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Debatte um Enteignungs-KommissionFür Trotz ist es zu früh

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Die Berliner Initiative Deutsche Wohnen enteignen überlegt, die Senatskommission zu boykottieren. Das wäre keine gute Idee. Ein Wochenkommentar.

Enteignen kann so viel Spaß machen! Foto: dpa

I n der Demokratie gottgleiche Wesen oder Institutionen zu akzeptieren, ist eigentlich ein Widerspruch an sich. Schließlich drückt schon das Wort Demokratie aus, dass das Volk herrscht. Von besonderer Bedeutung ist dessen Urteil, wenn es direkt zustande kam wie beim Berliner Volksentscheid über die Enteignung der großer Wohnungsbestände: 57,6 Prozent der Ber­li­ne­r*in­nen stimmten am 26. September 2021 dafür. Das absurde dabei: Ob der Wille der Bevölkerung umgesetzt wird, entscheidet – wenn es gut läuft und zu einem Gesetz kommt – nicht die Politik, sondern das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Es hat in diesem Fall letzte, gottgleiche Wort. Das sollte mensch im Hinterkopf behalten in dieser Debatte.

Schon der Weg zu einem Gesetzentwurf ist lang und schwierig, darüber herrscht Konsens auch bei jenen, die dieser Vergesellschaftung wohlwollend gegenüber stehen. Ein Gesetz auf Grundlage des Artikels 15 des Grundgesetzes wurde eben noch nie verabschiedet. Deswegen macht es Sinn, vorher möglichst viel juristische Expertise zusammen zu tragen, wie es Rot-Grün-Rot mit der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Enteignungs-Kommission vorgesehen hat und deren 10 vom Senat gestellten Mitglieder am Dienstag benannt wurden. Weitere 3 Mitglieder kann die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen entsenden, die den Volksentscheid durchgesetzt hatte.

Die Initiative überlegt nun, darauf und damit auf die Mitarbeit in der Kommission zu verzichten. Sie bezweifelt, wie es in einer Mitteilung nach dem letzten Plenum am Dienstagabend heißt, „ob diese Kommission konstruktiv und im Sinne der Vergesellschaftung arbeiten kann“. An anderer Stelle werden die Vorwürfe, inbesondere in Richtung der SPD und ihrer Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey, noch deutlicher: „Es soll vertuscht werden, dass die Kommission im Interesse der Immobilienkonzerne handelt.“ Die Arbeitsweise des 13-köpfigen Gremiums sei unklar und nicht transparent.

Hintergrund ist vor allem, dass die SPD nach taz-Informationen drei konservative Juristen für die Kommission berufen hat: Neben dem ehemaligen, von der CDU benannten Bundesverfassungsrichter Michael Eichberger zwei erklärte Gegner der Ini­tia­tive, genau wie Giffey selbst. Giffey hatte bereits im Wahlkampf 2021 erklärt, nicht mit einer Partei – sprich mit der Linken – zusammen arbeiten zu wollen, die eine Enteignung unterstützt. Inzwischen tut sie das doch.

Es gab und wird den Versuch geben, diesen Prozess zu verschleppen, ihn als nicht umsetzbar darzustellen.

Die Kommission, der zudem mehrere Befürworter einer Enteignung angehören, soll zunächst die Verfassungskonformität des Vorhabens prüfen und dafür auch den Gesetzentwurf der Initiative unter die Lupe nehmen. Am Ende der einjährigen Arbeit soll im besten Fall eine gemeinsame Position stehen, welche Möglichkeiten es für ein solches Gesetz gibt und wie es aussehen kann.

Dass es eine solche gemeinsame Position geben wird, darf getrost bezweifelt werden. Aber sie ist auch gar nicht nötig. Denn erstens fällt auch kaum ein Urteil des Verfassungsgerichts einstimmig, abweichende Erklärungen der Minderheiten-Richter*innen sind eher die Regel als die Ausnahme. Und zweitens trifft nicht die Kommission die Entscheidung, ob die Koalition anschließend ein solches Gesetz schreibt, sondern eben SPD, Grüne und Linke, die Entscheidung ist eine politische.

Und erst dann wird es wirklich spannend: Denn es stellt sich die Frage, ob die rot-grün-rote Koalition diesen Konflikt überhaupt überlebt. Schließlich steht die Linke im Wort, ein solches Gesetz – wenn es irgendwie geht – zu formulieren, während einige Teile der SPD das ablehnen.

Es geht darum, die Gegner zu widerlegen

Sich der Arbeit dieser Kommission jetzt zu verweigern, wäre bestenfalls dumm, schlimmstenfalls kontraproduktiv und suizidal. Nichts spricht dagegen, in den nächsten zwölf Monaten Positionen und Interpretationen zu sammeln, wie eine Vergesellschaftung machbar wäre. Nichts spricht dagegen, eben auch die Gegner eines solchen Ziels zu hören, denn es geht ja genau darum, ihre juristische Lesart zu entkräftigen und zu widerlegen. Und angesichts der fehlenden Vorbilder sollte sich die Initiative hüten, ihren Gesetzentwurf als sakrosankt zu betrachten.

Indem die Initiative darauf verzichtet hat, am 26. September 2021 einen fertigen Gesetzentwurf zu Abstimmung zu stellen, hat sie den Gesetzgebungsprozess ein Stück weit aus der Hand zu geben. Es stimmt: Es gab und wird den Versuch geben, diesen Prozess zu verschleppen, ihn als nicht umsetzbar darzustellen. Aber es stimmt auch, dass ein solches Gesetz Zeit braucht und geprüft werden muss. In den nächsten zwei, drei Jahren ist damit sowieso nicht zu rechnen.

Und danach liegt das Gesetz, sollte es tatsächlich die nötigen Stimmen auch aus der SPD bekommen, erst mal vor dem Bundesverfassungsgericht – wie der Mietendeckel ja auch. Entscheidend ist am Ende das Urteil aus Karlsruhe.

Die SPD und die Regierende sollte sich nichtsdestotrotz überlegen, weniger widerborstig mit der Initiative umzugehen, auch im eigenen Interesse. Denn die teils brüske Ablehnung einer Enteignung durch Giffey und Co. widerspricht zum einen dem klaren Willen der Berliner*innen, an dem nicht zu rütteln ist, und drückt damit weiterhin eine schwer mit der Demokratie zu vereinbarende Ignoranz gegenüber dem Souverän aus.

Klar ist Franziska Giffeys Position zu Enteignung bekannt. Aber was hindert sie, das Votum der Ber­li­ne­r*in­nen für die Durchsetzung wohnungspolitischer Forderungen gegenüber Immobilienkonzernen zu nutzen? Rapide steigende Preise für den Neubau sowie die Knappheit von Energie und Material machen es zunehmend unwahrscheinlich, die selbst gesteckten Ziele von 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr zu erreichen. Es ist unverständlich, warum sie ein so starkes Druckmittel wie das Votum der Bevölkerung angesichts eines derart desolaten Wohnungsmarkts nicht einsetzen will.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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2 Kommentare

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  • Was will der letzte Absatz sagen?



    Bei steigenden Baupreisen sollte man enteignen? Hä? Und das hilft wie?



    Was soll Frau Giffey konkret machen?

  • Die Wohnungsprobleme in Berlin sind überwiegend hausgemacht, und daher wäre es naheliegender erst die eigenen Fehler zu korrigieren statt Lösungen zu suchen, die man mangels Zuständigkeit nur sehr begrenzt beeinflussen kann.