Debatte um Othello-Inszenierung: Rassismus-Vorwürfe treffen Neumeier
Kopenhagener Balletttänzer haben ein Problem mit der Othello-Inszenierung des Hamburger Choreografen. Das trübt auch seine feierliche Verabschiedung.

Blackfacing in Neumeiers Othello-Inszenierung von 2013 Foto: Sven Hoppe/dpa
HANNOVER taz | Alle Weichen waren schon auf einen Abschied in Ehren und Würden gestellt: John Neumeier – Meister-Choreograf, Ballett-Ikon, Hamburger Ehrenbürger – hört im kommenden Jahr auf, nach 50 Jahren an der Spitze des Hamburger Balletts.
Ein Bildband über sein Wirken ist gerade erschienen, ein Museum in Vorbereitung, am Montag wurde er mit dem Rolf-Mares-Theaterpreis ausgezeichnet. Mit den Hamburger Balletttagen 2023 sollte seine letzte Spielzeit fulminant enden.
Nun hat eine Compagnie abgesagt: Das Königliche Ballett Kopenhagen wird nicht wie geplant mit Neumeiers gefeiertem „Othello“ auftreten. Es hat überhaupt die Zusammenarbeit mit Neumeier pausiert, der sich davon tief betroffen zeigt.
Der Konflikt schwelt allerdings schon eine ganze Weile: Im Mai dieses Jahres hatten Tänzer*innen des Kopenhagener Balletts ihr Unbehagen mit einigen Szenen geäußert.
Stammestänze und Affenlaute
Vor allem die Szene, in der Desdemona von Othello träumt und ihn als wilden Krieger imaginiert, finden einige Tänzer rassistisch. In der Szene werden Stammestänze imitiert, der Tänzer tritt mit schwarzer Farbe bemalt auf, habe sogar Affenlaute von sich geben und sich nach Affenart auf den Kopf hauen sollen, heißt es.
Ballettdirektor Nikolaj Hübbe, so stellt er es in dänischen Medien dar, versuchte zunächst zu vermitteln. Neumeier sei aber zu Änderungen nicht bereit gewesen. Also strich man den Othello und hievte stattdessen Neumeiers Sommernachtstraum auf den Spielplan. Das sorgte zwar in Dänemark für ein bisschen Aufsehen, drang aber kaum bis zu Neumeiers Wahlheimat Hamburg durch.
Als Neumeier nun Anfang November zu den letzten Proben für den Sommernachtstraum einflog, muss es noch einmal zum Eklat gekommen sein.
Wobei die Darstellungen ein wenig auseinandergehen: Neumeier teilte der Deutschen Presseagentur mit, er habe die Gelegenheit genutzt, seine Sicht der Dinge darzulegen, danach seien die Proben harmonisch weitergegangen. Die Aufkündigung der mehr als 60 Jahre währenden Zusammenarbeit per E-Mail am 16. November habe ihn überrascht und getroffen.
Eklat auf der Probebühne
Bei den Dänen klang das zunächst anders: Es soll emotional hoch hergegangen sein, am Ende habe Hübbe Neumeier sogar die Tür weisen müssen. Es gebe sehr unterschiedliche Auffassungen davon, wie eine Zusammenarbeit künftig aussehen könnte.
In anderen Berichten klingt Hübbe allerdings schon verhaltener, scheint sich die Kritik der Tänzer nicht hundertprozentig zu eigen zu machen. Das sei alles etwas verzerrt und überstürzt gewesen, sagte er in der Sendung „Kulturelt“ im dänischen Fernsehen. Er selbst halte Neumeier und das Stück nicht für rassistisch, verstehe aber, dass junge Tänzer das anders sehen. Und denen fühle er sich eben auch verpflichtet.
Auch seine Solotänzerin Astrid Elbo betont, dass es für Kolleg*innen, die – anders als sie – nicht weiß seien, eben zu einer Retraumatisierung führen könne, wenn sie Abend für Abend wieder in diese Diener- und Sklaven-Rollen schlüpfen müssten.
Die „Kulturelt“-Sendung trägt den Titel „Der Tanz mit dem Rassismus“ und thematisiert zwei weitere Ballettstücke, bei denen Anpassungen vorgenommen wurden: In einer Nussknacker-Inszenierung wurde auf die stereotype Darstellung von Asiaten verzichtet, im Stück „Blixen“ die Darstellung der Plantagenarbeiter vom Volk der Kikuyu respektvoller gestaltet.
Fremdheit als wesentlicher Bestandteil
Auf so etwas hat sich Neumeier wohl nicht einlassen wollen. Er verstehe zwar die Einwände gegen die Bemalung, schrieb er der dpa, er glaube aber nicht an „eine Zensur der choreografischen Form aufgrund der negativen Fehlinterpretation der betreffenden Bewegung durch einen Einzelnen“. Er habe außerdem versucht, die Bedeutung des „wilden Kriegers“ für seine Inszenierung und seine ausführlichen Recherchen zu afrikanischen Jagdtänzen anschaulich zu machen.
Schon früher hatte Neumeier stets betont, seine Inszenierung des Othello-Stoffes drehe sich im Kern um „die Unmöglichkeit, einen anderen wirklich zu kennen“. Die Fremdheit und wechselseitigen Projektionen zwischen Desdemona und Othello sind ein wesentlicher Bestandteil davon.
