herbert Schui hat sehr gut herausgerbeitet, wobei es sich bei der SMW eigtl. handelt und warum dieser Befriff bei einigen Linken zu Unrecht positiv besetzt ist: www.vsa-verlag.de/...hui_Verteilung.pdf

    • @heinz martensen:

      Ob der Artikel wirklich die soziale Marktwirtschaft richtig beschreibt, ist fraglich. Schui, der sich ja selbst sehr links einordnet, konzipiert den Artikel mit einer klaren, ideologischen Stoßrichtung. Dabei scheut er sich auch nicht, Fakten, die diese Stoßrichtung behindern, einfach zu bestreiten. Beispiel aus seinem Aufsatz :



      "Dem Hinweis, dass nicht die Lohnkämpfe, wohl aber die steigende Arbeitsproduktivität zur Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft beigetragen hätte, fehlt es an Logik: Denn es sind die Lohnkämpfe, und nicht eine Marktautomatik, die aus der Zunahme der Arbeitsproduktivität einen höheren Lebensstandard machen."



      Er bestreitet hier den empirisch festgestellten Sachverhalt - noch dazu mit einem unglücklichen Hinweis auf angeblich mangelnde Logik -, um seinen nostalgischen, längst widerlegten Klassenkampfbegriff à la "die organisierte Arbeiterklasse erkämpft sich ihre Löhne" in die Gegenwart zu retten. Leider ist der ganze Artikel auf diese Art ideologisch durchtränkt. Lesenswert ist er allerdings dennoch.

      • @Karl Bauer15:

        Gott sei Dank gibt es noch Menschen, die unideologisch glauben, dass die Früchte des Produktivitätsfortschritts von der unsichtbaren Hand gerecht an die Marktteilnehmer verteilt werden.

        • @heinz martensen:

          Nein, die Hand ist sichtbar:



          Hoher Produktivitätsfortschritt erhöht den Gewinn in einer Branche und zieht Konkurrenten an. Die brauchen Arbeiter, die sie aber nur bekommen, wenn sie ihnen höhere Löhne zahlen. Das Lohnniveau steigt, die Lage der Arbeiterschaft verbessert sich und die Gewinne der Kapitalisten verringern sich. So geht das. Allerdings nur, wenn die Gewerkschaften diesen Wirkmechanismus nicht zugunsten ihrer Mitglieder behindern, was leider über viele Jahre hinweg im Ruhrgebiet der Nachkriegszeit der Fall war. Lesen Sie nochmal den Artikel von Schui, Sie werden dann vielleicht erkennen, daß es viel wichtiger ist, die Märkte offenzuhalten als Klassenkampf zu führen. Dafür war und ist der Ordnungsrahmen der sozialen Marktwirtschaft ideal und das begründet auch ihren Erfolg.