Debatte um Zeugnisse des Kolonialismus: Neue Denkmäler braucht das Land

Die Skulpturen fragwürdiger HeldInnen der Geschichte werden in Frage gestellt. Das ist in Ordnung, wir sollten aber auch den Guten gedenken.

Eine Statue mit erhobener Faust steht auf der Ladefläche eines LKW.

Wieder vom Sockel geholt: „A Surge of Power (Jen Reid) 2020“ des Bildhauers Marc Quinn in Bristol Foto: Ben Birchall/Wire/dpa

Tja, in Bristol haben sie im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegungen ja nicht nur das Denkmal des reichen Sklavenhändlers aus dem 17. Jahrhundert umgestürzt und ins Meer geworfen, vergangene Woche legte der Künstler Marc Quinn noch einmal nach, formte aus Bronze eine Skulptur der schwarzen Aktivistin Jen Reid, die am Denkmalsturz beteiligt war, und setze die Figur in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf den leeren Sockel. Ein Heldinnendenkmal, wie man es heute nicht mehr bauen würde – Blick in den Himmel, Faust nach oben geballt, viel Street-Credibility, eine Prise Sexyness –, und das vielleicht auch ein wenig ironisch zwinkert.

Diese Denkmaldebatten – und die Intervention des Künstlers ist Teil davon – werfen viel mehr Fragen auf, als man denkt. Zunächst: Welche dunklen Gesellen wollen wir in unseren Städten herumstehen lassen?

Manche meinen, man solle die Geschichte nicht auslöschen und mit den Zeugen versunkener Epochen anders umgehen, als sie einfach wegzuräumen. Wann hat das eigentlich begonnen, dass man meinte, alles, was jemals gebaut und errichtet wurde, müsse stehen bleiben? Hätten frühere Generationen so gedacht, unsere Städte sähen ganz anders aus, und es gäbe keinen Quadratmeter Freiraum für Modernisierungen.

Dabei geht es nicht nur um die Adolf-Hitler-Straßen, die glücklicherweise umbenannt wurden, bevor jemand auf die Idee kam, zu sagen, „dass sie doch auch zu unserer Geschichte dazugehören“, sondern um viel simplere Fragen. Etwa: Warum soll man nicht einen erheblichen Teil rostiger, alter Trümmer einfach wegräumen, um Platz für Neues zu schaffen?

Fragwürdige Heldengestalten

Hinzu kommt aber noch etwas anderes: In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ja nicht nur unser Blick auf Denkmäler fragwürdiger Heldengestalten aus früheren Äonen verändert, es hat sich unser Blick auf die Institution Denkmal selbst verändert. Heldenfiguren, die man auf Sockel stellt – das tun wir einfach nicht mehr, weil wir, darüber sind sich bei aller Polarisierung zeitgenössische Gesellschaften ziemlich einig, eine Skepsis gegenüber der Heroisierung haben.

Arbeit am nationalen Gedächtnis via „positive Identifikation“ findet daher kaum mehr statt. Viel eher würde man Mahnmäler errichten, die an Genozide und eine Geschichte der Schande erinnern, und wenn die figural sind, dann noch am ehesten in Gestalt anonymer Opfer von Völkermorden oder Staatsverbrechen.

All das ist auch Arbeit am nationalen (oder auch mittlerweile am postnationalen) Gedächtnis, aber eben über „negative Identifikation“. Man stellt nichts mehr auf, worauf man sich positiv beziehen kann, sondern nur mehr, worauf man sich negativ bezieht, und das man dann in das Postulat „Nie wieder“ wendet. Das zeigt aber auch, dass wir nur mehr ausdrücken können, wogegen wir sind, aber uns schwer tun, zu manifestieren, wofür wir wären.

Diese beiden Ansprüche – die Geschichte nicht auslöschen, aber keine neuen Heldenskulpturen errichten – führen in Kombination zu der etwas absurden Situation, dass fragwürdige Skulpturen aus vergangenen Jahrhunderten stehen gelassen werden, aber Leute, auf die man sich heute irgendwie positiv beziehen könnten, keine Denkmäler an zentralen Orten mehr erhalten. Da und dort eine Büste in einem dunklen Eck von einem Park – das geht sich vielleicht noch aus. Viel mehr aber nicht. Deswegen ist diese Aktion von Marc Quinn so interessant.

Der Bürgermeister von Bristol, Marvin Rees, Sohn eines jamaikanischen Vaters und einer weißen Single-Mother, also selbst das, was Stuart Hall ein „postkoloniales Subjekt“ nennt, hat angekündigt, die Heldinnenskulptur vom Sockel holen zu lassen, und zwar mit der wunderbaren Begründung, dass die Bewohner von Bristol über die künftige Gestaltung entscheiden werden. Wenn man sich das ausmalt, wie man dazu kommen könnte, dann bedeutet das mehrerlei.

Gedächtnis muss ausgehandelt werden

Erstens: Partizipative Verfahren, die öffentlichen Gedächtnisleistungen werden nicht verordnet, sondern von den Bürgern und Bürgerinnen selbst ausgehandelt.

Zweitens aber müsste dazu in fragmentierten Stadtgesellschaften, die radikal divers sind, und zwar eben nicht nur wegen Migration, sondern auch politisch, von Werten und Normen her und auch in Sachen Alltagskultur, ein Prozess der Verständigung aufgesetzt werden. Voraussetzung von Verständigung ist dann aber, die Gesichtspunkte heterogener Bevölkerungsmilieus zu würdigen und zu respektieren. Da kommt auch die Woke-Bubble mit ihrer Cancel-Kultur nicht weit, weil Einschüchterung solche Gespräche zerstört.

Eine demokratische, heterogene, diverse Stadtgesellschaft baut sich ihre Denkmäler selbst. Allein diese Idee ist es wert, dass man ihr ein Denkmal setzt.

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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