Allerdings stammt die Inszenierung eben auch aus anderen Zeiten: 1983 hatte sie Premiere auf Kampnagel, 2013 nahm Neumeier sie am Hamburger Ballett wieder auf.
Leser*innenkommentare
Lästige Latte
Ein allgemeines, unter Künstlern weit verbreitetet Theorem lautet:
"Ein Werk, welches der Künstler aus seinem Atelier entlassen hat, gehört nicht mehr seiner Interpretation allein ." -Insoweit also, hätten die hier kritisierenden jungen Künstler alle Berechtigung.
Aber es gibt ein weiteres Theorem:
"Kunst, die Rücksicht nimmt, ist unwahr"
Selbst Kafka war grob gesprochen der Meinung: Kunst muß uns manchmal treffen wie ein Axthieb, um etwas Gefrorenes in uns auf zu brechen.
Nochmals: "Kunst, die Rücksicht nimmt, ist unwahr"- Warum sollte diese
b e r e c ht i g t e Empörung und diese Ablehnungsgefühle
gegenüber dieser Inszenierung nicht Teil der abzielenden Intention (bei Künstlern großenteils unbewußt weil Kunst nämlich keine Wissenschaft ist) gewesen sein, um den Kritikern sogar diese Berechtigung zu ermöglichen?-
Kunst braucht und sollte überhaupt nicht "schön" oder "bezaubernd" sein. Kunst darf und sollte auch gekonnt weh tun und an Schmerzen erinnern. Auch und vor allem an die anderer Leute.- Meinen Segen also haben diese Kritiker absolut! Und sie sollten sich ihre Kritik auch keinesfalls ausreden lassen!- Aber die Inszenierung abzusetzen oder gleich ganz zu verbieten darf sich nicht durchsetzen.
Jochen Laun
"Der Tänzer (...) habe sogar Affenlaute von sich geben und sich nach Affenart auf den Kopf hauen sollen, heißt es". Heißt es? Sorry, das ist keine Information, sondern Geraune. Neumeier sagt, der Tänzer gebe überhaupt keine Laute von sich, schon gar keine Affenlaute. Wenn es anders gewesen sein soll, muss man schon Roß und Reiter nennen. Davon abgesehen, geht es in dem Stück doch wohl darum, die Denkweise einer Figur darzustellen, und nicht die Denkweise des Autors oder Choreographen. Ist "In the Heat of the Night" ein rassistischer Film, weil er Figuren zeigt, die Rassisten sind? Ich denke nicht.
tomás zerolo
@MICHI W...
Ein Choreograf ist nicht in der Lage, zuzuhören? Dann vielleicht einen anderen...
You see, it cuts both ways. Kontexte verschieben sich. Es gibt neue Sensibilitäten (bzw. es wird mittlerweile --endlich!-- darüber gesprochen). Wir brauchen alle Geduld miteinander. Veränderungen sind schwierig, aber manchmal überfällig.
@BREITMAULFROSCH
"Hilfe! Kultur wird zensiert!!!"
Nein, das führt zu nichts. Um Kultur hat es immer Auseinandersetzungen gegeben. Und das ist gut so. Denken Sie mal an Achternbusch vs. Strauß.
Michi W...
Ein Schauspielers bzw. Tänzer erlebt eine Retraumatisierung durch das Einnehmen einer Rolle auf der Bühne? Dann vielleicht lieber einen anderen Job suchen?
LeSti
@Michi W... Ja. Oder sagen, dass man in seinen Job nicht alles macht.
Breitmaulfrosch
"Schon früher hatte Neumeier stets betont, seine Inszenierung des Othello-Stoffes drehe sich im Kern um „die Unmöglichkeit, einen anderen wirklich zu kennen“. Die Fremdheit und wechselseitigen Projektionen zwischen Desdemona und Othello sind ein wesentlicher Bestandteil davon."
Wenn es nicht mehr möglich ist, kulturelle Fremdheit und missglückte Kontaktaufnahme durch Imitation auch nur zu thematisieren, dann wird es schwierig für´s Theater.
Dream Team
@Breitmaulfrosch Kulturelle Andersheit und missglückte Kontakte lassen sich auch ohne eindeutig rassistische Bildsprache auf die Bühne bringen. Das ist eigentlich ganz einfach.
Mustardmaster
@Dream Team Andererseits läßt sich die "eindeutig rassistische Bildsprache" auch als ganz bewußt eingesetztes Mittel verstehen, um bspw. Rassismus bzw. unterbewußte rassistische Vorstellungen aufzuzeigen : "...die Szene, in der Desdemona von Othello TRÄUMT und ihn als wilden Krieger IMAGINIERT..."
Nicht an der rassistischen Fassade hängen bleiben, sondern das im Kontext zu interpretieren ,ist natürlich nicht so ganz einfach und erfordert intellektuellen Mehraufwand.
Jim Hawkins
Schwarze als Affen, das scheint mir ein eindeutiger Fall von Rassismus zu sein.
Und was ist das? Der Ikon, die Ikone. Manchmal fühle ich mich dumm.
INTRASAT
@Jim Hawkins Das scheint eher die Interpretation eines Tänzers zu sein, der noch nie einen afrokubanischen Tanz gesehen hat.
Dort ist das Schlagen an den Kopf essentieller Bestandteil des Tanzes, ohne dabei an Affen zu denken
650228 (Profil gelöscht)
Gast
@ INTRASAT Ich habe noch nie Affen gesehen, die sich an den Kopf schlagen.